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HR braucht ein neues Profil

Die Anforderungen an die Spitzen der Personalfunktion haben sich innerhalb der letzten Jahre erheblich verändert – hieraus resultieren für die Personalverantwortung neue Archetypen mit unterschiedlichem Kompetenz- und Erfahrungsprofil.

Die Rahmenbedingungen, unter denen Organisationen agieren, haben sich in den zurückliegenden Jahren fulminant verändert: die weltumspannende Pandemie, eine komplett neue geopolitische Lage durch den russischen Krieg in der Ukraine und damit in Europa sowie Inflationsentwicklungen, wie sie seit Jahrzehnten in Europa und Nordamerika nicht mehr existent waren. All das lässt das Narrativ der Globalisierung als entwicklungslogische Konsequenz wettbewerblicher Ausfächerung aller Wertschöpfungsprozesse entkräften.

Dadurch ergeben sich Spannungsfelder und Zielkonflikte. Denn einerseits müssen Unternehmen die gestiegenen Erzeugungskosten durch Preissteigerungen weitergeben, andererseits darf die Lohn-/Preisspirale nicht in Gang gesetzt werden. Einerseits haben viele Unternehmen durch die Implementierung ihrer Unternehmenswerte organisationskulturelle Gemeinschaften gestärkt, sind andererseits aber aus politischen (und ethischen) Gründen vielerorts damit konfrontiert, Unternehmensbereiche oder Regionen zu separieren. Einerseits liegt der Fokus vielfach auf der Kostenreduktion (auch in der Workforce), andererseits sind M&A-Investments finanziell durchaus attraktiv. Somit haben sich mit der Wucht der Veränderung und der Dynamik der letzten Jahre auch die Anforderungen an die Personalfunktion vehement verändert. All diese Herausforderungen führen dazu, dass es notwendig wird, die Personalfunktion an sich und ebenso die Anforderungen an deren Spitze neu zu denken.

HR rückt aktuell zunehmend in den Geschäftsfokus – und wird gestalterisch sichtbarer. Während die Mitglieder des Bundesverbands der Personalmanager*innen noch im Jahr 2020 in der Berufsfeldstudie 2020 nur zu einem Drittel angaben, dass der Einfluss der Personalfunktion auf strategische Entscheidungen der Gesamtorganisation einflussreich sei, so ist heute festzustellen, dass die Persönlichkeitsprofile an der Spitze der Personalfunktion vielfach eine erhebliche Professionalisierung beziehungsweise Business-Orientierung erfahren. Beispielhaft seien hier Matthias Kempf als CPO bei Knauf, Katharina Herrmann als Vorständin bei Burda oder auch Sabine Bendiek als Vorständin bei SAP genannt. Doch wie sehen die inhaltlichen Gestaltungsfelder für die zukünftige Personalfunktion aus? Dies lässt sich vereinfacht in vier separate und in der Umsetzung interagierende und verzahnte thematische Fokusbereiche differenzieren.

Wenn HR eine veränderte Arbeitsrealität in der Organisation und ihre Zukunftsfähigkeit gestalten will, beginnt dies mit der Beantwortung der Frage, welchen Zweck die Organisation eigentlich hat. Die Unternehmensstrategie und -kultur aktiv mitzugestalten und weiterzuentwickeln sowie zu stärken – hierbei strategische Talentplanung zu integrieren – sowie die wertschaffende Kooperation mit den Mitbestimmungsgremien zu orchestrieren, sind entscheidende Wertbeiträge durch HR. Zudem sind unternehmerische Aktivitäten nicht ausschließlich durch klare Organisationsgrenzen gekennzeichnet, sondern durch Netzwerkbildung. Hierfür neue Geschäfts- und Organisationsmodelle zu identifizieren und zugleich durch neue inhaltliche und strukturelle Arbeitsmodelle auszugestalten, ist für die Zukunftsfähigkeit der Organisation maßgeblich. Dies sind die wesentlichen Inhalte des Fokusbereichs 1 Die Organisation.

Die Förderung der Zusammenarbeit und die Ergebnisse von Teams im Sinne einer Performance Navigation stehen im Mittelpunkt des Fokusbereichs 2 Die Arbeit. Es wird immer deutlicher, dass die anfallende Arbeit nicht von einzelnen Personen und auch nicht von einzelnen Organisationen erbracht werden kann. Deshalb kommt es zu Teamarbeit, die vor Bereichs- und Organisationsgrenzen nicht haltmacht und zunehmend virtuell stattfindet. Die Zunahme an Projektarbeit und der Trend zu lateralen Arbeitsorganisationen, bei denen Mitarbeitende nicht mehr disziplinarisch, sondern projektbezogen temporär berichten, ist offensichtlich. Deshalb stellt sich die Frage: Wie wird Arbeit in Teams innerhalb der Organisation, aber auch nach draußen in Partnerschaften, mit Freelancern oder Crowdworkern, also in Netzwerken oder im sogenannten Ecosystem, organisiert? Die Antworten umfassen vor allem das Organisational Design und die Teameffektivität. Führungsverantwortung in Netzwerkstrukturen wird zunehmend verteilt und mehrdeutig. Daher ist erfolgskritisch das People Management der Führungskräfte zu fördern und weiterzuentwickeln. Siehe Abbildung 1.

