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Interview mit Ben J. Lipps, Fresenius Medical Care

„Es war eigentlich sehr leicht, sich immer wieder zu motivieren.“

Mitte der neunziger Jahre legte der Amerikaner Ben J. Lipps gemeinsam mit dem damaligen Chef des deutschen Medizintechnikunternehmens Fresenius, Gerd Krick, durch ein gewagtes Übernahmemanöver den Grundstein für die Weltmarktführerschaft bei Dialyseprodukten und -dienstleistungen. Der Vorstandsvorsitzende der heutigen Fresenius Medical Care (FMC) beschreibt im Interview mit Focus, welche Hindernisse er überwinden musste, um die Idee eines integrierten Gesundheitskonzerns umzusetzen.

Focus: Dr. Lipps, was verstehen Sie persönlich unter Resilienz? Wo ist diese Eigenschaft in Ihrem Berufsleben für Sie wichtig gewesen?

Ben J. Lipps: Resilienz ist nach meinem Verständnis nicht nur die Fähigkeit, Krisen zu überstehen, sondern sie bedeutet auch Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen gegen Widerstände aller Art. Wenn ich auf mein Berufsleben zurückblicke, war Widerstandsfähigkeit schon zu Beginn gefragt. Am Anfang meiner Karriere, Mitte der sechziger Jahre, steckte das Bioingenieurwesen noch in den Kinderschuhen. Damals konzentrierten sich Forschung und Entwicklung auf den Ersatz beziehungsweise die Unterstützung von drei Organen, nämlich Herz, Lunge und Nieren. Mein Forschungsobjekt zusammen mit einigen Kollegen waren die Nieren. Wir testeten den Einsatz neuer Materialien für die Blutwäsche, denn bis dahin überstanden weltweit nur ein paar tausend Menschen die Dialyse, weil dem Körper dabei zu viel Blut auf einmal entzogen wurde. Mit dem Einsatz von Hohlfasern, die bereits in den vierziger Jahren entwickelt worden waren und deren Aufbau und Funktionsweise den natürlichen Nephronen, den Grundeinheiten der Niere, sehr ähnlich waren, hofften wir, weitaus mehr nierenkranken Menschen helfen zu können.

Focus: Konnten Sie Wissenschaft und Wirtschaft schnell von Ihrer Idee überzeugen oder stießen Sie zunächst auf Hindernisse?

Lipps: Es gab zwar eine öffentliche Forschungsförderung, aber die Mittel waren begrenzt. DOW Chemical zeigte zwar Interesse an der Entwicklung von Produkten auf Basis unseres Hohlfaser-Konzepts. Doch der Konzern tat sich schwer, die entsprechenden Entwicklungsausgaben angesichts der seinerzeit relativ geringen Anzahl an Hämodialyse-Patienten zu rechtfertigen. Wir mussten also um die nötigen Mittel kämpfen, aber wir gaben nicht auf, und mit einer Zusage über zehn Millionen Dollar an Fördermitteln der Regierung und mit der Unterstützung von DOW konnten wir schließlich ein Team zusammenstellen und die Entwicklungsarbeiten richtig in Schwung bringen. Wir setzten die Hohlfasertechnologie für verschiedene Projekte ein – etwa bei Meerwasserentsalzungsanlagen, Batterien für Elektrofahrzeuge und natürlich für die künstliche Niere.

Focus: Aber trotz dieser vielfältigen Aufgaben stand Ihre eigene Idee für Sie weiterhin im Vordergrund?

Lipps: Ja, wir brauchten dann noch drei weitere Jahre, bis wir 1969 die erste künstliche Hohlfasermembran für die Nierenwäsche zur Marktreife gebracht hatten. In der Zwischenzeit hatten wir noch zahlreiche Probleme zu lösen, zum Beispiel die Frage, wie wir verhindern konnten, dass das Blut der Patienten gerann. Nach jedem fehlgeschlagenen Versuch reichte uns aber als Inspiration und Antrieb zum Weitermachen der Kontakt mit Patienten, die dringend auf neue Geräte angewiesen waren, um weiterleben zu können.

