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Eine Frage der Kultur

Mehr Frauen in Führung –
ein Perspektivwechsel

Blaupause
Mann?

Analyse

Zählt man Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten, dann hat die deutsche Wirtschaft trotz vieler Bemühungen auch im Jahr 2024 weiter Nachholbedarf. Die Kommunikationsberater von FGS Global sind dem Problem gemeinsam mit der Leadership-Advisory-Firma Egon Zehnder nachgegangen. Ihr Fazit: Es mangelt nicht an Erkenntnis, alle Empfehlungen liegen auf dem Tisch. Wenn wir wollen, dass Deutschlands oberste Führungsgremien weiblicher werden, müssen wir jetzt an unserer Einstellung arbeiten. Für nachhaltigen Wandel braucht es eine Veränderung der Kultur – und dabei kommt der Führungsspitze in Vorstand und Aufsichtsrat eine zentrale Rolle zu.

Selten gelingt es, ein hochkomplexes, vielschichtiges Thema auf eine ganz einfache Formel herunterzubrechen. In einem der Interviews, die FGS Global und Egon Zehnder in den vergangenen Monaten mit 20 Vorständinnen und Aufsichtsratsmitgliedern geführt haben, ist das Kunststück geglückt. Trotz gesetzlicher Quoten und obwohl Unternehmen einige Maßnahmen ergreifen, um die Geschlechterdiversität in Vorständen zu erhöhen, gibt es immer noch wenige Frauen in Top-Führungsgremien. Eine Managerin sagt in den Interviews mit FGS Global und Egon Zehnder dazu: „Der Grundfehler ist, dass wir alles an der Blaupause Mann messen. An einem männlichen CEO“.

Bei Quoten und dazugehörigen Maßnahmen darf es also nicht enden. Die Aufgabe, die jetzt vor allem ansteht, ist der Wandel hin zu einer inklusiven Kultur. Die Herausforderung liegt weniger darin, dass die Notwendigkeit dieses Wandels nicht bekannt wäre. Im Gegenteil, das zeigen die Gespräche mit Top-Führungspersönlichkeiten. Es ist vielmehr der Umstand, dass es die Personen in den Führungsgremien selbst sind, die ihn vorantreiben und gestalten müssten: die Mitglieder von Vorständen und Aufsichtsräten. Doch diese tun sich damit schwer, was unter anderem daran liegt, dass Gremien in Deutschland bisher immer noch sehr homogen sind. Nach all den Debatten der vergangenen Jahre über Frauenquoten und Diversität mag man es kaum glauben, doch das durchschnittliche Mitglied eines deutschen Vorstands ist nach wie vor männlich, deutsch, 1969 geboren und in Westdeutschland ausgebildet – meist in Wirtschaftswissenschaften.¹

Das führt zu enormen Beharrungskräften und bremst den Wandel auf Zeitlupentempo. Zwar steigt der Frauenanteil in den Top-Führungsgremien der 160 in DAX, MDAX und SDAX notierten Unternehmen durchaus, bei Vorständen im vergangenen Jahr um immerhin mehr als drei Prozent, bei Aufsichtsräten wenigstens um zwei. Dennoch ist Deutschland im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften immer noch abgeschlagen.

In deutschen Aufsichtsräten sitzen auf etwas mehr als jedem dritten Posten Frauen (gut 36 Prozent). In Vorständen sind es gerade einmal 17,4 Prozent. Die Top-40-Unternehmen aus dem DAX stehen zwar etwas besser da, doch der internationale Vergleich ist insbesondere mit Blick auf die Vorstände auch bei den Großen wenig schmeichelhaft: In den USA liegt der Anteil bei immerhin 32,6 Prozent. Auch Gremien in Großbritannien (29,5 Prozent), Frankreich (27,9 Prozent) und Schweden (27,2 Prozent) sind weiter als Deutschlands Top-40-Vorstände (23,2 Prozent).

Die Frau im Vorstand:
Immer noch nicht Normalität

Offenbar hat sich eine gewisse Ermüdung eingeschlichen. Das Ziel ist noch lange nicht erreicht, doch Unternehmen richten sich, nachdem sie die alte Norm überwunden haben (im Vorstand gibt es nur Männer), in einer neuen Norm ein, schreiben die Autorinnen und Autoren des aktuellen AllBright Berichts. Demnach gehört heute in jeden Vorstand eine Frau. Aber eben nur eine. Das ist die Realität in 71 der 160 in DAX, MDAX und SDAX notierten Unternehmen. Nur eine Minderheit (23 Unternehmen) wird von Vorständen mit mehr als einer Frau geführt. Gerade einmal fünf Unternehmen (das sind drei Prozent) haben je drei oder mehr Frauen im Vorstand. 66 werden weiter von rein männlichen Vorstandsrunden geführt.