Im Fokusbereich 3 Die Mitarbeiter geht es um die Befähigung der Belegschaft für neue beziehungsweise sich ändernde Positionen und Rollen, wenn neue Arbeitsformen und -techniken gefordert werden. Durch die Reduktion der Bedeutung fachlicher Expertise als Führungskraft – und damit der Verringerung der kompetenzbasierten Grenzen zwischen Führungskraft und Mitarbeiterin – basiert die Akzeptanz als Führungskraft verstärkt auf sozialen und motivatorischen statt auf primär traditionell fachlichen Kompetenzen. Zugleich gilt es, einem möglichen Silodenken durch Community Building entgegenzuwirken und attraktive, bereichsübergreifende Karrierepfade und somit auch die Nachfolgeplanung aktiv zu orchestrieren. Auch in diesem Fokusbereich kann sich HR als Treiber einer digitalisierten und kontinuierlich lernenden Organisation positionieren, indem Informationen und Wissen virtuell und kontextspezifisch dargeboten und vermittelt werden, beispielsweise via Augmented Reality oder webbasiertem Training.

Die Plattform für die Aufgabenerledigung der ersten drei Bereiche bildet der Fokusbereich 4 Die HR Plattform, indem hier die Personalprozesse effizient ausgeführt werden. Denn die Aufgaben in den anderen drei Fokusbereichen können nur dann optimal erbracht werden, wenn das Design und die Ausführung der HR-Prozesse effizient und effektiv gestaltet sind. Dazu gehört, dass die Produkte und Dienstleistungen von HR datenbasiert verbessert werden. Die Plattform liefert nicht nur zu, sondern macht auch datengetriebene Vorschläge und liefert Einschätzungen auf Basis von People Analytics. Hier muss zusätzlich zur Digitalisierung und Automatisierung tiefe funktionale Expertise aufgebaut werden. Dieser Bereich wird perspektivisch mit Personen ausgestattet werden, die eine hohe Expertise mitbringen, um in Zusammenarbeit mit Fachleuten der anderen Fokusbereiche personalwirtschaftliche und/oder geschäftsrelevante Entscheidungen zu treffen: Entscheidungen darüber, welche personalwirtschaftlichen Prozesse digitalisiert und mit selbstlernenden Technologien automatisiert werden sowie Entscheidungen darüber, welche People Analytics einen Mehrwert für das Business generieren. Hierfür ist es jedoch auch notwendig, dass der Rahmen durch die oder mit der Unternehmensführung definiert und gesetzt wird, den die Personalfunktion dann – und somit auch mandatiert für die Kooperation mit den Mitbestimmungsgremien – inhaltlich ausfüllen kann.

Quelle: Hart am Wind Die BPM Berufsfeldstudie People Organization 2020

Persönlichkeit, Integrität und ­Authentizität

Der Weg zu einer strategie-, geschäfts- und digitalorientierten Personalfunktion bedingt ein neues Erfahrungs- und Kompetenzprofil an deren Spitze. Doch was bedeutet das genau für die Spitzen der Personalfunktion? Generell ist das vertiefte Verständnis der Geschäftsmodelllogik für aktuelle und zukünftige Personalmanager unabdingbar. Wenn sich Rahmenbedingungen für die organisationalen Wertschöpfungsprozesse (teilweise auch sehr kurzfristig) ändern, ist das Business-Verständnis eine Grundvoraussetzung, um personalwirtschaftliche und -strukturelle Aktivitäten ergebnisorientiert umsetzen zu können – also Performance Navigation im besten Sinne. Was wir ebenso wahrnehmen, ist, dass erfahrungsbezogene Internationalität und Branchenvielfalt Top-Personalverantwortlichen ermöglicht, diese in neuen Kontexten wirksam einzusetzen. Und die Persönlichkeit selbst, Integrität und Authentizität an der Spitze der Personalfunktion sind entscheidende Fixpunkte. Sich durchzusetzen, Richtungen vorzugeben und Konflikte auszuhalten, ist nicht (mehr) alles, denn die Fähigkeit, empathisch zu sein, zu erspüren, was das Umfeld innerhalb und außerhalb der Organisation umtreibt, zeichnet diese herausragenden Persönlichkeiten an der Spitze der Personalfunktion künftig aus. Dabei verlangen unterschiedliche Organisationen und unterschiedliche Geschäftszyklen auch nach unterschiedlichen Typen an der Spitze der Personalfunktion. Siehe Abbildung 2.

