War der Aufsichtsrat früher vor allem ein Kontrollgremium, ist er heute zusätzlich Strategie- und Sparringspartner für das C-Level. Auch strategische HR-Expertise ist gefragt. Beim CHRO-Roundtable von Egon Zehnder erläuterte Multi-Aufsichtsrätin Gabriele Sons im März, welche Anforderungen an HR-Verantwortliche gestellt werden, wenn sie ein Aufsichtsratsmandat übernehmen. Und gab konkrete Tipps: Wie bereitet man sich auf ein Mandat vor?
Viele Unternehmen folgen bei der Besetzung ihres Aufsichtsrats einem bestimmten etablierten Muster. In der Regel gibt es zwei Finanzexpert:innen, die Auditing und Accounting im Blick haben. Dann braucht es Branchenkenner:innen: eine oder mehrere Personen, die genau wissen, in welchem Umfeld sich das Unternehmen bewegt und was sich am Markt tut. Je nach Ausrichtung des Unternehmens kommen ein:e Spezialist:in oder ein:e Expert:in für weitere strategisch wichtige Themen hinzu: Das ist dann zum Beispiel jemand, der Nachhaltigkeit oder KI im Blut hat, oder der Kompetenz für das Thema Diversity mitbringt. Und dann fehlt noch ein:e Vertreter:in der Hauptaktionäre und das Governance-Team steht.
Blick in die Praxis: HR-Expertise in Aufsichtsräten fehlt
Mit diesen typischerweise rund sechs Mitgliedern sind die meisten Aufsichtsräte der Anteilseignerseite dann auch schon „voll“, fasst Gabriele Sons beim CHRO-Roundtable von Egon Zehnder im März 2025 die Sachlage zusammen. Sie bringt mehr als 25 Jahre Erfahrung als Rechtsanwältin, Vorständin, Aufsichtsrätin und Geschäftsführerin in verschiedenen Branchen mit und spricht daher aus Erfahrung. Aktuell ist sie beispielsweise Aufsichtsrätin beim Turbolader-Hersteller Accelleron und beim Automobilzulieferer ElringKlinger.
Mit den CHROs beim aktuellen Roundtable ist sich Sons in einer Diagnose einig: Bei dieser Standardbesetzung fehlt es in den Aufsichtsräten an HR-Perspektive. In einer kurzen Umfrage unter den Teilnehmer:innen des Roundtables zeigt sich: Nur rund ein Viertel der erfahrenen HR-Verantwortlichen in der Runde ist in mindestens einem Aufsichtsrat aktiv. Nur vereinzelt melden sich CHROs, die in mehreren Aufsichtsräten vertreten sind.

Damit schneiden die Roundtable-Teilnehmer:innen noch vergleichsweise gut ab, analysiert Sons. In einer breit angelegten Umfrage gaben 45 von 150 DAX-Unternehmen an, über HR-Expertise im Aufsichtsrat zu verfügen. Unter den befragten Aufsichtsratsmitgliedern bezeichneten sich in der Umfrage zwar 52 der 716 Personen als HR-erfahren. Ein genauer Blick auf die Umfrageergebnisse zeigt aber: Nur vier Prozent hatten wirklich fachliche HR-Management-Erfahrung und eine einschlägige Ausbildung.
Die größte Fehleinschätzung: „HR kann doch jede:r“
Genau diese Fehleinschätzung der eigenen Expertise sei eines der Hauptprobleme, sagt Sons. „Viele glauben, HR kann jede:r. Oder dass die Vertreter:innen der Arbeitnehmerseite automatisch die Sicht der HR einnehmen. „Ein großer Trugschluss“, so die erfahrene Aufsichtsrätin. „Bei einem Menschen, der sich nebenbei ein bisschen Finanzwissen angeeignet hat, käme ja auch keiner auf die Idee zu sagen: Der oder die ist jetzt unser:e Finanzer:in.“
Hinzu kommt: Viele aus dem C-Level schreiben HR-Fachleuten nicht die strategischen Kompetenzen zu, die es aus ihrer Sicht im Gremium braucht – und daran seien zum Teil auch die Personaler:innen selbst schuld, sagt Sons. Sie kenne viele HR-Verantwortliche, die absolute Profis auf ihrem Gebiet sind – die aber „nicht aus ihrer Blase herauskommen“. Heißt: Sie verharren in ihrem Fachbereich, konzentrieren sich auf operative Aufgaben. Und sie setzen sich zu selten strategisch mit dem Geschäftsmodell oder der Branche des Unternehmens auseinander. Interesse an diesen Themen und strategisches Denken mit Blick auf das Gesamtunternehmen sind aber unverzichtbare Kompetenzen für Menschen, die entweder als CHRO oder im Aufsichtsrat Verantwortung übernehmen wollen.
Aufsichtsrätin Sons rät HR-Verantwortlichen, die sich eine Position im Aufsichtsrat vorstellen können: „Gehen Sie einfach mal mit zum Kunden oder in die Produktion. Schauen Sie, was dort passiert, wie die Menschen arbeiten und wie das Business ganz praktisch aussieht.“ Das hat Sons auch selbst getan, berichtet sie. Als sie um die Jahrtausendwende Managing Director beim Dienstleister und Caterer Compass war, habe sie einmal nachts in der Großküche mitgekocht und anschließend das Essen ausgefahren. „Wenn man so was mal gemacht hat, dann versteht man den Kunden einfach besser und weiß, warum sich die operativen Kolleg:innen über das Arbeitszeitmodell oder anderes ärgern.“ Dieses Wissen braucht es aus ihrer Sicht, um strategische:r Partner:in im Aufsichtsrat zu sein.