Auch wenn man nicht nur die Top-Führungsposten betrachtet, sondern Führungspositionen insgesamt – und damit den Talentpool derjenigen, die in den kommenden Jahren in Vorstandsposten und danach in die Aufsichtsräte aufsteigen könnten –, ist Deutschland laut Statistischem Bundesamt weit abgeschlagen:² In deutschen Führungsetagen arbeiteten im Jahr 2022 rund 29 Prozent Frauen. Im EU-weiten Ranking der 27 Mitgliedstaaten war das Platz 21, und der Durchschnittswert lag bei rund 35 Prozent.

„Es wird schon akzeptiert, dass Frauen im Vorstand sind“, so fasst es eine der Interviewten zusammen. „Aber sie sind immer noch etwas Besonderes. Wir sind noch nicht in der Normalität.“

Auf der Suche nach Lösungsansätzen:
Raus aus der Klischeefalle

Auf der Suche nach Lösungsansätzen haben FGS Global und Egon Zehnder aktuelle Forschungsergebnisse ausgewertet und darauf aufbauend Interviews mit 20 aktiven und ehemaligen Vorständinnen sowie mit Aufsichtsratsmitgliedern der größten börsennotierten Unternehmen Deutschlands geführt – männlich wie weiblich. Ihre Erkenntnisse haben sie außerdem mit der Organisationsforscherin Professor Dr. Isabell M. Welpe von der TUM München (siehe Expertiseinterview) gespiegelt. Dabei sind sie der Frage nachgegangen: Warum kommt der Wandel nur so langsam in Gang, wo es doch Quotenregeln gibt und es auch an Bekenntnissen zu mehr Diversität nicht mangelt?

Die wesentlichen Befunde lauten: Ein quantitativer Ansatz wie die Quote allein genügt ganz offensichtlich nicht, um Dinge grundsätzlich zu ändern. Nur ein echter Kulturwandel wird die Blaupause des männlichen Anführers aus den Köpfen bekommen – und die Klischees, die damit verbunden sind, etwa das Bild der vereinsamten Spitze. Und ein echter Kulturwandel bedeutet fundamentales Umdenken und das Erlernen neuer Verhaltensmuster – das bei jedem und jeder Einzelnen beginnt. Sprich: Wir alle müssen uns bewegen, wenn wir wollen, dass Deutschlands Top-Gremien in Unternehmen weiblicher werden, vor allem aber Vorständinnen und Vorstände sowie die Aufseherinnen und Aufseher der Unternehmen. Das gilt in besonderem Maße für CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende.

Ich bin dann mal weg: Warum es Frauen
nicht lange in Vorständen hält

Die Spitzen von Vorstand und Aufsichtsrat müssen und können Agentinnen und Agenten des Wandels werden. Sie können zum Beispiel ganz konkret bei den Arbeitsbedingungen und dem kommunikativen Umgang in Deutschlands Top-Gremien ansetzen. Zahlen dazu liegen vor allem für die Vorstandsetagen vor, und sie zeichnen das Bild einer oft unwirtlich wirkenden Umgebung. Frauen, die es bis dorthin geschafft haben, bleiben jedenfalls nicht lang. Forscherinnen und Forscher der Universität Düsseldorf haben 2023 im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) die Zusammensetzung von Vorständen der DAX- und MDAX-Unternehmen seit 2010 untersucht.³ Ergebnis: Der Mann bleibt durchschnittlich sechs Jahre und elf Monate im Vorstand, die Frau durchschnittlich nur drei Jahre und zwei Monate – also nicht mal halb so lang.

