Ein gutes Team leistet mehr als die Summe seiner Teile, in einem schlecht funktionierenden dagegen verkümmern selbst Top-Talente. Unternehmen aber brauchen hervorragende Teams auf allen Ebenen, besonders aber an der Spitze, um die vielfältigen Anforderungen, mit denen sie sich heute konfrontiert sehen, zu bewältigen. Mit der neuen Methodik eines Team Effectiveness Review lassen sich die Stellhebel identifizieren, um ein Team zur Höchstleistung zu bringen und auf die strategischen Ziele der Organisation auszurichten.
Es ist noch nicht sehr lange her, da galt das Kollegialprinzip, das Jahrzehnte lang den Stil auf vielen deutschen Führungsetagen geprägt hatte, als hoffnungslos überholt: zu langsam, zu reaktionsschwach, zu sehr dem konsensual erzielten Mittelmaß verhaftet – vor allem im internationalen Vergleich. Vieles an dieser Kritik traf zu, denn die Zusammensetzung der Führungsmannschaft war zumeist wenig systematisch erfolgt. Daran hat sich in den vergangenen Jahren viel geändert. Eine professionell begleitete Executive Search für die Besetzungen von Top-Positionen oder Management Appraisals, durch die sich die Kompetenzprofile von Kandidaten mit den Anforderungen für anspruchsvolle Führungsaufgaben abgleichen lassen, gelten heute als anerkannte Instrumente. Immer mehr Unternehmen rekrutieren und fördern zudem ihre Top-Talente im Rahmen eines strategischen Talentmanagements, das sich an den langfristigen Zielen der Organisation orientiert.
Mag das deutsche Kollegialprinzip traditioneller Ausprägung insgesamt nicht mehr zeitgemäß gewesen sein, so wies es allerdings ein Merkmal auf, das heute noch – oder wieder – hochaktuell ist: Es setzte auf die Leistung der Unternehmensführung als Team. Gerade die komplexen Anforderungen, mit denen sich Unternehmen jeder Branche heute konfrontiert sehen, erfordern ein Maß an Reaktionsfähigkeit, Geschwindigkeit, Qualität und ständiger Anpassung, das selbst der beste Top-Manager als Solist nicht mehr leisten kann. Die gegenwärtige Krise, die viele Firmen zur strategischen Restrukturierung zwingt, hat die Anforderungen noch einmal exponentiell erhöht.
Diese Vielfalt an Aufgaben kann nur ein hochqualifiziertes und vor allem gut eingespieltes Führungsteam bewältigen, das auch unter hohem Druck erfolgreich arbeitet und seine langfristigen Ziele dabei nicht aus den Augen verliert. Damit stellt sich die entscheidende Frage, wie sich die Leistungsfähigkeit des Führungsteams insgesamt beurteilen und systematisch verbessern lässt.
Denn zahlreiche Teams in Unternehmen funktionieren nicht oder nicht gut. Es wird oft zu viel diskutiert und zu wenig gehandelt. Nabelschau und allein auf die eigene Gruppe zentriertes Denken verhindern Anstöße von außen oder kritische Gegenstimmen von innen, und ausgerechnet in schwierigen Situationen versagt die Gruppe manchmal ganz. Zyniker behaupten gar, Team sei ein Akronym für die Haltung: „Toll, ein anderer macht’s!“
Schwache Teamperformance ist immer ein Problem. Aber sie ist besonders fatal, wenn sie an der Unternehmensspitze stattfindet und sich das Unternehmen zudem gerade in einer schwierigen Phase befindet. Nicht nur, um solche Schwächen rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, sondern vielmehr, um die Leistungen von Teams in Unternehmen zur Höchstform und in Einklang mit den strategischen Zielen der Organisation zu bringen, bedarf es also neuer Bewertungsmaßstäbe.
Talentmanagement – Die nächste Generation
Seit Jahrzehnten untersuchen Organisationswissen-schaftler, was gute von schlechten Teams unterscheidet und versuchen zu erklären, wie es etwa im Fußball ein unbekannter Aufsteiger aus der Provinz wie die TSG Hoffenheim schaffen konnte, die hochbezahlte Starmannschaft von Bayern München zu überrunden. Oder warum den Kickern vom FC Barcelona zur Zeit fast alles gelingt und dem – gemessen an der Qualität und Klasse der einzelnen Spieler – gleichstarken Erzrivalen Real Madrid fast nichts.
