„Menschen orientieren sich am ‚Tone from the Top‘“
Isabell Welpe ist Professorin für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München. In ihrer Forschung hinterfragt sie, wie Teams funktionieren, Unternehmen aufgebaut sind und wie Wandel gelingen kann – nicht zuletzt der zu einer diverseren Führungsetage.
Frau Welpe, alle wissen, dass es mehr Frauen in Führungspositionen braucht. Der Anteil weiblicher Vorstandsmitglieder steigt aber nur im Schneckentempo. Warum?
Nach all den Jahren, in denen wir dazu geforscht und Unternehmen selbst besucht haben, kann ich sagen: Wir haben kein Erkenntnisproblem. Der Weg von Führungskarrieren von Frauen und Männern in Unternehmen ist mittlerweile sehr gut – oft auch mittels Experimenten – erforscht. Man kennt inzwischen sogar viele kausale Zusammenhänge.
Die Herausforderung im Kern besteht darin, dass wir alle, Männer wie Frauen, gleiches Verhalten, gleiche Leistung, gleiche Lebensläufe aufgrund sozialer und demografischer Merkmale unterschiedlich beurteilen. Und genau da müsste man für eine Veränderung auch ansetzen.
Wo können wir als Gesellschaft ansetzen, um den Wandel in Gang zu bringen?
Medien haben einen großen Einfluss auf Stereotype. In einer Studie in Brasilien wurde den Menschen einer ausgewählten Favela der Zugang zu Kabelfernsehen ermöglicht, und die Ergebnisse legen nahe, dass speziell Seifenopern, und nicht nur das Fernsehen allgemein, individuelle Entscheidungen beeinflussten, erkennbar an Namensmustern bei Kindern, veränderten Geburtenraten und Inhalten der Seifenopern. Es gibt auch zu deutschen Unternehmen eine spannende Untersuchung zu den Wirtschaftsbildern in der Fernsehunterhaltung, die herausgefunden hat, dass die häufigste Berufsposition des Verdächtigen im Tatort nun ausgerechtet „Unternehmer“ ist. Das wird wohl leider auch Auswirkungen haben. Medien prägen uns sehr viel stärker als wissenschaftliche Forschung.
Wie lässt sich das auf Unternehmen übertragen? Wie schaffen wir es dort, mehr Frauen in leitende Positionen zu bekommen?
Grundlage für objektive auf tatsächliches Verhalten und Performance ausgerichtete Auswahl- und Beurteilungsprozesse ist zunächst die Unternehmenskultur, die sich in Bildern und Sprache zeigt und durch diese geprüft und verändert wird. Das Ziel sollte sein, dass alle Mitarbeitenden sich zum Unternehmen zugehörig fühlen. Da Unternehmen über Ziele geführt werden, sollten sie sich Ergebnis- oder Prozessziele setzen, wie z. B. diverse Longlisten, oder die Mitarbeitenden einmal im Jahr nach ihren Beiträgen zu einem Thema fragen.
Eine weitere wichtige Maßnahme besteht darin, sich die eigenen Daten zu Karriereverläufen, Leistungsbeurteilungen und Gehaltsentwicklungen anzusehen. Das ist oft aufschlussreicher als irgendwelche Laborexperimente. Auch Trainings spielen eine wichtige Rolle, allerdings sollten sie auf kollektive und nicht individuelle Stereotype fokussieren. Strukturen und Prozesse, die es wahrscheinlicher machen, eine objektive Beurteilung zu treffen, gehören außerdem zu einem wirksamen Maßnahmenpaket. Viele Unternehmen werden in den kommenden Jahren sicherlich diese und weitere Ansätze verfolgen, da bis 2028 immer mehr Unternehmen einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen werden. Und zu den ESG-Kriterien gehört auch der soziale Aspekt, unter den auch das Thema Diversität in Führungspositionen fällt.
Wir hören immer davon, wie wichtig Vorbilder für solche Entwicklungen sind …
… und das stimmt auch! Die Gesichter des Unternehmens oder der Marke sind wie bei allen strategischen Fragen entscheidend. Es heißt nicht umsonst neudeutsch „Seeing is Believing“, und Menschen in Unternehmen orientieren sich nun einmal am „Tone from the Top“.
Gibt es Länder, in denen es besser läuft als in Deutschland? Die uns sozusagen als Vorbilder dienen können?
Es läuft noch nirgendwo perfekt. aber ich sage immer: „The Trend is our Friend“. Damit meine ich: Wir bewegen uns, es gibt Fortschritte.
Herzlichen Dank
Für die Publikation haben FGS Global und Egon Zehnder 20 Interviews mit (ehemaligen) Vorständinnen und (Multi-)Aufsichtsrätinnen und -räten großer, international tätiger Konzerne mit Hauptsitz in Deutschland – überwiegend börsennotiert im DAX und MDAX – geführt. Unsere Gesprächspartnerinnen und -partner waren unter anderem:
Dr. Astrid Arndt
Dr. Werner Brandt
Dr. Stephanie Caspar
Prof. Dr. Elke Eller
Dr. Elke Frank
Antje Leminsky
Prof. Ernst-Moritz Lipp
Daniela Mattheus
Simone Menne
Dr. Ariane Reinhart
Sybille Reiß
Christine Scheffler
Clara Streit
Quellen
AllBright Stiftung, Oktober 2023: Einsam an der Spitze: Unternehmen holen Frauen in die Vorstände, aber in der Regel nur eine
BlackRock, November 2023: Lifting financial performance by investing in women
Boston Consulting Group, Dezember 2022: Gender Diversity Index
FGS Global, März 2020: Die Ausnahme, die Rabenmutter, die Kämpferin. Bias in der medialen Darstellung von Top-Managerinnen
FGS Global, März 2021: Von Star-Gründerinnen und Quotenfrauen. Bias in Interviews mit Top-Managerinnen
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Juni 2023: Warum Frauen nicht lange im Vorstand bleiben
Glass & Cook, 2015: Leading at the top: Understanding women’s challenges above the glass ceiling
Harvard Business Review, 2013: Dysfunction in the Boardroom
Handelsblatt, März 2021: Was Frauen auszeichnet, die es zum Dax-Vorstand gebracht haben
Heilman, 2001: Description and Prescription: How Gender Stereotypes Prevent Women’s Ascent Up the Organizational Ladder
Shor, van de Rijt & Kulkarni, 2022: Women Who Break the Glass Ceiling Get a “Paper Cut”: Gender, Fame, and Media Sentiment
Statistisches Bundesamt, 2023: Frauen in Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert
An dieser Studie haben seitens FGS Global und Egon Zehnder gearbeitet:
Julia Caspers (FGS Global)
Eva Christiansen (FGS Global)
Lena Kilee (Egon Zehnder)
Martin Klusmann (Egon Zehnder)
Anna-Lena Lämmle (FGS Global)
Brigitte Lammers (Egon Zehnder)
Catharina Roltsch (Egon Zehnder)
Sandra Scharf (Egon Zehnder)