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Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion

Mehr Diversity? Haltung reicht nicht!

Über die organisationale Fähigkeit, nachhaltig Diversity zu fördern

Zu den großen unternehmerischen Herausforderungen unserer Zeit gehören Diversität und Inklusion. Seit vielen Jahren erörtern Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit, wie sichergestellt werden kann, dass beispielsweise Frauen die gleichen Karrierechancen haben wie Männer. Es gibt eine allgemeine Debatte darüber, wie alle Menschen unabhängig von ihrer Nationalität, Religion, sexuellen Orientierung oder körperlichen Verfassung auch in Unternehmen die Möglichkeit finden, sie selbst zu sein, sich zu verwirklichen und ihren Fähigkeiten, Kompetenzen und Potenzialen entsprechende Aufgaben zu übernehmen.

Diversität in deutschen Unternehmen – quo vadis?

Obwohl erste Erfolge inzwischen sichtbar sind, lässt sich feststellen, dass das Ziel noch lange nicht erreicht ist. Absolut betrachtet ist die Diversität in den Führungsetagen deutscher Unternehmen (sowohl DAX als auch Mittelstand) immer noch gering.1 Zwar haben viele Unternehmen mittels Zielen oder Quoten Gender-Diversität adressiert. Doch allein ein Blick auf den Frauenanteil in DAX-Vorständen zeigt unmissverständlich, dass diese Ziele und Maßnahmen nicht ausreichen. Auch hinsichtlich anderer Diversitätsaspekte gibt es noch einiges zu tun: Die Internationalität ist gering, das Ost-West-Gefälle hoch, der Altersunterschied klein, und die im Juni 2022 veröffentlichte Elitenstudie von Professor Olaf Jacobs, Universität Leipzig, hat gezeigt, dass die meisten Karrieren an einer kleinen Zahl westdeutscher Universitäten ihren Grundstein haben.

Diversität und Inklusion als unternehmerischer und gesellschaftlicher Anspruch

Das Ergebnis: Die meisten Unternehmen sind in ihren Topteams deutlich weniger divers als zum Beispiel ihre Kundengruppen. Unternehmen, die ihre Produkte an sehr diverse Kundengruppen verkaufen, könnten stärker darüber nachdenken, dies auch in der Zusammensetzung der Topteams und Gremien zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das einen Großteil seiner Produkte in Asien und den USA absetzt, profitiert unter Umständen von Vorständen, die ihren eigenen Hintergrund (persönlich und in Bezug auf ihre Karriere) in diesen Regionen haben. Solch ein Verständnis von Diversität führt nicht zuletzt zu besseren unternehmerischen Ergebnissen. Etwa dadurch, dass Manager:innen ihre Märkte, Produkte und Partner dann besser verstehen und z. B. in strategische Diskussionen von Topteams vielfältigere Perspektiven einfließen können. 

Jenseits dieser funktionalen Argumentation, die Diversität vor allen Dingen als unternehmerischen Vorteil zu positionieren versucht, darf nicht vergessen werden, dass Vielfalt inzwischen auch ein gesellschaftlicher Anspruch an Unternehmen ist. Wenn unsere Gesellschaft divers ist, dann sollten Unternehmen dies auch in sich abbilden und nicht etwa Teile der Gesellschaft systematisch ausschließen. Gesellschaftlich betrachtet ist das Geschlecht nur eine von mehreren Dimensionen, in denen Unternehmen Diversität sicherstellen können sollten. Eine holistischere Denkweise umfasst diese Kerndimensionen:

  • Alter und Erfahrung
  • Religion und Weltanschauung
  • Physische und mentale Fähigkeiten
  • Geschlecht
  • Sexuelle Orientierung und Identität
  • Ethnische Herkunft und Nationalität.

Die Kerndimensionen von Diversität und wie wir über Inklusion nachdenken

Unternehmen, die an sich den Anspruch stellen, divers zu sein, müssten in all diesen Dimensionen Unterschiedlichkeit ermöglichen und fördern. Diversität ist in diesem Sinne nicht nur eine Kennzahl, wie beispielsweise eine „Frauenquote“, sondern viel mehr als das: Das Ausmaß an Diversität ist letztlich eine Aussage über die organisationale Kompetenz eines Unternehmens, Unterschiedlichkeit zu ermöglichen, zu fördern und in ein produktives Gesamtsystem zu integrieren („Inklusion“).