Focus: Sie hatten also eine Mission …

Lipps: Ja, und die braucht man meiner Meinung nach auch. Resilient zu sein, ohne zu wissen, warum und wofür – das kann leicht in die Irre führen.

Focus: Sie sprachen über die zahlreichen Fehlschläge, die Sie zu verkraften hatten. Wie hält man über Jahre hinweg die eigene Motivation aufrecht?

Lipps: Es war eigentlich sehr leicht, sich immer wieder zu motivieren. Man musste nur eine Klinik besuchen und sehen, wie belastend die vorhandene Behandlungsmethode für die Patienten war, wenn sie an diesen riesigen Maschinen hingen. Außerdem hatte die medizinische Zunft im Gegensatz zur Gesundheitsindustrie den Bedarf an schonenderen Geräten längst erkannt. Es musste uns nur gelingen, die technischen Probleme zu lösen.

Focus: Haben Sie sich nach diesen Erfahrungen eigentlich auch schon frühzeitig vorgenommen, nicht nur die Geräte zu liefern, sondern auch die Behandlung der Patienten zu übernehmen?

Lipps: Nicht sofort. Nachdem unsere Methode funktionierte und die Vorteile für die Patienten offensichtlich waren, interessierten sich sehr schnell Ärzte in den gesamten USA und Japan dafür. Doch zunächst war nicht klar, wer die Patienten dabei unterstützen würde, die Kosten der Behandlung zu tragen. Seit 1972 werden diese in denUSA vom staatlichen Medicare-System übernommen. Heute gibt es allein in Amerika fast 400 000 Patienten mit einem sogenannten terminalen Nierenversagen, die auf eine Dialyse angewiesen sind.

Focus: Sicherlich hat das auch das Wettbewerbsumfeld stark verändert. Wie haben Sie darauf reagiert?

Lipps: Wenn man plötzlich etwas revolutionär Neuartiges anbietet, drängen alle danach. Wir brauchten keinen Businessplan, weil uns der Markt die künstlichen Nieren praktisch aus den Händen riss. In den achtziger Jahren, als wir mit Fresenius kooperierten, kam es dann schon mehr darauf an, die Kostenseite im Auge zu behalten. Es ging um die technische Optimierung, um typische Ingenieursaufgaben. In den neunziger Jahren nahm dann der Wettbewerb zu. Und wir beschlossen, Dialyse auch als Dienstleistung anzubieten, denn nur 15 Prozent des Gesamtumsatzes entfielen auf die Produkte, aber 85 Prozent auf die Dienstleistungen. Etwa zur gleichen Zeit stand unser größter US-Kunde National Medical Care (NMC) zum Verkauf. Dessen Mutterkonzern wollte seine Dialyse-Sparte verkaufen, weil er Probleme mit der Regierung hatte. Damit bot sich für uns die Chance, in das Klinikgeschäft einzusteigen, was uns mit der Fusion 1996 und der nachfolgenden Formierung von Fresenius Medical Care (FMC) dann ja auch gelungen ist.

Focus: Aber die Probleme bei NMC waren damit ja noch nicht gelöst?

Lipps: Nein, das Unternehmen stand tatsächlich unter massivem Beschuss, lief zeitweise sogar Gefahr, den Geschäftsbetrieb gerichtlich untersagt zu bekommen. Die staatlichen Aufsichtsbehörden nahmen in der Folge alle unsere mit Dialyse befassten Firmen und Labors unter die Lupe. Der Einstieg in das Service-Geschäft und die parallel laufenden Untersuchungen bedeuteten für uns eine doppelte Lernerfahrung, die uns mindestens vier Jahre lang sehr in Atem gehalten hat, bis die Angelegenheit auch gerichtlich beigelegt war. Das war auch meine schwierigste berufliche Zeit, weil ich selbst mit einer derartigen Situation keine Erfahrung hatte. Aber wir haben das überstanden und die Fusion erfolgreich über die Bühne gebracht – nicht zuletzt auch deshalb, weil wir auf das vorhandene regionale Management gesetzt haben. Ein weiteres Ergebnis ist heute unter anderem ein sehr gutes Compliance-Programm bei FMC. Außerdem hat diese Geschichte unseren Blick auf die hohe Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen weiter geschärft. Wir haben ein Warnsystem entwickelt, das Qualitätsprobleme, die durchaus auftreten können, lokalisiert, identifiziert und so früh wie möglich löst, damit sie unseren Kunden und Patienten nicht schaden.