Personalfunktion wird fachlich diverser

Insgesamt wird die Personalfunktion in ihren Kernverantwortungsbereichen fachlich und thematisch vielfältiger. Zugleich ist zu beobachten, dass weitere Managementthemen wie IT, Legal, Compliance und Kommunikation in den Verantwortungsbereich der Personalfunktion integriert werden. Wenn zunehmend auch prädiktive und präskriptive Analytik sowie dadurch abgeleitetes kennzahlenbasiertes Entscheiden im Kompetenzportfolio der Personalfunktion integrale Bestandteile sind, muss auch das fachliche Wissen verankert sein. Dies bedeutet, dass die Personalfunktion an sich diverser wird und beispielsweise neben Betriebswirten, Juristinnen und Psychologen auch mehr Mathematikerinnen, Statistiker und Volkswirtinnen im Personalmanagement engagiert sind. Es gilt also, über cross-funktionale Erfahrungen zu verfügen sowie neue Positions- und Kompetenzprofile zu definieren, die zu einem hohen Grad an Erfahrungen und Diversität in der HR-Funktion selbst führen. So werden mitarbeiter- und organisationsbezogene geschäftsrelevante Leistungen für die Führungskräfte in Regionen, Divisionen oder Business Units des Unternehmens ermöglicht. Im Kern bedeutet dies auch eine Revitalisierung der Client Journey als Kern der Daseinsberechtigung der Organisation.

Vom CHRO zum Chief People & ­Organization Officer

In einer ausbalancierten Umsetzung sehen wir somit die Entwicklung der Personalfunktion von „Human Resources“ hin zu einer Verantwortung für „People and Organization“. Dieser Weg beinhaltet auch, dass Personalmanager selbst dem Selbstverständnis kontinuierlichen Lernens gerecht werden. Hierfür ändern sich aktuell klassische Talent Management- und Leadership Development-Programme erheblich und bilden hierbei die hybride Arbeitsrealität in vielen Organisationen ab: Thematisch fokussiert, zeitlich kompakt mit hoher Praxis- und Anwendungsorientierung und direktem Nutzen für das Unternehmen in einer zielführenden Kombination aus physischer und digitaler aktiver Teilnahme. Im Kern geht es darum, mit den Möglichkeiten der Digitalisierung ein verändertes strategisches Talent Management zu etablieren und Personalentwicklungen zu gewährleisten, die auf individuelle Lerntypen eingehen und neue (digitale) Lernformate ermöglichen.

Gerade Personalverantwortliche sind prädestiniert dafür, Menschen bei Veränderungen zu begleiten, die Veränderungsbereitschaft aktiv zu fördern und zugleich die strukturellen Rahmenbedingungen der Organisation im Auge zu behalten. Diesem Gestaltungsanspruch gilt es auch weiterhin gerecht zu werden. Dazu braucht es neben der klassischen HR-Expertise explizit auch tieferes Geschäftsverständnis und Kompetenzen in digitalen Prozessen, datenbasierten Entscheidungen und im Organization Design. Eine Orientierung hierfür bieten die dargestellten vier Fokusbereiche. Nur so lassen sich Personal- und Organisationsentwicklung optimal in Einklang mit der Gesamtstrategie bringen. Wenn wir heute auf die Personalfunktion schauen, dann geht es um eine holistische Betrachtung, also ein ganzheitliches Verständnis wie Wertschöpfung innerhalb sowie über Organisationsgrenzen hinaus orchestriert werden kann – und fokussiert eben nicht die Funktion an sich. Deswegen gehört es aus unserer Sicht auch dazu, die Grenzen zu überwinden, die sich der bisherige HR-Begriff selbst setzt und auszuweiten im Sinne der Menschen und der Kultur im Unternehmen.

Die Studie

Zum fünften Mal seit 2010 widmet sich die Quadriga Hochschule Berlin der Vermessung des Berufsfeldes HR mit einem in Deutschland bisher einzigartigem Forschungsdesign. Die Fokusthemen der diesjährigen Studie sind Transformation, Professionalisierung und Einfluss der Profession, sowie individuelle Ambitionen der Personalverantwortlichen. Die Befragung startet im Februar 2023, die Ergebnisse werden beim Personalmanagementkongress im Juni 2023 präsentiert. Machen Sie mit unter: www.bpm.de

Dieser Artikel erschien am 20.02.2023 zuerst im Human Resources Manager und wird mit freundlicher Genehmigung des Magazins hier nochmals veröffentlicht.

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