Denn während der Aufsichtsrat früher vor allem ein Kontrollgremium war, ist er heute zusätzlich Strategie- und Sparringspartner. Diesen Anforderungen müssen HR-Verantwortliche gerecht werden, wenn sie ein Mandat übernehmen wollen.
Vorbereitung ist alles: 4 Schritte zum Aufsichtsratsmandat
Wie bereitet man sich konkret auf ein Aufsichtsratsmandat vor? Diese Schritte helfen laut HR-Expertin Sons auf dem Weg in die Aufsichtsräte:
1. Qualifikation erweitern
Wer im Aufsichtsrat sitzt, muss sich mit vielfältigen Themen auseinandersetzen – auch über die eigene Expertise und Erfahrung hinaus. Klassiker sind strategische Themen wie Finanzen und operatives Geschäft sowie Nachhaltigkeit und KI. Hinzu kommen branchenspezifische Themen oder regulatorische Änderungen wie zuletzt etwa bei den Lieferketten. Aufsichtsratsmitglieder müssen up to date bleiben und motiviert sein, sich in neue, fachfremde Themen einzuarbeiten. Verantwortung auf C-Level-Ebene zu übernehmen, kann hier ein wichtiger erster Schritt sein. „Meine Erfahrung auf Geschäftsführungsebene hat mir so viele Türen geöffnet, weil mich andere aufgrund dessen als kompetent eingestuft haben“, berichtet Sons.
2. Sichtbarkeit erhöhen
Aufsteigen kann nur, wer von den Entscheider:innen wahrgenommen wird. Ein Weg können HR-Beiträge zu strategischen Themen sein, etwa in der Zeitschrift BOARD des Arbeitskreis deutscher Aufsichtsräte. „Dafür habe ich regelmäßig Beiträge verfasst, die das klare Ziel hatten, zu zeigen: HR gehört in den Aufsichtsrat“, berichtet Sons. In solchen Beiträgen kann es auch darum gehen, den Aufsichtsratsmitgliedern strategische Themenkomplexe der HR-Welt aufzuzeigen, die sie vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben, die aber hochrelevant für ihre Entscheidungen und die Geschicke des Unternehmens sind. „Und je häufiger solche Artikel erscheinen, desto schneller stellt sich bei Entscheider:innen das Gefühl ein: Diese Kompetenz brauchen wir im Aufsichtsrat“, sagt Sons.
3. Netzwerk strategisch aufstellen
Raus aus der Bubble! So wichtig die Beziehungen zu Expert:innen auf HR-Seite sind: Sie verhelfen nicht zum ersten Mandat. Menschen, die Teil eines Aufsichtsrats werden wollen, müssen die Personen kennen, die über dessen Besetzung entscheiden. „Ich bin beim Netzwerken ganz bewusst neben den HR-Communities auch in Business-Netzwerke eingestiegen“, erzählt Sons. „Ich wollte andere Menschen treffen, die in Aufsichtsräten sitzen oder diese bestücken.“ Letztlich sei sie in zwei ihrer aktuell drei Mandate über dieses Netzwerk gekommen: „Das Netzwerken zahlt sich also aus.“
4. Advocate for HR
Hat HR schon nicht viel Platz im Kopf der Geschäftsführung oder auf Vorstandsebene, dann wird es wohl auch keinen Platz für HR-Themen im Aufsichtsrat geben. HR-Fachleute müssen also für ihren Bereich werben, ihm Raum verschaffen. Entsprechend lassen sich auch die eigenen Karriereschritte planen. Statt sich zum Ziel zu setzen, zur HR-Koryphäe zu werden, sollte das Ziel sein, in die Geschäftsführung oder den Vorstand aufzusteigen. Mit dieser Vision vor Augen lässt sich die eigene Karriere leichter in Richtung Aufsichtsratsmandat steuern. „Dann ist etwa eine Stelle bei einem Mittelständler in der Geschäftsführung attraktiver als die schöne, gut bezahlte Personalfunktion unterhalb des Vorstands in einem Konzern“, sagt Sons.
Unter dem Strich steht bei allen vier Schritten im Kern die Bereitschaft und die Motivation, sich fachlich und inhaltlich weiterzuentwickeln, und die HR-Bubble zu verlassen. Doch, da ist Sons beim Roundtable ganz ehrlich: Es gehören auch eine Prise Glück und das richtige Timing dazu. Es gilt, nicht nur die richtigen Leute zu kennen, sondern auch zur richtigen Zeit auf deren Radar zu erscheinen. Im Bestfall nämlich dann, wenn gerade eine Vakanz besteht oder sich ein neuer Aufsichtsrat formt. Um bei der passenden Gelegenheit parat zu stehen, müssen CHROs bereits alle Kompetenzen im Koffer haben – und dann auch den Mut mitbringen, die Chance zu ergreifen.