Wer Knauf sagt, meint Gips – so sehr hat das 1932 gegründete Unternehmen den Weltmarkt für diesen vielseitigen Rohstoff durchdrungen. Bis heute ist es in Familienhand. Als Alexander Knauf 2013 geschäftsführender Gesellschafter wurde, befand sich die Firma in einer enormen, immer noch andauernden Phase des Wachstums und der Ausweitung der Geschäftsfelder auf allen Kontinenten. Allein in diesem Jahr rechnet man mit über 7.000 neuen Mitarbeitern, der Jahresumsatz liegt schon längst bei vielen Milliarden. Wie begegnet ein Familienunternehmen solchen Veränderungen, wie kann es seine natürlichen Vorteile bewahren? Was muss sich ändern, damit der Kern erhalten wird? Knauf hat einen Wertekanon für alle Mitarbeiter erarbeitet und fährt ausgesprochen gut damit. Auch die Frage, wie Familienmitglieder in die Firma eingebunden werden können, hat man beherzt in die Hand genommen. Der sympathische Chef verkörpert in seiner eigenen Person die Mischung zwischen Bodenständigkeit und Internationalität, die das Unternehmen zu einem der Hidden Champions der deutschen Wirtschaft gemacht hat.
Egon Zehnder: Ihr Unternehmen hat einen Wertekatalog entwickelt, Ihre Leitbegriffe sind Menschlichkeit, Partnerschaft, Engagement und Unternehmergeist. Wie sind Sie darauf gekommen?
Alexander Knauf: Früher war das Unternehmen sehr stark von den Persönlichkeiten meines Großvaters und seines Bruders und anschließend von denen meines Vaters und meiner Onkel geprägt. Sie haben diese Werte gelebt und verkörpert, und sie kannten die Mitarbeiter an der Bandstraße, sie kannten auch deren Familien. Sie haben ihre Werte sozusagen per Handschlag weitergegeben. Seitdem ist die Firma auf über 25.000 Mitarbeiter gewachsen, in diesem Jahr werden es deutlich mehr als 30.000 werden. All diese neu hinzukommenden Menschen fragen sich: Wofür steht Knauf? Heute muss man die Firmenkultur auf eine Art kommunizieren, die man auch vervielfältigen kann.
Egon Zehnder: Wie haben Sie diese Werte erarbeitet?
Alexander Knauf: Die erste und wichtigste Antwort auf diese Frage lautet: Wir haben uns bei jedem Schritt außerordentlich viel Mühe gegeben. Wir haben die Mitarbeiter bei der Erhebung dieser Werte eingebunden. Wir haben die Ergebnisse verdichtet und artikuliert, und vor allem haben wir beschrieben, was das denn wirklich bedeuten soll. Es ist nicht Corporate Poetry, nichts Abstraktes, sondern es sind echte, authentische Werte, die unser Leben beschreiben. Dadurch haben wir einen extrem hohen Identifikationsgrad und Wiedererkennungswert bei unseren Mitarbeitern erreicht.
Egon Zehnder: Oft scheitern Firmenakquisitionen daran, dass die hinzukommenden Mitarbeiter nicht bereit oder in der Lage sind, sich die neue Firmenkultur anzueignen. Kann der Wertekatalog Abhilfe schaffen?
Alexander Knauf: Ja. Die Neuzugänge wissen von vornherein, wer wir sind. Sie können sich deutlich schneller mit der neuen Heimat identifizieren. Einen dieser Werte möchte ich hier besonders hervorheben: die Menschlichkeit. Bei Knauf sind die Mitarbeiter keine Nummern. Trotz der Größe des Unternehmens werden sie als echte Individuen wahrgenommen, mit all ihren persönlichen Stärken und Schwächen. Das ist ein Wert, den ich in vielen anderen Unternehmen nicht finde. Gerade den neuen Kollegen gibt er die Zuversicht und das Vertrauen, dass sie bei uns ein gutes Zuhause gefunden haben, auf das sie langfristig bauen können.
MENSCHLICHKEIT, PARTNERSCHAFT, ENGAGEMENT, UNTERNEHMERGEIST.
Knauf Wertekatalog
Das Knauf-Werk in Iphofen
Egon Zehnder: Das führt uns zu einem weiteren Wert Ihres Kanons, dem Unternehmergeist. Wie vermitteln Sie diesen Geist konkret?
Alexander Knauf: Dieser Wert spiegelt sich in der Organisation des Unternehmens wider. Wir versuchen, die Entscheidungsverantwortung immer an der niedrigstmöglichen Stelle zu verankern und diese auch mit der entsprechenden Freiheit auszustatten. Sehr weit unten also gibt es eine echte Umsatz-, Ergebnis- und Werksverantwortung, die immer im lokalen Rahmen agiert, weniger in Richtung auf die Zentrale. Auf diese Weise erreichen wir, dass wir nicht 25.000 Mitarbeiter, sondern bestenfalls 25.000 Mitunternehmer sind.
