Die Turbulenzen der letzten Jahre haben gezeigt: Krisen gehören zur neuen Normalität. Ihnen zum Trotz erfolgreich zu agieren bedeutet, sich an die neuen Umstände anzupassen und dadurch die Resilienz des Unternehmens zu stärken. Bei einem CHRO-Roundtable von Egon Zehnder diskutierten 45 CHROs diese neuen Herausforderungen zusammen mit Sybille Reiß, Chief People Officer (CPO) & Arbeitsdirektorin der TUI Group.
Kürzere Reisezeiten, digitale und spontane Buchungen, dafür immer seltener eine langfristige Reiseplanung – in der Reisebranche konnten in den vergangenen Jahren vielfältige und teils herausfordernde Trends beobachtet werden. Langstrecken- und Gruppenreisen sind out, dafür reisen Kund:innen lieber innerhalb Europas und solo. Gleichzeitig erhöhen große internationale Unterschiede in den Erwartungen der Reisenden die Komplexität der Dienstleistung: Während beispielsweise in Skandinavien kaum mehr Reisebüros zu finden sind, bleibt der persönliche Beratungsbedarf in Deutschland hoch. Was machen diese Veränderungen mit der Reisebranche, und welchen Einfluss nehmen sie auf die Realität der Arbeitswelt? Welche Erkenntnisse und Ableitungen ergeben sich daraus auch für andere Industrien?
COVID-19: Herausforderungen für die Reisebranche als Arbeitgeber
Um diese zu skizzieren, stellte Sybille Reiß beim Roundtable die Erkenntnisse sowie Erfahrungen des Konzerns aus den vergangenen Jahren vor. Bereits bei ihrem erfolgreichen Wandel von einem fragmentierten Reisedienstleister zu einem integrierten Reisekonzern hatte die TUI Group bewiesen, dass das Unternehmen Veränderungen erfolgreich vornehmen kann. Nun sah sie sich allerdings mit einem erneuten Veränderungsdruck konfrontiert.
Das Wirtschaftsjahr 2020/2021 verlief für die Reisebranche im Krisenmodus: Nicht nur der nahezu vollständige Einbruch des Reiseverkehrs, sondern auch die notwendige Rückführung der Gäste stellten große Herausforderungen dar. Ein Konzern mit 60.000 Mitarbeitenden, praktisch über Nacht ohne Umsatz: Um in so einer Situation überhaupt überleben zu können, war neben Finanzierungs- und Hilfspaketen auch eine umfangreiche Restrukturierung unumgänglich. Dabei, so Sybille Reiß, rückte die Rolle von Human Resources in einen besonderen Fokus: Stellenabbau und Kurzarbeit, aber auch der Wegfall von branchenüblichen Saisonverträgen, waren für die betroffenen Mitarbeiter:innen eine große Belastung. Gleichzeitig die eigenen Leute trotz dieses hohen Abbaus motiviert zu halten und Verständnis für die Situation zu schaffen, ist nur mit Hilfe intensiver Kommunikation möglich. Mit dieser Erfahrung ist TUI nicht allein. Auch die Roundtable-Teilnehmer:innen, die Erfahrungen aus unterschiedlichen Branchen zusammentrugen, waren sich einig, dass transparente Kommunikation einer der wichtigsten Einflussfaktoren für eine erfolgreiche Transformation ist.
Doch auch nachdem die ersten Krisenmonate überwunden waren, rückte die Personalabteilung keinesfalls in den Hintergrund. Im Gegenteil: Zwar erlebte die Wirtschaft im darauffolgenden Wirtschaftsjahr eine relative Erholung, gleichzeitig führte diese in der Touristik jedoch zu einem harten Arbeitsmarkt und einer schnellen Rückkehr der Unternehmen auf den personellen Wachstumskurs. Ein Umstand, der eine Weiterentwicklung der Personalstrategie unumgänglich machte. Für TUI wurde damit die größte Herausforderung, „das Vertrauen in die Reisebranche als Arbeitgeber wieder zu stärken“, so die CPO.
Digitale Transformation als Chance und Herausforderung
Die Krise hatte jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, sondern auch auf die Art der Zusammenarbeit und Kommunikation – sowohl innerhalb des Unternehmens als auch nach außen. Einigkeit bestand beim größten Learning aus den herausfordernden Monaten: Das sahen die Teilnehmer:innen der Diskussion in der Digitalisierung. Sowohl die schnell wechselnden Kund:innenerwartungen an digitale Angebote als auch die unumgängliche interne Digitalisierung in den Unternehmen sind zwei wesentliche Treiber dieser Entwicklung.
Sybille Reiß berichtete im Zuge dessen vom Bestreben des TUI-Konzerns, in der Transformation hin zu einem globalen Plattformunternehmen einen starken Fokus auf digitale Dienstleistungen zu legen und damit auch die Zentralisierung von Kernprozessen zu ermöglichen. In Verbindung mit einer globalen Unternehmenskultur wird so die Basis für die digitale Zusammenarbeit marktübergreifender, internationaler Teams geschaffen. Diese Entwicklungen wirken sich auf die Art der Arbeit aus: Es entstehen neue Arbeitsmodelle und Arbeitswelten, die auch eine Anpassung der Personalstrategie erfordern.
