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„Die Fähigkeit zur Empathie wird an Bedeutung gewinnen.“

Der Molekularpsychologe Christian Montag über eine Unternehmenskultur in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Kommunikation

Wenn das Smartphone zum ständigen Begleiter am Arbeitsplatz wird, leiden Konzentration, Produktivität und Kreativität. Der Ulmer Molekularpsychologe Christian Montag erforscht genau diese Auswirkungen der digitalen Kommunikation auf kognitive und emotionale Fähigkeiten. Sein Buch „Homo Digitalis“ hat weit über die Fachwelt hinaus große Resonanz erzeugt. Im Interview mit Egon Zehnder denkt der Wissenschaftler darüber nach, wie man gerade in Unternehmen mit der Allgegenwärtigkeit der digitalen Technologien umgehen kann. In der zweiten Folge des Gesprächs diskutiert Montag über Führung im digitalen Zeitalter.

Egon Zehnder: Wie schätzen Sie die Folgen der ständigen Verfügbarkeit digitaler Kommunikationstechnologien auf die emotionale Entwicklung, auf die Ausprägung der Persönlichkeit ein? Viele Kinder und Jugendliche schauen ja inzwischen häufiger auf den Bildschirm als in ein menschliches Gesicht.

Christian Montag: Wir wissen, dass es bei extremer Nutzung Überlappungen mit Angst- und Depressionserkrankungen gibt und dass Onlinesüchte häufig mit Tendenzen zu einer ADHS-Erkrankung, also einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, einhergehen. Doch auch auf die Entwicklung empathischer Fähigkeiten könnte ein übermäßiger Onlineaufenthalt negative Folgen haben. Der Zusammenhang ist folgender: Körperlich betontes Spiel ist nun mal ein Grundbedürfnis von Kindern. Sie müssen vor die Tür – einerseits um die Grobmotorik zu schulen, aber auch um die Empathiefähigkeit und soziale Kompetenzen zu trainieren. Wenn die Bindungsmechanismen in den Apps so stark werden, dass die Kinder ihre Onlinezeiten immer weiter ausdehnen und das Spiel draußen vernachlässigen, wäre das der Empathie nicht förderlich. Sie machen kaum noch die Erfahrung, mit anderen zu gewinnen oder zu verlieren oder wie es ist, jemandem wehzutun und die Konsequenzen zu spüren. Ich habe in Deutschland und China Studien zum Thema Internetsucht und Empathie durchgeführt und konnte den Zusammenhang bestätigen. Stark Internetsüchtige schätzen sich selbst als vergleichsweise weniger empathisch ein. Meine Studien lassen aber an dieser Stelle noch keinen Kausalschluss zu.

Egon Zehnder: Gibt es Persönlichkeitsmerkmale, die Menschen anfälliger für die negativen Folgen der Digitalisierung machen?

Christian Montag: Wir haben festgestellt, dass Eigenschaften wie Gewissenhaftigkeit, Selbstdisziplin, Willensstärke und die Fähigkeit zur Bedürfnisregulierung  die Neigung zur übermäßigen Smartphonenutzung bremsen. Außerdem wissen wir, dass es Eigenschaften gibt, die diese Tendenz fördern. Dazu zählen insbesondere Ängstlichkeit sowie die Neigung zu Depression und Schuldgefühlen. Allerdings ist noch nicht genau erforscht, was Ursache und was Wirkung ist.

Egon Zehnder: Wäre es für Unternehmen möglich, auf diese Erkenntnisse zu reagieren?

Christian Montag: Theoretisch könnte man mit einem Screening gezielt Risikogruppen identifizieren und gezielt eine Intervention anbieten. Aber wie gesagt: Erstens sind die Ursache-Wirkung-Mechanismen noch nicht klar – und zweitens wirkt so etwas natürlich extrem stigmatisierend. Außerdem müssten die Mitarbeiter in ein solches Screening einwilligen. Ich glaube nicht, dass Sie in Deutschland auch nur einen Betriebsrat finden, der dem zustimmen würde. Ich halte das für praxisfern.

Egon Zehnder: Ist auch bei Erwachsenen zu befürchten, dass die digitalen Technologien die Persönlichkeit gravierend verändern?

Christian Montag: Eher nicht. Wir wissen, dass die Persönlichkeit relativ stabil ist. Sie verändert sich nur marginal. Die Annahme, dass die Digitalisierung einen erwachsenen Menschen in seiner Persönlichkeit massiv verändert, ist für mich aufgrund der aktuellen Befundlage wenig denkbar.

