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Zeitgemäße Geopolitik: Werte oder Pragmatismus?

Weiter denken: Wie viel Pragmatismus braucht die Geopolitik?

Werteorientierte Unternehmensführung auf der einen Seite, der Wunsch nach mehr Pragmatismus in der Geopolitik auf der anderen – in der Umfrage von Egon Zehnder wünschen sich 87 Prozent der CEOs und Aufsichtsratsvorsit­zenden eine pragmatischere, weniger werteorientierte Geopolitik. Auf den ersten Blick wirkt dieses Umfrageergebnis überraschend – schließlich wissen wir, dass in Familienunternehmen und auch in börsennotierten Unter­nehmen das Thema werteorientierte Unternehmensführung sehr weit oben auf der Agenda steht.

Ein genauerer Blick in die Begründungen der Führungspersönlichkeiten für diese Haltung aber zeigt: Der Wunsch nach mehr Pragmatismus in der Geo­politik steht in ihrer Wahrnehmung nicht im Widerspruch zu dieser Haltung.

„Werteorientierung und Pragmatismus sind nicht notwendigerweise Widersprüche“, konstatiert ein CEO in der Umfrage. Ein anderer ergänzt: „Wir brauchen eine Klarheit in Deutschland, wie wir beides miteinander verbinden. Aus meiner Sicht kann das möglich sein. Aber es muss besprochen und verhandelt werden. Dazu braucht es eine Haltung und ein gegenseitiges Verständnis der Policymaker einerseits und der Unternehmen andererseits.“

Ein weiterer Teilnehmer fragt: „Wer will uns eigentlich glauben machen, dass pragmatisches Handeln nicht werteorientiert sein kann? Seit Jahren verdeutliche ich die werteorientierte Kultur und Handlungen meines Unternehmens in China, ohne dabei meine Handelspartner zu belehren oder so zu verärgern, dass Kooperationen unmöglich werden.“

Die Befragten sehen aber dort Grenzen erreicht, wo vermeintlich wertegetrie­bene politische Debatten notwendigen handelspolitischen Entscheidungen im Weg stehen: Etwa dann, wenn man nicht einmal mit einem liberalen, west­lichen Land wie Australien ein Freihandelsabkommen hinbekomme.

Viele Unternehmensverantwortliche haben in der Umfrage auch mehr Ehrlichkeit eingefordert. Sie sagen zum Beispiel: Ein Decoupling von China sei unrealistisch – und das sollte man so auch benennen. Einigen geht es zudem um eine prinzipiell neutralere Haltung in der Geo­politik. So erklärt etwa ein CEO: „Wir haben zu akzeptieren, dass andere Regionen, Kulturen und Menschen andere Wertesysteme und Ethiken haben. Wir sollten uns nicht selbst erhöhen und uns als den Maßstab für den ‚Rest der Welt‘ sehen – der immerhin mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung im Vergleich zu Nordamerika und Europa ausmacht.“

Ähnlich argumentieren viele Befragte, die sich insgesamt mehr Kompetenz und Ehrlichkeit in der geopolitischen Debatte wünschen: „Wir brauchen mehr Hintergrundwissen und ein tieferes Verständnis über die geopolitischen Zusammenhänge in unserer Welt. Daraus sollten wir Schlüsse ziehen für die Werte, die wir vertreten wollen. Oberflächlichkeit und Populismus sind lang­fristig gesehen Gift für die Zukunft unseres Landes.“

Mit solchen Positionen wollen die Befragten in der Politik und in der öffentlichen Debatte mehr Gehör finden – und sich auch selbst einbringen. „Es müsste ein Kreis aus erfahrenen Wirtschaftsexpert:innen und Politiker:innen gebildet werden, um eine Strategie zum Ausbau der Wirtschaftsmacht Deutschlands zu entwickeln. Hieran würde ich gern mitwirken“, schreibt etwa ein Umfrageteilnehmer.

Unterm Strich lässt sich der Wunsch nach einer pragmatischeren Geopolitik in diesem Sinne vor allem als einen Appell an die Politik lesen, in einen konst­ruktiveren Dialog zu gehen: Werte und Wirtschaft sollten nicht als Gegensatz gesehen werden. Und: Es braucht in der Politik mehr Interesse und Verständnis für die Perspektive der Unternehmen bei geopolitischen Entscheidungen und Debatten.
 

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