Das hat auch organisatorische und kulturelle Dimensionen. Erstens gibt es in den meisten Unternehmen schlicht noch zu wenige interne Kandidatinnen für ein Vorstandsressort, deshalb kommen viele Bewerberinnen von außen. Überdurchschnittlich oft rekrutieren Unternehmen weibliche Vorstandsmitglieder zudem aus dem nicht deutschsprachigen Ausland, hat die Managementberatung Horváth & Partners 2021 im Auftrag des Handelsblatts ermittelt.⁴

Das Problem: Wer eine Organisation nicht kennt, dort keine Netzwerke hat, der scheitert generell häufiger. Dabei ist nachhaltiger Erfolg ohne diese Netzwerke und die Fähigkeit, situativ Allianzen zu schmieden, um Herausforderungen zu meistern, nicht vorstellbar. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. „Von außen in ein Unternehmen zu kommen, ist grundsätzlich schwieriger, als intern befördert zu werden“, sagt eine Interviewpartnerin. „Externen fällt es oft schwer, die Codes zu erkennen, die sich nicht in offensicht­lichen Zahlen widerspiegeln, wie beispielsweise, welche informellen Netzwerke das Unternehmen in seiner Kultur prägen.“

Wenn eine Frau intern in den Vorstand befördert wurde, blieb sie im Durchschnitt gut 40 Monate im Amt – externe Kandidatinnen behielten den Posten im Mittel nur 35 Monate.⁵ Dabei kommen diese externen Vorständinnen häufig auch noch aus dem Ausland, was wie ein negativer Verstärker wirkt – allerdings nicht, weil Nichtdeutsche schlechtere Vorstände wären. Die Neue am Vorstandstisch ist dann aber schlicht dreifach anders als ihre meist männlichen deutschen Kollegen: Sie kommt von außen, ist eine Frau. Und keine Deutsche. Die Folge: Hatte eine neuberufene Vorständin die deutsche Staatsbürgerschaft, lag die durchschnittliche Amtszeit bei etwas über 43 Monaten. Bei einer Nichtdeutschen bei rund 32 Monaten.

Zweitens zeigen Studien aus den USA, dass Frauen in Top-Führungspositionen schon strukturell höheren Erwartungen unterliegen, die kaum zu erfüllen sind – sie wurden häufiger entlassen oder zum Rücktritt gezwungen, hatten im Mittel kürzere Amtszeiten.⁶ Unabhängig von ihrer Qualifikation und den Rahmenbedingungen müssen Vorständinnen offenbar immer auch beweisen, dass sie besser sind als ihre männlichen Kollegen. Zugleich können diese es aber oft schlecht aushalten, wenn die Vorstandskolleginnen sie überflügeln. Oder, wie es in einem Interview auf den Punkt gebracht wurde: „Es können immer noch viele nicht damit leben, wenn du als Frau fordernd und bestimmt auftrittst. Ein Mann akzeptiert einen starken Mann eher als eine starke Frau. Viele der Frauen, die in letzter Zeit vorzeitig aus dem Vorstand gegangen sind, waren starke Frauen.“ Zum vollständigen Bild gehöre aber auch, dass der Grund für die kürzeren Verweildauern weiblicher Vorstände nicht nur in organisatorischen und kulturellen Dimensionen liegen. Es gäbe natürlich „auch immer wieder einzelne Fälle unzureichender Leistung – wie bei Männern auch.“

Vorständinnen sind drittens überdurchschnittlich oft in Querschnittsfunktionen tätig: etwa in Human Resources oder Finanzen. Nur zwei Prozent der 2022 neuberufenen Vorständinnen wurden laut Zahlen der AllBright Stiftung CEO – gegenüber 14 Prozent der neuberufenen Männer. Allerdings halten sich auch Männer in Querschnittspositionen kürzer als in anderen Positionen, schreibt die FAS unter Berufung auf Vorstandskreise. Insbesondere wenn sie Personalvorständinnen sind, beschränken die Männer im Gremium Frauen dann oft zu sehr auf ihr Thema, sagt eine Interviewpartnerin. „Ihre Ansichten zu operativen Themen werden nicht gehört, weil andere ihnen da keine Kompetenzen zutrauen.“ Noch schlimmer: „Zu ihrem Verantwortungsbereich hat wiederum der komplette Vorstand eine Meinung, jeder ihrer Vorschläge wird also kommentiert.“

Gemeinschaftsaufgabe:
Unternehmen und Gesellschaft profitieren
von mehr Führungsdiversität

Immerhin: Langsam scheint sich das Blatt zu wenden. Im vergangenen Jahr wurden erstmals mehr Frauen aus dem eigenen Unternehmen in den Vorstand befördert, nachdem sich die Aufsichtsräte in den Jahren zuvor überwiegend für externe Bewerberinnen entschieden hatten. Der Frauenanteil ist in allen DAX-Indizes gewachsen, am stärksten bei den MDAX-Unternehmen: um 5,3 Prozentpunkte. Zum Redaktionsschluss hatten die Börsenunternehmen die Berufung von 11 neuen Vorständinnen angekündigt. Eine kleine Gruppe von DAX40-Unternehmen hat sogar schon mindestens 40 Prozent Frauen im Vorstand: Beiersdorf, Merck, Siemens Healthineers und Zalando. Seit Januar 2024 zählt auch die Allianz dazu mit vier Vorständinnen.