Auch wir beobachten in unserer Beratungspraxis des Öfteren, dass manche Teams trotz Führungskräften mit überdurchschnittlichem Kompetenzprofil nicht ihr volles Potential entfalten. Woran liegt das? Was bewirkt, dass ein gutes Team mehr ist als die Summe seiner Teile respektive Mitglieder und ein schlechtes viel weniger als das? Und wie lassen sich die personellen Anforderungen an die Führungsmannschaft mit der Strategie des Unternehmens in Einklang bringen?
Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen und im Hinblick auf die Bedeutung, die gutfunktionierende Führungsteams gerade in Krisenzeiten und nicht zuletzt für den schnellen und erfolgreichen Neustart danach haben, hat Egon Zehnder eine neue Diagnostik entwickelt, den Team Effectiveness Review (TER). Es geht darum, die im Unternehmen vorhandenen Teamstrukturen, -prozesse und -verhaltensweisen offenzulegen und zu optimieren – sei es grundsätzlich, im Hinblick auf eine spezifische Herausforderung oder um die bestmögliche Kombination der Führungskräfte für ein neu zu formierendes Team zu finden. Insofern bildet ein TER einen neuen, integralen Bestandteil eines umfassend verstandenen, modernen Talentmanagements. Genauer: Es geht um die Erweiterung des Fokus von den Qualitäten des einzelnen Top-Talents auf die Leistungsfähigkeit ganzer Gruppen von Führungskräften.
Die sechs Dimensionen guter Teamarbeit
Für die Entwicklung dieses neuen Ansatzes haben wir rund 150 akademische Quellen untersucht und dabei die konzeptionellen Ideen der gut zehn wichtigsten Denkschulen zum Thema Team analysiert. Gestützt auf die Ergebnisse der Wissenschaft und ergänzt um den tiefen Einblick in die Praxis von Organisationen aus unseren eigenen Beratungsprojekten haben wir schließlich sechs Dimensionen abgeleitet, die für die Effektivität von Teams entscheidend sind. Dies sind:
- Alignment bezeichnet den Grad, in dem jedes Teammitglied sich über die Zielsetzung des Teams und die Einordnung in den weiteren Rahmen der Organisation klar ist und sich alle gemeinsam auf dieses Ziel fokussieren.
- Balance trifft eine Aussage über das Maß an Diversität der Fähigkeiten und Stärken im Team und wie dieses aktiv genutzt wird, um gesetzte Ziele zu erreichen.
- Resilience bewertet die Fähigkeit der Gruppe, extreme interne und externe Spannungen zu ertragen und unter schwierigen Bedingungen erfolgreich zu arbeiten.
- Energy misst, wie es gelingt, als Mannschaft langfristig ein hohes Maß an Eigendynamik, ehrgeiziger Zielsetzung und Initiative zu erreichen und zu halten.
- Openness meint die Offenheit des Teams für Anregungen aus und Kontakte mit der Umwelt. Damit ist sowohl die restliche Organisation als auch das weitere Unternehmensumfeld gemeint.
- Efficiency bezeichnet den Grad, in dem das Team Ressourcen und Zeit effizient nutzt, um das angepeilte Ergebnis zu erreichen.
Bei jeder dieser Dimensionen wird im TER untersucht, ob das Team deren Bedeutung wahrnimmt und wie es damit umgeht. Je nach Stärke der Ausprägung der jeweiligen Dimension lassen sich in der Analyse später effektive von weniger effektiven Strukturen unterscheiden. Aus der schwachen Ausprägung bestimmter Dimensionen lassen sich zum Beispiel typische Dysfunktionen und Erklärungen für eine insgesamt schlechte Gruppenleistung ableiten. So sind Teams, die in den Dimensionen Efficiency und Alignment schlecht abschneiden, oft Debattierclubs, die sich in endlosen Diskussionen verstricken, ohne zu Entscheidungen zu kommen. Ein Mangel an Offenheit und Balance kennzeichnet Gruppen, in denen besonders argwöhnisch auf die „Stammeszugehörigkeit“ geachtet wird, und die damit Gefahr laufen, dass neue Marktentwicklungen an ihnen vorbeigehen. Solche Ergebnisse mögen zunächst nicht wirklich überraschend wirken, doch ist den Beteiligten ihr Verhalten meist nicht klar. Durch die Analyse und Diskussion im TER werden solche Themen erstmals offengelegt und angesprochen. Damit ergeben sich auch unmittelbare Ansätze für Verbesserungsmöglichkeiten.
