BERLIN / GÖTTINGEN – 23. März 2021 – Unternehmen wirtschaften sozial und ökologisch nachhaltiger, wenn dem Aufsichtsrat Frauen und Umweltexperten angehören und wenn sich das Gremium regelmäßig verjüngt. Das ist das erste Ergebnis einer Big-Data-Studie zu europäischen börsenorientierten Unternehmen der Personalberatung Egon Zehnder in Kooperation mit der Georg-August-Universität Göttingen.
„Unternehmerische Nachhaltigkeit muss deutlich stärker und systematischer in Aufsichtsräten verankert werden“, konstatiert Dr. Carsten Wundrack, Leiter der deutschen Industrial Praxisgruppe von Egon Zehnder. Die Wirksamkeit des Aufsichtsrats hänge in diesem Zusammenhang statistisch messbar mit zentralen Aspekten von Diversität zusammen: „Unternehmen agieren stärker nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten, wenn im Aufsichtsrat überdurchschnittlich viele Frauen mitentscheiden und wenn der Altersdurchschnitt niedriger ausfällt als gewöhnlich.“ Auch der sprichwörtliche frische Wind wirke sich positiv aus: Laut Wundrack verschieben sich die Gewichte in Richtung Nachhaltigkeit, wenn divers und im Hinblick auf nachgewiesene Nachhaltigkeitsexpertise besetzt wird.
Welche Faktoren beeinflussen unternehmerische Nachhaltigkeit?
Das Studienteam untersuchte große Datenmengen aus insgesamt dreizehn Jahren zu den Themenfeldern Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Das Geschlecht, das Alter, die Amtszeit sowie ausgewiesene Erfahrung von Aufsichtsratsmitgliedern im Bereich Nachhaltigkeit beeinflussen der Studie zufolge die Ausprägung der unternehmerischen Nachhaltigkeit, oft auch „ES Performance“ genannt. Zu diesem Ergebnis kamen Egon Zehnder und die Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, unter der Projektleitung von Professor Dr. Michael Wolff und Katharina Kemmerich, auf Basis von gut 4.100 Einzelbeobachtungen zu 534 europäischen börsenorientierten Unternehmen zahlreicher Branchen.
Unternehmerische Nachhaltigkeit als Aufsichtsratsthema
Die Beteiligten betonen den statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Komposition des Aufsichtsrats und der Entwicklung der unternehmerischen Nachhaltigkeit. Somit handelt es sich nicht um zufällige Trends, sondern um einen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Aufsichtsratsmerkmalen und ES Performance. Die Unternehmen mit dem höchsten Frauenanteil im Aufsichtsrat haben in der Stichprobe eine um sechs Prozentpunkte höhere ES Performance als der Durchschnitt. Gleiches gilt für Alter und Amtszeit: Aufsichtsräte mit den jüngsten Mitgliedern bzw. den geringsten Amtszeiten weisen eine mit jeweils über sieben Prozentpunkten bessere Performance auf. Auch zeigt sich, dass die Existenz eines mit entsprechender Expertise ausgestatteten Nachhaltigkeitsausschusses mit mehr als 13 Prozentpunkten einen erheblichen Einfluss auf die ES Performance der untersuchten Unternehmen hat. In den kommenden Wochen werden die Studienergebnisse mit Aufsichtsgremien diskutiert und vertieft werden.
Für die weitere Arbeit werden aber bereits Hypothesen zur Diskussion gestellt. So sei davon auszugehen, dass Unternehmen mit divers zusammengesetzten Aufsichtsräten über die Komponente unternehmerischer Nachhaltigkeit zukunftsfähiger sind und vom Kapitalmarkt bevorzugt werden. Wundrack begründet das mit der zunehmenden Bedeutung der Nachhaltigkeit für den wirtschaftlichen Erfolg: „Der Druck von Gesellschaft und Investoren, aber auch der sichtbare Wunsch von Unternehmen, sich an Umwelt- und Gesellschaftskriterien zu orientieren, hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen.“ Darin liege eine große Chance für Aufsichtsräte, sich systematisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen und mit den Geschäftsführungen ihrer Unternehmen in einen strategischen Dialog zu treten. Schließlich bedingten diese Aspekte häufig eine fundamentale neue Ausrichtung der Geschäftsmodelle und nicht zuletzt hohe Investitionen. Im europäischen Ausland wurde versucht, dieser Notwendigkeit durch die Etablierung von Nachhaltigkeitsausschüssen in Aufsichtsgremien Rechnung zu tragen. Tatsächlich haben diese laut der Studie „positive Auswirkungen auf die unternehmerische Nachhaltigkeit – insbesondere dann, wenn diese Ausschüsse mit besonderer Nachhaltigkeitsexpertise ausgestattet sind“, so Kemmerich.
Gute Corporate Governance fördert Nachhaltigkeit
Die Studie liefert Indikationen dafür, dass sich Aufsichtsräte stärker auf das strategische Themengebiet der Nachhaltigkeit ausrichten sollten, damit das Thema höher priorisiert und die Unternehmen Anforderungen von Umwelt und Gesellschaft noch konsequenter gerecht werden können. Der Aufsichtsrat kann demnach hier den entscheidenden Unterschied machen und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens weiter ausbauen: „Die Studie zeigt, dass der Aufsichtsrat das entscheidende Gremium ist, um transformative Prozesse im Dialog mit dem Management voranzutreiben“, so Wolff.
Über die „Boards and Sustainability Studie”
Im Rahmen einer Forschungskooperation zwischen Egon Zehnder und der Professur für Management und Controlling der Georg-August-Universität Göttingen werden in der „Boards and Sustainability Studie“ die Daten von 534 Unternehmen aus dem europäischen Raum auf Basis von gut 4.100 Einzelbeobachtungen analysiert. Mithilfe systematisch aufbereiteter empirischer Daten und verschiedener darauf angewandter ökonometrischer Analysen können Aussagen über Charakteristika im Board getroffen werden, die die ES Performance von Unternehmen beeinflussen. Die Datengrundlage stammt aus in der Wissenschaft gängigen Datenbanken (z. B. Thomson Reuters, Datastream, BoardEx) und aus den Geschäftsberichten der Unternehmen.
Über den Lehrstuhl für Management und Controlling, Georg-August-Universität Göttingen
Unter dem Lehrstuhlinhaber Professor Dr. Michael Wolff befasst sich das Team des Lehrstuhls für Management und Controlling in Lehre, Forschung und Praxis mit verschiedenen Aspekten von Corporate-Governance-Systemen. Die Forschungsaktivitäten des Lehrstuhls sind empirisch ausgerichtet und untersuchen u. a. die Zusammensetzung von Aufsichtsräten und deren Auswirkung auf die Unternehmensführung. Angesiedelt ist der Lehrstuhl an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Die Universität Göttingen ist eine international bedeutende Forschungsuniversität mit langer Tradition. Mit 13 Fakultäten deckt sie ein differenziertes Fächerspektrum in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Medizin ab.
Über Egon Zehnder
Egon Zehnder ist das führende Beratungsunternehmen für Executive Search und Leadership Advisory im deutschen Sprachraum. Die Besetzung von CEO- und Spitzenpositionen für Konzerne und Familienunternehmen, Start-ups und Institutionen der öffentlichen Hand gehört dabei ebenso zum Leistungsportfolio wie eine langfristige Nachfolgeplanung und die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten, Teams, Organisationen und Unternehmenskulturen.
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