Egon Zehnder: Ihre Firma setzt sich ein für die Region und insbesondere für Iphofen. Es gibt das Knauf-Museum, überall sieht man renovierte Fassaden, Sie unterstützen die lokale Fußballmannschaft usw. Ein solches Engagement – auch dies einer Ihrer Werte – ist nicht untypisch für deutsche Familienunternehmen. Gleichzeitig agiert Knauf global.
Alexander Knauf: Gesellschaftliches Engagement ist gerade für uns als weltweit agierendes Familienunternehmen ein ganz zentraler Wert. In Iphofen liegen unsere Wurzeln. Das Unternehmen ist hier kein abstrakter Begriff, es ist auch nicht nur Steuerzahler, sondern es ist ein Teil der Gesellschaft. Wir sind sehr dankbar für die große Unterstützung der Stadt und der Region. Wir wissen, wie wichtig die gegenseitige Verbundenheit ist. Diese Erfahrungen können wir auch auf andere Standorte übertragen, zumal diese aufgrund unseres Rohstoffs fast immer in ländlichen Regionen liegen. Auch hier versuchen wir immer, vor Ort Wurzeln zu schlagen.
Egon Zehnder: Finden Sie nicht, dass Familienunternehmen sich stärker gesellschaftlich einmischen müssten? Es gibt nur wenige CEOs in Deutschland, die wirklich ihre Stimme erheben.
Alexander Knauf: Das sehe ich persönlich anders. Wir erfüllen unseren Teil – und das mit dem größtmöglichen Einsatz. Uns geht es um konkretes gesellschaftliches Engagement vor Ort mit sichtbaren Folgen. Es mag Situationen geben, wo wir uns einmischen sollten, auch über unser eigenes Unternehmen hinaus, das machen wir dann aber bewusst hinter den Kulissen.
Egon Zehnder: Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Unternehmenswerte auch wirklich überall in der Firma präsent sind und bleiben?
Alexander Knauf: Zunächst bemühe ich mich, ein gutes Vorbild zu sein und mein eigenes Handeln konsequent an diesen Werten auszurichten. Aber es gibt auch eine ganze Reihe praktischer Maßnahmen. Jedes Jahr steht unter dem Motto eines der vier Werte, und das führt dann auch zu konkreten Aktionen, die diesen Wert anschaulich machen. So haben im Jahr der Menschlichkeit alle Mitarbeiter überall in der Welt Blut gespendet und auf diese Weise über 3.500 Menschenleben gerettet. Das entspricht einer Kleinstadt der Größe von Iphofen. Solche Erfahrungen formen die Mentalität der Mitarbeiter und fließen auch in den beruflichen Alltag ein.
Egon Zehnder: Spielt der Wertekatalog eine Rolle bei der Anwerbung von Führungskräften?
Alexander Knauf: Unbedingt. Gerade die Jüngeren sagen: Nicht nur die Aufgabe und das Gehalt müssen stimmen. Sie wollen für ein Unternehmen tätig sein, das nachhaltig arbeitet. Darin liegt ja ganz generell ein Vorteil von Familienunternehmen.
Egon Zehnder: Welches sind die Ecksteine Ihres unternehmerischen Handelns?
Alexander Knauf: Wir agieren nicht riskant, sondern langfristig und nachhaltig. Zunächst muss das Kerngeschäft gesund sein. Nur wer die Pflicht gemeistert hat, kann sich der Kür bzw. neuen Herausforderungen zuwenden. Auch muss das Geld erst einmal gespart sein, bevor man es ausgibt. Bei strategischen Entscheidungen ist das A und O, dass wir die langfristige Existenz sichern. So haben wir die Firma USG gekauft, um weitere geografische Schwerpunkte in Asien und Nordamerika aufzubauen. Durch das neue Standbein haben wir unser Risiko diversifiziert. USG hat außerdem als eines der letzten Unternehmen eine signifikante Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die mit uns in Iphofen mithalten kann.
Egon Zehnder: Sie sind Vorsitzender des Advisory Board des neuen Hidden Champions Institute in Berlin. Was ist der Zweck dieses Instituts?
Alexander Knauf: Die Hidden Champions sind diejenigen Weltmarktführer, die kaum jemand kennt. Sie bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In der nächsten Dekade wird ein sehr hoher Anteil dieser Unternehmen einen Generationswechsel zu bewältigen haben. Nicht immer wird man den Nachfolger im eigenen Unternehmen oder in der Familie rekrutieren können. Diese Firmen brauchen besondere Führungskräfte. Sie haben eine andere DNS und stehen vor anderen Herausforderungen als große Publikumsgesellschaften oder Start-ups.
Egon Zehnder: Sie haben das enorm gewachsene Unternehmen mit einer sehr professionell ausgerichteten Governance versehen. Wie binden Sie die nächste Generation, die jungen Gesellschafter, in diese Strukturen ein?