Ein differenziertes Bild
Natürlich ist nicht in jeder Situation, in der sich ein Unternehmen befindet, eine gleich starke Ausprägung aller Dimensionen erforderlich. Auch hier kommt es entscheidend auf die zu bewältigenden Aufgaben oder die langfristige Unternehmensstrategie an. So geht es bei einem Turnaround zum Beispiel darum, dass die Führungsmannschaft vor allem in den Eigenschaften Resilience, Efficiency und Alignment hohe Werte aufweisen sollte, also sehr gut mit Widerständen umgehen kann sowie die vorhandenen Ressourcen in kurzer Zeit optimal und zielgerichtet nutzt. In Phasen ausgeprägten Wachstums sind dagegen vor allem Energy und Alignment gefragt, um Richtung und Momentum nicht nur im Team, sondern in der gesamten Organisation zu erhalten.
Der neue Finanzchef eines großen Telekom-Ausrüsters etwa setzte einTER ein, um sein oberstes Führungsteam zügig auf die aktuelle substantielle Krise einzustellen. Die Gruppe umfasste jene 14 Top-Manager, die direkt an den CFO berichteten. Das Unternehmen kämpfte seit geraumer Zeit mit großen wirtschaftlichen Problemen. Nun ging es darum, die geplanten strategischen Geschäftspartnerschaften wirkungsvoll voranzutreiben und insgesamt effizienter zu arbeiten. Ein TER sollte aufzeigen, welche unerkannten personellen Probleme dies verhinderten.
In der Tat förderte der Team Review Schwächen bei Efficiency und Openness zutage. Entscheidungen wurden oftmals durch immer neues Hinterfragen verschleppt, Impulse der Kollegen aus anderen Funktionen und notwendige Abstimmungen mit dem Rest der Organisation selten systematisch genutzt. Auch die strategische Ausrichtung war noch nicht ausreichend verinnerlicht und führte zu häufigen Diskussionen und Missverständnissen, man verlor sich zu schnell in Details. Andererseits gab es in anderen Dimensionen eine gute Basis: Das Team war offensichtlich entschlossen, die Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Jeder Einzelne engagierte sich auch für die Kollegen und nutzte wiederum die Stärken der anderen – mit Ausnahme eines Einzelgängers, der immer wieder die gemeinsame Arbeit torpedierte. In diesem Fall unterstützt durch ergänzende Management Appraisals, wurde zunächst die Teamstruktur verändert – der Blockierer verließ das Team, zwei Verantwortungsbereiche wurden zusammengelegt, einige Rollen anders verteilt und in der Summe das Kernteam von 14 auf zehn Personen verkleinert. Drei Manager, deren persönliche Profile sie als Treiber anstehender Veränderungen ausgewiesen hatten, wurden als Task Force mit der Umsetzung der notwendigen Transformation auch über den Finanzbereich hinaus betraut. Der CFO selbst erkannte, dass er sein Top-Team künftig wesentlich intensiver anleiten musste, als er es bisher mit einem eher konsultativen Coaching-Stil gehandhabt hatte.
Gruppen- und Einzelbewertung
Jedes TER beginnt damit, dass die Teammitglieder sich selbst und ihr Team systematisch einschätzen und bewerten. Diese Beurteilungen bieten erste wichtige Hinweise auf die Atmosphäre im Team, auf typische Muster, interne Untergruppierungen und Schwachstellen. In ausführlichen Einzelinterviews mit allen Teammitgliedern werden dann diese Ansatzpunkte gründlich hinterfragt, um Strukturen, Prozesse, die spezifische Dynamik und die Beziehungen innerhalb des Teams im Detail entsprechend den sechs Teamdimensionen zu verstehen. Die Synthese dieser Erkenntnisse ergibt den Teamreport, in dem die Stärken und Schwächen der Gruppe für jede der sechs Dimensionen des TER analysiert werden. Wichtigstes Element ist das Feedback der Gruppenergebnisse an den Teamleader und das Team insgesamt. Die Ergebnisse werden mit allen Beteiligten ausführlich diskutiert und daraus Handlungsempfehlungen für das Team abgeleitet.
Mit Hilfe des TER wollten auch der CEO eines mittelständischen Energiekonzerns und sein Senior Leadership Team aus insgesamt 13 Top-Managern Hinweise erhalten zu überkommenen Verhaltensweisen, die ihre Effektivität behinderten. Das Unternehmen wollte künftig eine neue Strategie verfolgen sowie eine neue Organisationsstruktur und eine stärker leistungsorientierte Kultur etablieren.