Eine gleichzeitige interne und externe Transformation verläuft jedoch nicht immer reibungslos: Deshalb braucht Mut zum Wandel eine offene Fehlerkultur, denn: „Es kann auch passieren, dass zu viel zu schnell digitalisiert wird – das hat viele unserer Kund:innen überfordert. Wir mussten zurückspulen und korrigieren“, berichtete Sybille Reiß.
Kultur und Mindset im Zentrum des Wandels
„Arbeit ist das, was wir tun, nicht wo wir hingehen“ – so lautet das Credo des TUI Way of Working. Im Mittelpunkt der Personalstrategie stehen heute die Unternehmenskultur und der gemeinsame Mindset, erklärte Sybille Reiß. Als Basis für die Zusammenarbeit wirken die Unternehmenswerte, mit denen sich die Mitarbeiter:innen identifizieren können – und lösen damit die Funktion des Büros als zentraler Ort eines Zugehörigkeitsgefühls ab. Dazu gehören auch die gegenseitige Unterstützung und Weiterentwicklung, ob aus dem Büro oder von zuhause aus. Das Büro wiederum wird zum Ort des Geschehens, um diese Kultur und Werte nicht nur digital zu (er)leben: ein Treffpunkt für Austausch und Zusammenarbeit, kreatives Arbeiten, Netzwerken, Veranstaltungen, Fortbildungen und persönliche Erlebnisse. Dies stellt neue Anforderungen an die Unternehmensstandorte, im Sinne einer Balance aus klassischen Büros, offenen Räumen und Flächen für eine geeignete Zusammenarbeit.
Neben den gemeinsamen Werten und dem Arbeitsumfeld zahlen die Aspekte Führung, Organisation und Technologie auf die Kultur und das Mindset ein, so Sybille Reiß: „Führungspersönlichkeiten haben die Aufgabe, den Wandel zu unterstützen, ihre Teams zur Selbstorganisation zu befähigen und insbesondere ein Arbeitsumfeld mit Vertrauen und Offenheit zu erschaffen. Globale, agile Teams schaffen ein innovationsförderndes Arbeitsumfeld bei TUI – unterstützt durch IT-Lösungen und Formate, die eine hybride, inklusive Zusammenarbeit und eine effiziente Kollaboration unter Mitarbeiter:innen fördern.“
Attraktivität durch neue Arbeitswelten
Neue Arbeitswelten standen auch in der folgenden Diskussion des Roundtables im Fokus. Bei all den tiefgreifenden Veränderungen, die Transformation den Unternehmen abverlangt, ist es gerade der Arbeitsplatz, dem eine fundamentale Neubewertung widerfahren ist. Die CHROs waren sich einig: Der Trend zur mobilen Arbeit – ob von zuhause oder unterwegs – wird sich auch in Zukunft branchenübergreifend fortsetzen. Dies stellt HR vor neue Herausforderungen.
Nicht alle Mitarbeiter:innen können unabhängig von ihrem Arbeitsort tätig sein – beispielsweise Personal, das an Bord von Airlines oder in Hotels arbeitet –, sodass das mobile Arbeiten nicht allen zur Verfügung steht. Dafür werde diese Freiheit von denjenigen, die von ihr Gebrauch machen können, umso mehr geschätzt. Dieses Problem des Zugangs zu mobilem Arbeiten kann auch in anderen Industrien beobachtet werden, bestätigt ein CHRO aus dem Wissenschaftsmanagement. Die Möglichkeit eines Ausgleichs für diejenigen, die nicht remote arbeiten können, gebe es bislang jedoch nicht.
Neben organisatorischen Hürden wurden auch die Auswirkungen von mobiler Arbeit diskutiert. So haben die anwesenden CHROs sich mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern die Freiheiten der neuen Arbeitswelt im Konflikt mit der Gemeinschaft des Unternehmens stehen. Was, wenn Flexibilisierung die Zusammenarbeit gefährdet? Eine zeitgemäße Lösung kann hier nicht die Zurücknahme der Flexibilität am Arbeitsplatz sein. Vielmehr brauche es enge, antizipative Führung. Zusätzliche Anreize können ebenfalls einen Beitrag leisten: Gerade an beliebten Homeoffice-Tagen wie Montag und Freitag kann beispielsweise ein gemeinsames Frühstück unter Mitarbeiter:innen Gemeinschaft stiften. Auch einladende und attraktive Arbeitsflächen, die an die neuen Anforderungen der Zusammenarbeit angepasst sind, können dazu motivieren, das Zuhause zu verlassen.
Insgesamt beleuchtete die Diskussion ein breites Spektrum an Herausforderungen, aber auch Chancen der sich wandelnden Arbeitswelten – nicht nur in der Reisebranche. Als zentrale Erkenntnis fasste Dirk Mundorf, Berater in der deutschen HR-Praxisgruppe von Egon Zehnder, in einem abschließenden Statement zusammen: „Die Transformation der Arbeitswelt wird sich auch zukünftig nicht bremsen lassen, ganz gleich ob in Krisenzeiten oder nicht. Wichtig ist, die Mitarbeiter:innen vorzubereiten und sie bei jedem Schritt zu begleiten. Führungspersönlichkeiten und Unternehmen müssen Veränderungsprozesse transparent und nachvollziehbar gestalten, um ihren Angestellten auch in schwierigen Zeiten Halt zu geben.“