Alexander Knauf: Zunächst hatten wir immer schon einen familiären Zusammenhalt. Wer einmal miteinander im Sandkasten gespielt hat, kann auch für schwierige Fragen Lösungen finden. Schon unsere Elterngeneration hat nicht nur über das Geschäft geredet, sondern hat auch mal gemeinsam Urlaub gemacht. Wir pflegen das heute noch. Seit vielen Jahren treffen wir uns, um uns zu den verschiedensten Themen auszutauschen: zur Ausrichtung des Unternehmens, zur Familie, zur Governance. Viele Gesellschafter in meiner Generation zeigen ein großes, gesundes Interesse an der – und ein ebenso großes Wissen über die – Firma und die handelnden Personen. Und wenn beides zusammenkommt, Kompetenz und Familienzugehörigkeit, kann das in kritischen Situationen enorm hilfreich sein.
Egon Zehnder: Ist es nicht auch bisweilen schwierig, verschiedene Familiengenerationen in der unmittelbaren Nähe zu wissen? Klappt da das Zusammenspiel?
Alexander Knauf: Besser, als man sich das vielleicht vorstellt. Die älteren Familienmitglieder, die hier Jahrzehnte gearbeitet haben, sind gern gesehen und schauen auch gern vorbei. Sie hören gut zu und wissen aufgrund ihrer Erfahrung die Lage schnell zu beurteilen. Wenn es etwas zu sagen gibt, dann geschieht das nur hinter verschlossenen Türen. Sie respektieren aber auch, dass jeder seinen eigenen Weg gehen muss.
In der nächsten Dekade wird ein sehr hoher Anteil der Hidden Champions einen Generationswechsel zu bewältigen haben.
Egon Zehnder: In Ihrem Gesellschaftervertrag ist explizit verankert, dass die Mitarbeit von Familienmitgliedern gefördert werden soll. In der Tat arbeiten bei Knauf relativ viele Familienangehörige in unterschiedlichen Positionen. Wird die Familie bevorzugt?
Alexander Knauf: Auf keinen Fall. Die Familie wird nicht bevorzugt, aber auch nicht benachteiligt. Keiner gelangt an eine entscheidende Position ohne Kompetenz. Es geht darum, das Unternehmen zum Erfolg zu führen, nicht darum, Familienmitglieder zu versorgen. Darüber besteht in der Familie ein großer Konsens. Unser zentrales Instrument ist der Personalausschuss. Er entscheidet über alle Positionsveränderungen von Familienmitgliedern. Und er tut das mit höchster Umsicht, denn eine Fehlentscheidung schadet nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der betreffenden Person. Familienmitgliedern und Angestellten werden die gleichen Chancen eingeräumt. Dabei suchen wir nach der besten Besetzung für eine Aufgabe. Aber es gibt in Personalfragen ja immer ein entscheidendes Kriterium: die nachvollziehbare Leistung. Es gibt keine identische Performance, bei zwei Bewerbern hat immer einer die Nase vorn.
Egon Zehnder: Und wie viel Familie sollte im Personalausschuss vertreten sein?
Alexander Knauf: Ich glaube nicht an einen Proporz, sondern an Kompetenzen – in diesem Fall an die Kompetenz, Stärken und Schwächen zu erkennen, hinter dem Menschen die Persönlichkeit wahrzunehmen, seine Eignung und Passfähigkeit in Bezug auf die Aufgabe beurteilen zu können.
Egon Zehnder: Dazu bedarf es langer beruflicher Erfahrung. Auch Sie stehen seit über zehn Jahren in der Verantwortung. Hat sich Ihr persönlicher Führungsstil verändert?
Alexander Knauf: Zum einen habe ich gelernt, adaptiv zu führen. Die Menschen handeln aus unterschiedlichen Motivationen heraus, man kann sie nicht identisch führen. Das war für mich eine sehr wichtige Erkenntnis und ein echter Lernprozess. Zum anderen investiere ich viel Aufmerksamkeit in die Auswahl der richtigen Führungsmitarbeiter, in Leute, die auch selbst führen können. Und um den Bogen zum Anfang unseres Gesprächs zu schlagen: Dieser Führungsarbeit dienen natürlich auch die Werte, unsere Führungsprinzipien und Führungsgrundsätze.
Egon Zehnder: Herr Knauf, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Kurzbiografie
Alexander Knauf, 1974 geboren, ist seit 2013 geschäftsführender Gesellschafter der Gebr. Knauf KG mit Sitz in Iphofen/Franken. Ursprünglich mit dem Abbau und der Verarbeitung von Gips befasst, hat sich das Familienunternehmen zu einem weltweit agierenden Hersteller von Baustoffen und Bausystemen entwickelt. In mehr als 86 Ländern an über 220 Standorten erwirtschaftet die Unternehmensgruppe Knauf Umsätze von mehreren Milliarden Euro. Alexander Knauf begann seine berufliche Laufbahn mit einer Lehre bei der Deutschen Bank; nach dem Studium und einigen Zwischenstationen arbeitet er seit 2004 in der Geschäftsführung der Gruppe.
Interview: Egon Zehnder ∙ Fotos: Michael Hudler