Die organisationale Kompetenz, Diversität zu erzeugen

Offensichtlich entsteht Diversität in Unternehmen nicht von allein. Es sind bereits erhebliche gesellschaftliche Anstrengungen erforderlich gewesen, um die Chancengleichheit von Frauen und Männern entsprechend zu thematisieren. Viele der anderen Dimensionen wurden bisher kaum adressiert. Immerhin: Große Konzerne haben begonnen, Abteilungen oder zumindest kleine Teams zu bilden, die sich explizit mit dem Thema Diversität auseinandersetzen. Diese Teams sind in der Regel Teil des Personalressorts und oft direkt an den Vorstand angeknüpft. Aufgabe solcher Abteilungen ist es, Daten zur Diversität innerhalb des Unternehmens zu erheben, auszuwerten und Maßnahmen abzuleiten, um die Diversität zu erhöhen. Eine kürzlich von Egon Zehnder durchgeführte Umfrage unter Diversity-Verantwortlichen verschiedener nationaler und internationaler Unternehmen hat ergeben, dass insbesondere die Verfügbarkeit von Daten, aber auch der Zugang zum Vorstand, entscheidend für D&I-Teams sind, um signifikant Einfluss zu nehmen. 

D&I-Teams können ein wichtiger Träger der notwendigen organisationalen Kompetenzen sein, um die Diversität zu steigern – wenn sie adäquat ausgestattet sind, um ihrem zu Vorstand helfen, die Weichen für das Unternehmen richtig zu stellen. D&I-Teams allein genügen jedoch nicht, um das Thema Diversität effektiv zu adressieren. Unternehmen, die ernsthaft an ihrer Diversität arbeiten wollen, sollten folgende Kompetenzen in ihrer Organisation aufbauen:

  • Identifikation der relevanten Dimensionen: Der Anspruch an Diversität verändert sich über die Zeit. Wichtig ist, dass Unternehmen Mechanismen aufbauen, um zu erkennen, welche Dimensionen wichtiger werden, und darauf reagieren können. So ist in den USA über die vergangenen Jahre „Race“ zunehmend wichtiger geworden – und in Deutschland gewinnt die „soziale Herkunft“ zunehmend an Bedeutung. Frauenförderung allein wird mittelfristig dem Anspruch an ein diverses Unternehmen nicht mehr gerecht werden.
     
  • Erhebung der erforderlichen Daten: Das deutsche Arbeitsrecht erlaubt das Erheben und Auswerten von nur sehr wenigen Daten. Gleichzeitig haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, auch im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, aus ihren Systemen Auswertungen über die Zusammensetzung ihrer Teams, ihre Organisationseinheiten oder ihr Führungslevel zu generieren. Doch wer nichts über den Zustand weiß, kann auch nicht zielgerichtet Maßnahmen ableiten.
     
  • Diskurs in den relevanten Gremien: Eine zielführende Debatte über Kennzahlen und Indikatoren muss gelernt sein. Es reichen kleine Bemerkungen einflussreicher Stakeholder, um die Übersetzung wichtiger Erkenntnisse in zielführende Maßnahmen zu befördern – oder zu verhindern. Sofern D&I-Themen überhaupt auf die Agenda in den relevanten Gremien (z. B. Vorstand und Aufsichtsrat) kommen, gilt es, die Diskussion offen zu führen, Vorurteile abzubauen und die sogenannten „Unconscious Biases“ zu minimieren.
     
  • Setzen von Zielen und Diskussion der Zielerreichung: Diversität sollte Teil der regelmäßigen strategischen Analyse sein, genauso wie Kennzahlen zu Einkaufspreisen oder Kundenzufriedenheit.
     
  • Abgleich von Zielerreichung und Unternehmenserfolg: Sofern unternehmerische Ziele mit Diversity-Maßnahmen verbunden sind, sollte auch diese Zielerreichung kontinuierlich abgeglichen werden. Sollte sich zeigen, dass entgegengesetzt der wissenschaftlichen Evidenz mit steigender Diversität im Topmanagement die Effektivität nicht steigt, könnte das auch ein Hinweis sein, dass es an einer der wichtigsten organisationalen Kompetenzen im D&I-Kontext mangelt: der Inklusion bzw. der Kompetenz, Verschiedenartigkeit in ein produktives Gesamtsystem zu integrieren.