Focus: In einem derart sensiblen Geschäft wie der Gesundheitsbranche tätig zu sein, stellt sicherlich hohe Anforderungen an den Wertekanon Ihres Unternehmens?

Lipps: Das stimmt absolut. Aber ich denke, das trifft auf jedes personalintensive Geschäft zu, denn wo viele Menschen tätig sind, passieren auch Fehler. Unsere Unternehmensphilosophie besagt, dass wir sowohl unsere Kunden als auch unsere Mitarbeiter in einer sehr ethischen und offenen Art behandeln. Wir haben interne Audits, wir haben unser Compliance-Programm – übrigens waren wir das erste deutsche Unternehmen mit einem Vorstandsmitglied, das speziell für derartige Fragen zuständig ist. Wenn wir Fehler entdecken, nehmen wir sie ernst und arbeiten intensiv an einer Lösung.

Focus: War es schwer, die Unternehmenswerte in den Köpfen Ihrer Mitarbeiter zu verankern?

Lipps: Nein, denn ein Dialysetechniker oder eine Krankenschwester sehen ihre Patienten drei Mal pro Woche. Sie lernen sie und ihre Familien sehr gut kennen und identifizieren sich oft stark mit den Kranken. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass es unter diesen Umständen für sie ziemlich leicht ist, sich mit unserer Mission zu identifizieren. Außerdem können sie über eine Hotline, die ihnen jeden Tag 24 Stunden zur Verfügung steht, jederzeit Verbesserungsvorschläge machen. Und das nutzen sie auch. Unsere Mitarbeiter sind wirklich sehr engagiert, für ihre Patienten und untereinander.

„Ja, wir wollen profitabel arbeiten, aber nicht auf Kosten der Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen.“

Focus: Trifft das auch auf Ihre Führungskräfte zu?

Lipps: Interessanterweise stammen fast alle unsere Executives aus dem Dialysegeschäft. Ja, wir wollen profitabel arbeiten, aber nicht auf Kosten der Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen. Wir haben im Management alle genug Erfahrung, um sehr schnell beurteilen zu können, ob eine Idee gut ist oder nicht. Ich bin überzeugt davon, dass diese Kontinuität und die Hingabe an unsere Arbeit über viele Jahre mit ein Grund für unsere Weltmarktführerschaft sind.

Focus: … und die anderen Gründe für Ihre starke Wettbewerbsposition?

Lipps: Die vertikale Integration von Produkten und Dienstleistungen, die wir realisiert haben, gepaart mit unserem hohen Marktanteil, führt dazu, dass wir innovative Produkte und Therapien in unseren Kliniken selbst testen können. Wenn unsere Mitarbeiter zusammen mit Ärzten und Patienten diese Innovationen unterstützen, wissen wir ziemlich zuverlässig, dass sie sich am Markt durchsetzen können. Wir haben eine 95-prozentige Erfolgsrate bei neuen Produkten und Dienstleistungen, die keiner unserer Konkurrenten erreicht. Natürlich machen auch alle anderen ihre Markt- und Feldstudien, aber es ist eben doch etwas anderes, wenn die eigenen Leute neue Produkte kritisch begutachten und sagen, was sie davon halten.
Unsere vertikale Integration in Bezug auf die Behandlung von terminaler Niereninsuffizienz kommt außerdem dem heutigen Bemühen vieler Staaten weltweit entgegen, ihre Gesundheitssysteme effizienter zu gestalten. Wir aber haben bereits vor 15 Jahren begonnen, über das umfassende Management bestimmter Krankheiten nachzudenken. In dieser langfristigen Sicht sehe ich auch eine Form von Resilienz.