Egon Zehnder: Wenn wir einmal über die Digitalisierung und ihre Folgen hinausschauen, auf die Dimensionen von Persönlichkeit, auf die Sie sich in Ihrer Forschung beziehen – gibt es da Eigenschaften, die eine gute Führungspersönlichkeit ausmachen?

Christian Montag: Wir sprachen gerade von Empathie. Gerade sie ist eine Fähigkeit, die in Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Es ist ja mittlerweile Allgemeingut, dass zu guter Führung nicht nur kognitive Skills gehören, sondern auch die Fähigkeit, sich in eine andere Person einzufühlen. Gemeint ist hier nicht nur die kognitive Facette der Empathie, also das Vermögen, sich in eine andere Person hineinzudenken. Mindestens genauso wichtig ist die affektive Empathie, also die emotionale Reaktion auf den Gemütszustand des anderen: Ich fühle das, was ein anderer Mensch fühlt. Ich glaube, dass beide Formen der Empathie in Unternehmen an Bedeutung gewinnen – gerade in einer Zeit, wo die Menschen mehr Angst um ihre Zukunft haben und die Unsicherheit zunimmt. Obwohl es – zumindest in Deutschland – den meisten Menschen nach wie vor gut geht, verstärkt sich bei vielen das Gefühl, alles sei schlecht und im Umschwung. Ich glaube, eine Führungskraft, die genau diese empathischen Skills mitbringt, kann in einem Unternehmen den entscheidenden Unterschied machen.

Egon Zehnder: Gehen diese empathischen Fähigkeiten Hand in Hand mit anderen Persönlichkeitsdimensionen, beispielsweise mit Offenheit und Transparenz? Zu einem eher autokratischen Führungsstil scheint das zumindest nicht zu passen.

Christian Montag: Transparenz und Kommunikation sind entscheidend. Ich selbst versuche, als Wissenschaftler und Leiter relativ großer Teams mit Transparenz zu führen. Natürlich muss ich am Ende Entscheidungen treffen, aber ich bemühe mich, viele Mitarbeiter einzubinden und die Beweggründe für meine Entscheidungen transparent zu machen. Ein Großteil meiner Arbeit entfällt auf Kommunikation, auf den Austausch mit den Mitarbeitern. Es ist gut investierte Zeit. Und wenn mal etwas nicht so funktioniert hat wie erhofft, stehen wir die Niederlage auch gemeinsam durch. Das erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl. Viele junge Menschen fordern das heute aber auch ein. Sie wollen keinen Chef, der von oben herab entscheidet und keine Diskussion zulässt. Sie erwarten, dass es auch im Arbeitsumfeld ein Stück weit zu einer Demokratisierung kommt.

Egon Zehnder: Beziehungen werden also wichtiger als Hierarchien?

Christian Montag: Für den Menschen steht doch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Beziehung ganz oben – nicht nur im privaten Umfeld, in der Familie, sondern auch bei der Arbeit, wo wir viel Zeit verbringen. Auch da suchen wir nach bedeutsamen Beziehungen, die uns das Gefühl geben, dass wir unsere Zeit dort nicht verschwenden. Das ist ein Erbe der Evolution: Der Mensch ist ein Gruppenwesen. Mit anderen zusammen geht es ihm besser als alleine.

„Wir brauchen digitalfreie Räume.“

Vita

Christian Montag (42) leitet an der Universität Ulm die Abteilung für Molekulare Psychologie und forscht außerdem an der University of Electronic Science and Technology of China im chinesischen Chengdu. Er befasst sich mit den biologischen, also etwa den molekulargenetischen oder hormonellen Grundlagen menschlichen Verhaltens. Außer zur Persönlichkeitspsychologie forscht er zu den kognitiven und emotionalen Folgen der Computer-, Internet- und Smartphonenutzung. Große Popularität erlangte sein 2018 veröffentlichtes Buch „Homo Digitalis“, das sich mit den Auswirkungen der Mediennutzung auf das Gehirn beschäftigt.

In der dritten und letzten Folge des Gesprächs plädiert Christian Montag für eine Unternehmenskultur der digitalfreien Räume und Zeiten.

Interview und Fotos: Egon Zehnder

Themengebiete in diesem Artikel

Lesen Sie alle drei Folgen:

Folge 1 – „Über den Flow in digitalen Zeiten“

Folge 2 – „Die Fähigkeit zur Empathie wird an Bedeutung gewinnen.“

Folge 3 – „Wir brauchen digitalfreie Räume.“

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