Der Tätigkeit von Chief Sustainability Officers (CSOs) steht eine ähnliche Evolution bevor, wie sie sich bei Chief Digital Officers (CDOs) bereits vollzogen hat: Sie werden von Disruptor:innen ohne echte Befugnis zu einflussreichen Gestalter:innen, die Organisationen strukturell reformieren.
Die Berufsbeschreibungen für „Chief Sustainability Officers“ legen mitunter genau jene Missverständnisse offen, die es für eine strategisch kluge Stellenbesetzung auszuräumen gilt. Das Narrativ geht etwa so: CSOs entwickeln Strategien, um die Umweltwirkungen ihres Unternehmens zu senken, erstellen Budgetpläne zur Vorlage bei der Geschäftsführung, beraten unternehmensweit andere Abteilungen und führen Mitarbeiter:innen, die an Nachhaltigkeitsprojekten arbeiten. Um sich auf diesen Beruf vorzubereiten, so die Karriereportale, möge man ein Bachelorstudium beispielsweise in Biologie absolvieren und ein paar Jahre Erfahrung im Umweltmanagement sammeln.
Nachhaltigkeit berührt den Unternehmenskern
Hand aufs Herz: Wie wichtig klingt diese Position? Mit wie viel Gestaltungsspielraum scheint sie verbunden? Wünscht eine Geschäftsführung, die eine:n CSO nach diesem Muster installiert, mehr als ein Feigenblatt bei einem Thema, das Stakeholdern unter den Nägeln brennt, ihr selbst aber lästig erscheint? Die Karriereportale bilden einen Status quo ab, der gottlob vielerorts mittlerweile in Frage steht. Die Studie „Creating a Sustainable World: Are Leaders Doing Enough?“ von Egon Zehnder hat gezeigt: In immer mehr Unternehmen reift das Bewusstsein, dass Themen der Nachhaltigkeit den Kern der Wertschöpfung berühren. Es genügt nicht mehr, am Arbeitsplatz Energie zu sparen, Mülltrennung durchzusetzen und die ökologischen Folgen des eigenen Handelns beispielsweise durch ein Aufforstungsprogramm in den Tropen auszugleichen. Die natürlichen Ressourcen werden knapp, und selbst die mächtigsten Unternehmen der Welt können sich von einem Moment zum nächsten davon abgeschnitten sehen. Das haben mit der Corona-Pandemie und dem Ukrainekrieg gleich zwei nur schwer vorhersehbare Ereignisse hintereinander bewiesen.
Eine Geschichte wiederholt sich
Der Tätigkeit des:r Chief Sustainability Officers steht vor diesem Hintergrund eine Evolution bevor, die Unternehmen in einem anderen Bereich bereits durchlebt haben. Die Rede ist von der Digitalisierung. In den 2000er-Jahren und darüber hinaus heuerten Unternehmen gern Quereinsteiger:innen an, die sich in der Digitalszene einen Namen gemacht hatten. Die Geschäftsführung versprach sich davon Inspiration und frischen Wind. So wie heute vielfach die CSOs fungierten die Chief Digital Officers als Disruptor:innen. Sie sollten Impulse setzen, Prozesse zu reformieren. Sie sollten vorausdenken und Wege identifizieren, skalierter, effizienter und profitabler zu wirtschaften. Disruption ist allerdings per definitionem als vorübergehendes Phänomen angelegt. Sie mag die Sensibilität in den einzelnen Unternehmensbereichen erhöhen. Doch wer gewährleistet, dass der frische Wind die Prozesse und Strukturen durchdringt? Wer stellt sich an die Spitze einer kulturellen Transformation, die das Denken und Handeln der gesamten Organisation verändert?