Inklusion als organisationale Kompetenz

Diverse Teams allein sind kein Garant für Erfolg. Schon die Gruppenforschung hat gezeigt, dass homogene Teams zunächst schneller performen als heterogene. Diverse Teams integrativ zu führen und diverse Organisationen effektiv zu steuern, ist deshalb der zweite wichtige Kompetenzbereich, auf den sich Unternehmen fokussieren sollten. Gerade in vielen operativen Kontexten ist genau das die eigentliche Herausforderung: Die Teams sind multikulturell, multireligiös, genderdivers und haben große Altersunterschiede. Gutes Management schafft es, diese Unterschiede nicht zu überwinden, sondern zu erhalten und auch zu nutzen – und über die Führungsebene hinweg nutzbar zu erhalten. Wichtig dafür ist vor allen Dingen eine inklusive Kultur, also ein im Unternehmen geteiltes Weltbild, das sich durch Offenheit auszeichnet und per se nicht ausgrenzt. Auch das Sicherstellen und Steuern von Mechanismen, die Inklusion erzeugen, ist essenziell. Solche Mechanismen können beispielsweise Teil von Feedbacks, Talentprogrammen, Recruitings und des Performance-Managements sein.

Eine der relevantesten organisationalen Kompetenzen im Bereich der Inklusion ist zweifelsohne das Training der Führungspersönlichkeiten und die gemeinsame Arbeit daran, durch die täglichen Entscheidungen sowie effektives Führungsverhalten Diversität zu fördern, die Stärken diverser Teams zu erkennen und zu nutzen und durch „gute“ Führung zu einer inklusiven Kultur beizutragen.

Sofern sichergestellt ist, dass eine Organisation in ihren formalen Prozessen ebenso wie in den informalen Strukturen (z. B. der Unternehmenskultur) inklusiv ist, hat Diversität in Unternehmen eine wirkliche Chance – und zwar in allen Dimensionen, auch über das Geschlecht hinaus.

Unternehmer:innen, Vorstandsmitglieder und Aufsichtsrät:innen, die sich dem Thema D&I holistischer annähern wollen, können mit folgenden Fragen entlang ihres Gesamtsystems starten:

  • Individuum: Haben wir Führungspersönlichkeiten, die holistisch und progressiv denken, die Notwendigkeit von D&I verstehen und sich für Chancengleichheit einsetzen?
     
  • Team: Haben wir für D&I sensibilisierte Teams, welche auch über die methodischen und konzeptionellen Kompetenzen verfügen, die mit unterschieden konstruktiv und inklusiv umgehen können und so Diversität effektiv zu nutzen und zu fördern wissen?
     
  • Organisation: Haben wir die relevanten Daten, Analysen und Prozesse, die uns in der Erreichung unserer D&I-Ziele unterstützen?
     
  • Kultur: Haben wir eine Unternehmenskultur, die Vielfalt und Andersartigkeit zelebriert und fördert?

Fazit

Genauso wichtig wie Kennzahlen und Indikatoren zu Diversität und Inklusion sind organisationale Kompetenzen in diesen Bereichen. Denn nur wenn diese Kompetenzen vorhanden sind, können wir mit einiger Zuversicht davon ausgehen, dass ein Unternehmen sich über die kommenden Jahre in die richtige Richtung entwickeln wird. Sind diese Kompetenzen unzureichend ausgebildet, ist es auch unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen über die Zeit diverser und inklusiver wird. Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Einstellungen, familiären Hintergründen und Voraussetzungen so in einem Unternehmen zu integrieren, dass sich alle Menschen entsprechend ihren Fähigkeiten entwickeln und verwirklichen können, ist eine der wichtigsten unternehmerischen Herausforderungen unserer Zeit.

1Seit 2004 wertet Egon Zehnder alle zwei Jahre im Rahmen des Global Board Diversity Tracker die Daten von 1.600 Unternehmen weltweit aus. Darunter befinden sich 55 Unternehmen aus Deutschland, inklusive aller DAX-Unternehmen und Firmen mit einem Umsatz von bis zu sechs Milliarden Euro. In diesen Unternehmen haben Frauen lediglich 35 der insgesamt 289 Vorstandsposten inne. Ihr Anteil stieg dabei auch zuletzt nur minimal von 10,5 Prozent 2018 auf 12,1 Prozent 2020.

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