Focus: Das eröffnet Ihnen ja sicherlich auch finanzielle Spielräume.

Lipps: In gewisser Hinsicht ja, aber so denken wir nicht. Wir haben die Probleme von Wettbewerbern eigentlich nie genutzt, um die Preise zu erhöhen. Natürlich haben wir unsere Kapazitäten erhöht und mehr Geräte verkauft und damit schließlich einen Marktanteil von 90 Prozent erreicht. Unsere Preiszurückhaltung hat uns Glaubwürdigkeit gerade bei Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen eingebracht. Deshalb können wir nun auch eine Vermittlerrolle zwischen Krankenkassen und Ärzten einnehmen und bei der Gestaltung der Gesundheitspolitik von morgen helfen.

Focus: Wie können Sie sich als börsennotiertes Unternehmen diese langfristige Sicht der Dinge leisten?

Lipps: Einer der Gründe, warum ich zu Fresenius gegangen bin, war die Tatsache, dass das Unternehmen aufgrund seiner einzigartigen Konstruktion natürlich kurzfristige wirtschaftliche Ziele anpeilt, dabei aber die langfristige Stabilität und Kontinuität garantiert, die wir für unsere Arbeit brauchen. Wir hätten opportunistisch Möglichkeiten zur kurzfristigen Profitsteigerung nutzen können, doch wäre dies mit einem Ansehensverlust bei unseren Auftraggebern, Kunden und gegenüber der öffentlichen Hand einhergegangen. Im Gegenteil, wir stellen Ländern, die sich unsere Technologie noch nicht leisten können, diese kostenlos zur Verfügung, weil uns die Bedeutung von „emerging markets“ klar ist. Außerdem nehmen Nierenerkrankungen mit dem Alter zu. Wir wissen also heute schon, dass wir aufgrund vieler alternder Gesellschaften in zehn Jahren doppelt so viele Patienten haben werden wie heute. Es gibt also genügend Spielraum für Wachstum und Innovation.

Focus: Wie sorgen Sie dafür, dass die Organisation und die Mitarbeiter innovativ bleiben und sich nicht selbstzufrieden auf den bisherigen Erfolgen ausruhen?

Lipps: Das hängt meiner Meinung nach vor allem vom Top-Management und seiner Kommunikation mit dem Rest des Unternehmens ab. Wenn die Unternehmensspitze selbstzufrieden ist, wird jeder andere im Unternehmen es bald auch sein, und umgekehrt können die Top Executives das durch ihr Vorbild und ihr Handeln ebenso leicht verhindern.

„Wir sind Enthusiasten. Wir tun das, was wir tun, aus Überzeugung und mit Freude.“

Focus: Welche Signale senden Sie persönlich in Ihr Unternehmen?

Lipps: Wir, und damit meine ich das gesamte Top-Management vonFMC, sind Enthusiasten. Wir tun das, was wir tun, aus Überzeugung und mit Freude. Das ist eine klare Haltung, die ansteckend wirkt.

Focus: Worauf achten Sie bei der Auswahl und Entwicklung Ihrer Top-Manager besonders? Spielt Resilienz als Qualitätskriterium da eine besondere Rolle?

Lipps: Wenn wir jemanden von außen einstellen, dann sind das Top Performer, die ihre Fähigkeiten schon vielfach unter Beweis gestellt haben. Insofern stellt sich die Frage nach der persönlichen Resilienz nicht explizit. Sie ist Grundvoraussetzung. Außerdem brauchen wir bestimmte fachliche Fähigkeiten, und die entwickeln wir bei unseren Führungskräften überwiegend intern.

Focus: Ist es nicht notwendig, gelegentlich neue, frische Ideen von außen ins Unternehmen zu bringen?