Wahrhaft strukturverändernd wirken die Digitalexpert:innen erst, seit sie Verantwortung tragen und operativ relevant sind. Die Unternehmen geben sich nicht mehr mit ideenreichen Feuerköpfen zufrieden, sondern suchen nach Führungspersönlichkeiten, die Digitalexpertise mit Managementqualitäten verbinden. Chief Digital Officers sollen die Digitalstrategie entwickeln und zugleich unternehmensweit durchsetzen. Sie berichten dem:r CEO oder gehören direkt der Geschäftsführung an. Oftmals verantworten sie in Personalunion die digitale Transformation und die IT oder eine andere SSC-Funktion (Shared Service Center). Sprich: Sie greifen unmittelbar auf die nötigen Ressourcen zu.
Den CSO mit Einfluss ausstatten
Dieser Werdegang kann als Vorbild dienen, sich beim Thema Nachhaltigkeit neu auszurichten. Um zukunftsfähig zu werden, gilt es, Denkweisen zu ändern, frische Perspektiven einzunehmen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und ganze Geschäftsmodelle umzukrempeln. Dazu bedarf es eines:r CSO mit gestalterischer Macht, geliehen direkt von einem:r CEO mit einer klaren Nachhaltigkeitsagenda. Während der Arbeit an der Sustainability-Studie hat Egon Zehnder diesbezüglich eine Reihe erfolgversprechender Modelle kennengelernt. Manche Unternehmen verknüpfen die Rolle des:r CSO mit dem Einkauf. Auf diese Weise erhält Nachhaltigkeit Gewicht in der gesamten Lieferkette. In anderen Organisationen führen CSOs zugleich die Personalabteilung oder einen wesentlichen Geschäftsbereich, oder sie verantworten als CFOs die Finanzen. In einer solchen Funktion diskutieren sie mit anderen Entscheider:innen auf Augenhöhe und können im Zweifel ihr Veto einlegen.
Substanzielle Veränderung: transparent, überzeugend, kollaborativ
Schreiben wir die Berufsbeschreibung „Chief Sustainability Officer“ also um: Gesucht wird eine integrative, lösungsorientierte und umsetzungsstarke Führungspersönlichkeit, die eine ganze Organisation mit ihrer Vision begeistert und Mitarbeiter:innen abteilungsübergreifend zum Handeln bewegt. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette legt der:die CSO über Belange der Nachhaltigkeit Rechenschaft ab, ohne dafür ausschließlich verantwortlich zu sein. Er:sie fördert eine Innovationskultur, ermutigt dazu, alte Zöpfe abzuschneiden, und weckt die Sehnsucht, sich im eigenen Interesse und in dem aller Stakeholder zu verändern. Das funktioniert am besten, wenn er:sie selbst Sustainability durch und durch vorlebt.
In digitalen Zeiten zeichnet „Natives“ aus, dass sie mit der digitalen Welt groß geworden sind – sie kennen gar nichts anderes, unabhängig vom Alter. So ist idealerweise auch ein:e CSO: Er:sie kennt nichts anderes. Gesucht wird also ein „Sustainable Native“. Natürlich geht es nicht ohne Kompetenz. Der:die CSO ist in der Lage, die bisher lineare Wertschöpfung in eine zirkuläre Form des Wirtschaftens überführen zu helfen. Dabei zählt er:sie nicht auf, was verloren geht und welche Opfer jede:r Einzelne erbringen muss. Stattdessen erläutert der:die CSO die Chancen und entwirft eine Zukunft, die anzustreben sich lohnt.
Fazit
Wandel ist mit Aufwand verbunden und kann wehtun. Es ist aber eine Frage der Herangehensweise, wie viel Positives Unternehmen ihm abgewinnen. Lassen sie sich von immer strengeren Regularien treiben? Oder finden sie aus eigenem Antrieb und mit Blick auf eine attraktive und große Vision für eine bessere Zukunft flexible Lösungen für die riesigen, oftmals schwer zu kalkulierenden Herausforderungen? Letztlich kommt es in diesem Prozess auf die Menschen an, die diesen Wandel gestalten. Die jüngere Generation ist mit Fragen der Nachhaltigkeit aufgewachsen. In ihrer DNA ist gleichsam verankert, dass Prosperität und Umwelt- und Klimaschutz einander bedingen. Diese Ausrichtung kann Antrieb und Vorbild auch für moderne CSOs sein.