Eine deutliche Mehrheit der Familienunternehmen vertraut mittlerweile auf einen Beirat, Aufsichts- oder Verwaltungsrat. Das wird sich langfristig auszahlen, ist aber kein Grund sich zurückzulehnen. Die Zusammensetzung der Räte sollte diverser werden. Nicht nur bei der Kür der Kandidat:innen ist mehr Professionalität und Sorgfalt gefragt, sondern auch bei oftmals vernachlässigten kulturellen Thematiken.
Es liegt in der unternehmerischen Freiheit von Familienunternehmen, ob sie einen Beirat, Aufsichts- oder Verwaltungsrat berufen und mit welchen Persönlichkeiten sie ihn besetzen. Das ist vernünftig. Genauso vernünftig ist, dass sich bereits vier Fünftel der Familienunternehmen im deutschsprachigen Raum freiwillig zu diesem Schritt entschlossen haben. Auffällig dabei: Allein zwischen 2002 und 2021 hat sich die Zahl der Räte in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als verdoppelt.
Diese Tatsache sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob Unternehmen und Rat effektiv, zukunftsorientiert und nachhaltig zusammenarbeiten. Begegnen sich die Mitglieder von Geschäftsführung und Rat auf Augenhöhe? Inwieweit könnten sich Beziehungen auf einer persönlichen Ebene – etwa durch Verwandtschaft oder Freundschaft – auf die geschäftliche Ebene auswirken? Wie ist die Rolle der Ratsmitglieder inhaltlich definiert und vertraglich geregelt?
Durchregieren geht nicht mehr
Angesichts zunehmender Disruptionen, unter denen die Covid-Pandemie lediglich den momentanen Höhepunkt darstellt, können solche Fragen schnell existenziell werden. Denn Führung ist mehr denn je eine Teamdisziplin. So gilt es beispielsweise, die Herausforderungen eines globalisierten Wettbewerbs mit den kulturellen Gegebenheiten einzelner Regionen in Einklang zu bringen. Die Zeiten, in denen eine Firmenzentrale in Europa an allen Standorten „durchregiert“, liegen hinter uns. Auch die Rasanz des technischen Fortschritts und der Digitalisierung verbietet einsame Entscheidungen. Familienunternehmen, in denen eine Persönlichkeit alles und alle überstrahlt, geraten deshalb über kurz oder lang in eine Governance-Krise. Egon Zehnder hat diesem Thema in seiner Family-Gravity-Studie intensive Recherchen gewidmet.
Anforderungen an den Rat
Ein optimal besetztes, nachhaltig agierendes Beratungsgremium trägt hingegen dazu bei, Governance-Lebensadern zu erhalten und zu erschließen. Was heißt das konkret?
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Ratsmitglieder sollten die spezifischen Werte, die Tradition und Geschichte sowie die Dynamik der Eigentümerstruktur kennen und in der Lage sein, die DNA des Familienunternehmens mit der Geschäftsführungspraxis abzugleichen.
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Der Rat sollte alle Kompetenzfelder abdecken, die für das Unternehmen wesentlich sind. Dies gelingt vor allem bei der Digitalisierung derzeit eher nicht.
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Jedes Mitglied sollte in der Lage sein, eines dieser Kompetenzfelder sachkundig, unabhängig und fokussiert zu bearbeiten. Egon Zehnder evaluiert sowohl Beiratsmitglieder als auch Kandidat:innen anhand eines Kompetenzprofils, das auf die speziellen Bedürfnisse von Beiräten von Familienunternehmen zugeschnitten ist. Kandidat:innen, die einem halben Dutzend weiterer Beschäftigungen nachgehen, dürften übrigens nicht die Idealbesetzung darstellen.
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Ratsmitglieder brauchen Erfahrung in bestimmten Funktionen oder Branchen, die Fähigkeit zur Analyse komplexer, mitunter verworrener Sachverhalte sowie Urteilskraft – auch dann, wenn nur spärliche Informationen vorliegen.
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Ähnlich wie der Vorstand eines großen Unternehmens sollte der Rat divers besetzt sein. Die positiven Effekte unter anderem auf die Nachhaltigkeit sind durch Studien hinlänglich belegt. Hier haben viele Familienunternehmen Nachholbedarf: Der Altersdurchschnitt liegt zu hoch, und Frauen sind unterrepräsentiert.
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Unternehmen sollten sich davor hüten, zu viele Familienmitglieder mit einer Ratsposition zu bekleiden. Denn damit halten unterschwellig persönliche Belange Einzug in unternehmensbezogene Diskussionen. Auch der langjährige Anwalt der Familie oder die verlässliche Finanzberaterin haben auf einem Beiratsposten nichts verloren. Es würde sich schlicht keine Augenhöhe einstellen. Es empfiehlt sich also, unabhängige Persönlichkeiten zu berufen.
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Das Profil jedes Mitglieds muss auf die spezifischen Herausforderungen des Unternehmens und der Branche zugeschnitten werden. Zudem muss sich das Profil dynamisch anpassen, wenn es die Situation erfordert. Besondere Sorgfalt gebührt in dieser Hinsicht der Wahl des oder der Ratsvorsitzenden.
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Ein Ratsmitglied sollte zuhören können, eine konstruktive Diskussionskultur pflegen und Teamarbeit schätzen. Viele Menschen schreiben sich diese Eigenschaften selbst zu, scheitern aber an der Realität.
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Zum geeigneten Kandidat:innenkreis gehören erfolgreiche Inhaber:innen anderer Unternehmen, externe Spitzenführungspersönlichkeiten mit komplementären Erfahrungen zum Management, unabhängige Business-Consultants mit zukunftsweisendem Spezialwissen, professionell agierende Familiengesellschafter:innen beziehungsweise -mitglieder sowie relevante Out-of-the-box-Fachleute.
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Persönlichkeiten, die für eine Ratsmitgliedschaft infrage kommen, sollten regelmäßig, mindestens aber bei Aufnahme ihrer Tätigkeit, geschult werden. Dazu stellen externe Berater:innen die individuellen Bedarfe und Desiderate fest und vermitteln die passenden Angebote.
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Nicht zuletzt müssen Unternehmen und Beirat ihre Beziehung vertraglich regeln. Es gilt unter anderem, eine Satzung und eine Geschäftsordnung zu erarbeiten sowie den Gesellschaftsvertrag zu modifizieren. Dazu bedarf es juristisch sattelfester Beratung.
Erfüllt ein Beirat, Aufsichts- oder Verwaltungsrat die genannten Anforderungen, kann er zentrale Governance-Aufgaben übernehmen. Räte können die Unternehmensstrategie kritisch-konstruktiv hinterfragen, Geschäftszweige beziehungsweise ganze Businessmodelle restrukturieren helfen, das Stakeholder-Management optimieren und Kontakte für das Management knüpfen. Vor allem aber erkennen Familienunternehmen mithilfe exzellenter Beratungsgremien Disruptionen früher, etwa beim Übergang von einer Generation zur nächsten, und halten geschäftliche und gesellschaftliche Aspekte des Unternehmertums in Balance.
All dies zusammengenommen wirkt sich mittelfristig positiv auf die Umsätze aus und erhöht auf lange Sicht die Chance, sich im Wettbewerb nicht nur zu behaupten, sondern ihn anzuführen. Somit tragen Beiräte, Aufsichts- und Verwaltungsräte dazu bei, den Fortbestand des Familienunternehmens über Generationen hinweg zu gewährleisten.