Diese Unternehmen könnten von ihrer Vorreiterrolle profitieren, und das nicht nur im Hinblick auf die positive Außenwirkung eines geringen „Gender Gap“ bei Führungspositionen. Diverse Teams steigern die Unternehmensperformance, sofern es eben durch eine inklusive Führung gelingt, kulturelle Normen zu durchbrechen, das gilt statistisch inzwischen als gesichert. Zuletzt hat diesen Zusammenhang noch einmal eine Studie des Vermögensverwalters BlackRock bestätigt.⁷

Die Studienlage zeigt also klar: Unternehmen profitieren von Gender-Diversität in den Führungsetagen. Und am besten fassen Frauen in den Vorständen Fuß, die intern aufsteigen. Wer nachhaltig mehr Diversität in den Führungsgremien durchsetzen will, muss also vor allem gleiche Aufstiegschancen für Frauen wie Männer schaffen. Und das wiederum erfordert eine echte Veränderung der Unternehmenskultur.

Es gibt bislang viele quantitative Analysen, aber noch wenig qualitative Erkenntnisse, wie Deutschland auf dem Weg zur Gender-Diversität schneller vorankommen kann. Das haben FGS Global und Egon Zehnder in Tiefeninterviews mit Vorständinnen und Aufsichtsratsmitgliedern herausgearbeitet. In allen Gesprächen zeigte sich: Um den „Gender Gap“ in den Führungsgremien zu beseitigen, ist ein vielschichtiger und tiefgreifender Ansatz notwendig. Die Veränderung wird nur gelingen, wenn Gesellschaft und Unternehmen – und weniger die Frauen selbst, wie so oft behauptet – an sich arbeiten. Es geht um eine Veränderung tief verwurzelter kultureller Standards.

Stimmen aus unserer Studie:

„Dadurch, dass Frauen in hohen Positionen hierzulande noch selten sind, fehlt in vielen Unternehmen ein gewisses Selbstverständnis. Da sind Frankreich und die USA zum Beispiel schon deutlich weiter. Es grassieren dort auch weniger Vorurteile. Es gibt emotionale und rationale Personen, stille und laute. Mit dem Geschlecht wird das nicht in Verbindung gebracht.“

„In UK oder Skandinavien sind Frauen auf der Vorstandsebene eine völlige Normalität. Nicht wie bei uns nach dem Motto: Da ist der Vorstand, und da ist unsere Frau.“

„Der gesellschaftliche Rahmen macht es Frauen in Deutschland schwerer, beruflich erfolgreich zu sein. Wir müssen in der westlichen Welt noch viele Mythen entzaubern. Beispielsweise den Mythos, im Vorstand ganz auf sich gestellt zu sein und keine Freunde oder Zeit mehr zu haben. Natürlich ist man auch fremdbestimmt, aber nicht so fremdbestimmt wie auf den Ebenen darunter, denn du kannst deinen Tag besser selbst organisieren.“

„Ich war gegen die Quote im Aufsichtsrat, und das war ein Fehler. Die Quote ändert die Atmosphäre, auch für andere Minderheiten wie beispielsweise Nichtdeutsche. Ich stelle häufig fest, dass ausgerechnet Frauen beim Integrieren anderer Minderheiten Vorteile haben.“

1 AllBright Stiftung, Oktober 2023: Einsam an der Spitze: Unternehmen holen Frauen in die Vorstände, aber in der Regel nur eine
2 Statistisches Bundesamt, 2023: Frauen in Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert
3 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Juni 2023: Warum Frauen nicht lange im Vorstand bleiben
4 Handelsblatt, März 2021: Was Frauen auszeichnet, die es zum Dax-Vorstand gebracht haben
5 Nach eigener Recherche
6 Glass & Cook, 2015: Leading at the top: Understanding women’s challenges above the glass ceiling
7 BlackRock, November 2023: Lifting financial performance by investing in women

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