Julian Opie
Julian Opie Graham, guitarist /Damon, singer /Dave, drummer /Alex, bassist (im Uhrzeigersinn). C-type colour prints on paper laid on panel, 2000 © Julian Opie by courtesy of the National Portrait Gallery, London
Die Botschaft aus dem TER war klar: Über die Jahre vom Erfolg verwöhnt, hatte sich in der gesamten Organisation ein Silodenken breitgemacht. Das Top-Team arbeitete lieber getrennt voneinander im jeweils eigenen Bereich denn als Gruppe. Entscheidungen wurden nicht offen miteinander diskutiert und gemeinsam getroffen, sondern eher einsam gefällt oder hinter den Kulissen ausgehandelt, und so verschiedentlich zur Ursache von Fehleinschätzungen in einer zunehmend schwierigen Marktlage. Kompetenzüberschneidungen wurden nicht bereinigt, mangelnde Konsequenz behinderte die angestrebte Leistungskultur. Zudem hatte kaum einer der Top-Manager auch in anderen Unternehmen berufliche Erfahrungen gesammelt. Im TER kamen diese Schwierigkeiten später als sehr schwache Ausprägung der Dimensionen „Balance“ und „Resilience“ deutlich zum Ausdruck. Der neue CEO selbst hatte zudem zwar von Anfang an viel Mühe darauf angewandt, seine Vision und die neue Strategie extern zu kommunizieren, eine konsequente interne Ausrichtung darauf aber vernachlässigt.
Der Trainer macht das Spiel
Liegt die Diagnose erst einmal vor, so sind die notwendigen Maßnahmen meist für das Team in der gemeinsamen Diskussion leicht erkennbar. Im Gespräch mit dem CEO und später in einem Zwei-Tages-Workshop mit dem Gesamtvorstand unterstützten wir so die Erarbeitung eines Maßnahmenplanes, um das Team auf Kurs zu bringen. Startpunkt war eine deutlich aktivere und klarere Kommunikation der Strategie seitens des CEO intern in die Organisation und ein regelmäßiger gemeinsamer Review dazu mit seinem Top-Team. Zudem entschied sich der CEO zu einer Rochade der Ressorts für zwei Vorstände. Neben einer ganzen Reihe von Verbesserungen in der operativen Zusammenarbeit definierte das Vorstandsteam darüber hinaus Gremien für bestimmte Themen, die die Abstimmung zwischen den Bereichen verbessern sollten, wie beispielsweise ein Investitionskomitee und ein „Marketboard“.
Ein TER gewährt den Unternehmen Einblicke in die Dynamik ihrer wichtigsten Teams. Auf dieser Grundlage kann deren Leistungsfähigkeit zielgerichtet verbessert und an die strategischen Ziele der Organisation angepasst werden. Jedes einzelne Teammitglied erhält Denkanstöße über die eigene Rolle in der Gruppe, erfährt viel über seine individuellen Stärken und Verbesserungsmöglichkeiten. Dabei ist dieses Werkzeug nicht begrenzt auf die Vorstandsebene – im Gegenteil, ein jedes Team mit einem gemeinsamen Ziel profitiert davon. Und nicht zuletzt gibt einTER dem Leiter des Teams einen detaillierten Einblick in seinen persönlichen Führungsstil und dazu, wie profund er die Dynamik und Leistung der gesamten Gruppe beeinflusst. Denn diese Erfahrung haben wir in der Praxis auch gemacht: Der Teamchef ist die stärkste Kraft auf dem Weg zu mehr Effektivität. Eine Erkenntnis, die Fußballfans nicht überraschen wird.
DIE AUTOREN
Elaine Yew ist seit 2000 Beraterin bei Egon Zehnder, seit kurzem im Büro Singapur. Sie ist Mitglied der globalen Beratungsgruppen Leadership Services, Strategic Restructuring und Consumer und leitete die Gruppe, die den TER entwickelt hat.
Leo J. Barth ist seit 2006 Berater im Münchener Büro von Egon Zehnder. Er leitet die deutschen Aktivitäten der Leadership Services Practice und berät Klienten bei der umfassenden Gestaltung der Führungskräftestrategie. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt bei Unternehmen der Industriegüterbranche.
Julian Opie
Er ist einer der führenden zeitgenössischen Künstler Großbritanniens. Er studierte bei Michael Craig-Martin am Londoner Goldsmiths’ College, bevor er in den achtziger Jahren in der britischen Kunstszene reüssierte. Die Porträts zeigen die Mitglieder der 1989 gegründeten Musikband Blur.