„In der Regel sind die Vorstandsmitglieder gemeinsam in dem Unternehmen groß geworden“, fasst es eine Interviewpartnerin zusammen. Die gemeinsame (Aufstiegs-)Geschichte schweißt sie zusammen, zudem handelt es sich mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit (siehe oben) ohnehin um eine Gruppe von Männern ähnlicher Herkunft. Vorständinnen sind hier also automatisch „die Neuen“. Das Ergebnis ist eine historisch gewachsene, von Männern dominierte Kultur. Frauen fallen tendenziell – genauso wie andere diverse Kandidaten – durchs Raster.
Eine Unternehmenskultur, vulgo: „die Art, wie Dinge hier funktionieren“, wird top-down geprägt. Wenn die Führung homogen ist, setzt dies den Standard, an dem jeder und jede andere zu messen ist. Das gilt für verschriftlichte und sichtbare Regeln genauso wie für nicht kodifizierte, unsichtbare Gepflogenheiten.
Die Interviewpartnerinnen und -partner haben vielfach Frustration darüber geäußert, dass sich Corporate Germany an solchen alten Strukturen und Mustern festbeißt und sich insgesamt nur langsam verändern möchte. „Auf den richtigen Machtpositionen sind die Frauen noch nicht flächendeckend angekommen“, sagt einer. „Und solange das nicht passiert, sind es andere Netzwerke, die Besetzungen und Kandidaten ziehen.“
Derzeit prägen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Männer den Umgang in Top-Führungsgremien. Männer in Vorständen, beobachtet eine Interviewpartnerin, seien zum Beispiel „viel emotionaler, viel weniger kontrolliert, viel weniger im Einklang mit der Stimmung im Raum“ als ihre weiblichen Kolleginnen. „Männer haben das Gefühl, dass es bei Erfolg um Macht, Geld, Position und Ansehen geht und nicht um etwas Ausgewogeneres“, lautet ein weiteres Zitat der Top-Managerin.
In ihrem Umgang mit Vorständinnen scheinen sich die männlichen Kollegen dann plötzlich überraschend einig – denn weibliche Führungspersönlichkeiten berichteten in einer Studie, dass sie sich systematisch von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen fühlen.⁸ Die bereits etablierten Mitglieder des Gremiums – meist eben Männer – beziehen sie weniger ein, ignorieren sie sogar manchmal. Kulturell männlich dominierte Unternehmen zeigen also die Tendenz, Frauen in Top-Positionen – wie im Vorstand – nicht als vollwertige Mitglieder der Gruppe zu behandeln.
Aufsichtsratsmitglieder und CEOs beiderlei Geschlechts können diese männliche Hegemonie zementieren. Sie haben aber auch die Macht, den Kreislauf zu durchbrechen, wenn es darum geht, dass sich Kultur und Umgang ändern hin zu gelebter Diversität. Im ersten Schritt gilt es dabei zu akzeptieren, dass eine solche kulturelle Herausforderung nicht mit einigen wenigen Maßnahmen und schon gar nicht innerhalb kurzer Zeit zu bewältigen ist. Doch wenn Aufsichtsrätinnen und -räte und vor allem die CEOs Diversität und die Entwicklung einer inklusiven Unternehmenskultur wirklich ernst nehmen, zeigen sie, dass es dabei nicht nur um eine quantitative Zielerfüllung geht – dann kann sich ein diverses und leistungsstarkes Team entwickeln. Eine besondere Rolle fällt dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu, der „sehen kann, ob ein CEO eine diverse Kultur im Vorstand fördert oder nicht.“ Sollte das nicht der Fall sein, liege es in seiner Verantwortung, das Thema intensiv mit dem CEO zu erörtern.
Zuallererst müssen sich CEO und Vorstand bei einer Erweiterung oder Neubesetzung im Vorstand klar darüber werden, wie die bestehende Teamdynamik aussieht und welchen Beitrag jedes einzelne Vorstandsmitglied dazu leistet. Alle Mitglieder müssen sich bewusst machen, wie die neue Vorständin dieses Team ergänzen wird, für was sie steht, welche Ambitionen sie verfolgt, welche Persönlichkeit sie einbringen wird. Daran sind viele CEOs und Aufsichtsratsvorsitzende noch nicht gewöhnt – Raum zu schaffen, um sich gegenseitig auf einer tieferen menschlichen Ebene kennenzulernen, über ihre professionelle Identität hinaus: Was hat mich geprägt? Was macht mich als Person aus? Sich diesen Fragen individuell und vor allem im Team zu stellen, unabhängig von der Gender-Frage, ist ein erster Schritt in Richtung besserer Kultur in Führungsgremien. Dadurch können sie erkennen, wie sich die Dynamik im Vorstandsteam mit neuen Mitgliedern verändern wird und was sie beitragen sollten, damit das Team zusammenwächst. Sie sollten Zeit und Energie investieren, um sich in neuer Konstellation einzuspielen. Es ist offensichtlich, dass sich eine Teamdynamik verändert, wenn eine Frau, insbesondere als die einzige, in den Vorstand einzieht. Die Veränderung liegt aber bei allen Teammitgliedern – und nicht, wie so oft angenommen, bei der neuen Vorständin alleine. Nur so wird Diversität gelebt.
Aufgabe des gesamten Aufsichtsrats ist es, Benchmarks für die Vielfalt im Top-Management festzulegen. Es liegt dann in der Verantwortung des Vorstands, den Onboarding-Prozess auszuführen. Eine oftmals übersehene Rolle fällt den Aufsichtsratsvorsitzenden zu, ebenso den Personal-, Nominierungs- und Präsidialausschüssen, die eine wichtige Lenkungsfunktion haben: „In meinem Fall hat die Aufsichtsratsvorsitzende ihr Netzwerk für mich geöffnet und mich anderen Personalvorständen vorgestellt“, berichtet eine Vorständin. Wichtig dabei ist immer, die Vorständin als Fachfrau sichtbar zu machen – nicht als Pionierin der weiblichen Führung. Ein Gesprächspartner stellte zutreffend fest, dass man sich den hier vorhandenen „Kooptationsmechanismus“ bewusst machen müsse, „der von den beteiligten Personen geprägt ist und der darüber entscheidet, ob konservative oder offenere Personalentscheidungen möglich sind“. Formelle Ausschüsse zum Thema Vielfalt werden hingegen von vielen männlichen wie weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern als nicht zielführend angesehen.
Zentrale unternehmensbezogene Faktoren
Unternehmenskulturen sind top-down geprägt. Männlich dominierte Führungsgremien strahlen oft geschlechtsstereotype Vorurteile in die Organisation hinein, die Frauen in Top-Führungspositionen wie Fremdkörper erscheinen lassen.
Weil die Performance von Unternehmen mit diversen Vorständen höher ist, muss der Aufsichtsrat sich als Teil seines Mandats mit einer diversen Besetzung des Vorstands befassen und die Verantwortung für gelebte Diversität übernehmen.
Der oder die CEO muss nicht nur Diversitätsvorbild sein, sondern gemeinsam mit den anderen Vorstandskolleginnen und -kollegen ( Organverantwortung ) einen Raum schaffen, in dem sich alle Teammitglieder kennenlernen, um neue Teammitglieder bewusst einbeziehen zu können. Auch eine Charta der Zusammenarbeit, also konkrete Verabredungen für das gemeinsame Arbeiten, kann auf diesem Weg enorm hilfreich sein. Solch beispielhafte Schritte schaffen die notwendige Veränderung hin zu einer inklusiven Kultur.
Stimmen aus unserer Studie:
„Die Unterstützung vom Aufsichtsratsvorsitzenden ist ein wichtiges Signal.“
„Wie bei jeder kulturellen Veränderung, wenn der oder die CEO das nicht will, dann passiert das auch nicht. Das heißt, der eigentliche Punkt ist, embraced der CEO diese Idee der Bereicherung, der Veränderung? Dann sind die Chancen aus meiner Sicht sehr gut.“
„Wenn der Aufsichtsrat generell divers besetzt ist, ist ein Assessment von Kandidaten und Kandidatinnen strukturierter und neutraler. Außerdem zeigt sich, dass Frauen im Aufsichtsrat durch ihr Netzwerk viel mehr Frauen in den Besetzungsprozess einbringen können.“
„Wir brauchen mehr weibliche Aufsichtsratsvorsitzende, und wir brauchen mehr Frauen in den Komitees. Außerdem würde ich mir mehr paritätische Aufsichtsräte wünschen, die alle mitnehmen und maximale Transparenz schaffen.“
„Es sollte eigentlich Good Practice sein, dass neu ankommende Vorstandsmitglieder – egal ob Männer oder Frauen – im Aufsichtsrat eine Ansprechperson oder besondere Ansprechpersonen bekommen. Der Aufsichtsrat hat eine gewisse Verantwortung, insbesondere wenn eine neue, externe Person kommt.“
8 Harvard Business Review, 2013: Dysfunction in the Boardroom