Lipps: Ach, wissen Sie, Ideenmangel ist nicht unser Problem. Es geht vielmehr darum, diese zu realisieren. Unser Geschäft hängt ja von vielen Determinanten ab. Eine der wichtigsten ist die Gesundheitspolitik. Wenn wir etwas Neues wie ein ganzheitliches Behandlungskonzept für Dialysepatienten implementieren wollen, dann müssen wir unsere Mannschaft stärken, indem wir Mitarbeiter mit den dafür benötigten Fähigkeiten einstellen. Dazu bedarf es eben auch der Resilienz, politische Entscheidungen zu unterstützen, den Bedürfnissen von Kassen und Patienten am besten gerecht zu werden.

Focus: Wie erhalten Sie auch bei zunehmender Unternehmensgröße den gemeinsamen Geist der Organisation?

Lipps: Wir haben eine sehr dezentrale Organisation, weil jeder Markt seine speziellen Bedürfnisse hat. Aber wir haben auch eine gemeinsame Basis, weil wir alle die gleiche Krankheit behandeln. Und die Kostenstrukturen in der Gesundheitspolitik vieler Länder nähern sich einander inzwischen an. Außerdem sind fast alle unsere 200 Top-Manager seit mehr als zehn Jahren bei uns. Obwohl unser Unternehmen durch die vertikale Integration sehr komplex ist und jeder Länderchef sozusagen auch der CEO seiner Region ist, haben wir doch alle eine gemeinsame Mission, die uns eint: Das Beste für die Patienten zu tun und für unsere Stakeholder. Künftig werden zwei Drittel unserer Umsätze aus dem Servicegeschäft kommen, aber dennoch dürfen wir auf keinen Fall die Qualität unserer Produkte aus den Augen verlieren. Ich bin davon überzeugt, dass unser Bekenntnis und die Nachdrücklichkeit, mit der wir uns auf Qualität fokussiert haben und erstklassige Produkte mit exzellentem Service kombinieren, weiterhin Treiber unseres Erfolgs sein werden.

Focus: Sie haben einmal gesagt, dass Sie so erfolgreich sind, weil Sie deutsche mit amerikanischen Stärken kombinieren. Was genau haben Sie damit gemeint?

Lipps: Die Deutschen denken langfristig. Amerikaner sind kurzfristiger orientiert. Diese beiden Haltungen balancieren wir so aus, dass sie ein Wettbewerbsvorteil sind. Zudem weiß ich die Stabilität und den Langzeiteinfluss der Else Kröner-Fresenius-Stiftung sehr zu schätzen.

Focus: Und wie sieht es mit dem Mut zum Risiko aus?

Lipps: Man muss bereit sein, Risiken zu tragen und die Verantwortung für Rückschläge zu übernehmen. Und neue Chancen sofort wieder zu ergreifen. Resilienz ist dafür wirklich ein guter Begriff – durchzuhalten für eine Mission, die den Einsatz lohnt.

Focus: Haben Sie eigentlich bei FMC auch bewusst Wendepunkte initiiert, wenn Ihnen die Entwicklung allzu glatt und ruhig vorkam?

Lipps: Vielleicht nicht so gezielt, aber es gibt immer Möglichkeiten, unser Unternehmen zu verbessern, und es entspricht unserer Natur, diese Möglichkeiten auch zu nutzen. Uns allen liegt das Verkaufen im Blut, und gute Verkäufer schauen schon unmittelbar nach einem gelungenen Geschäft, wo sie als nächstes erfolgreich sein können. Außerdem sind Verkäufer daran gewöhnt, sich von Misserfolgen nicht entmutigen zu lassen. Im Durchschnitt braucht es für einen erfolgreichen Abschluss zehn Kundenkontakte, das heißt, man wird neun Mal abgewiesen. Das fördert die persönliche Resilienz und den Ehrgeiz, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Focus: Machen Ihnen die geplanten Einschnitte in den nationalen Gesundheitssystemen keine Sorgen?

Lipps: Im Gegenteil – sie helfen uns. Kostenkrisen im Gesundheitswesen sind eine Chance für uns, höherwertige Dienstleistungen effizienter anzubieten. Das ist ja der Vorteil eines integrierten Systems, dass wir durch gute Koordination Kosten sparen können. Die Tatsache, dass wir uns trotz früherer Kritik nicht von unserem Geschäftsmodell haben abbringen lassen, zahlt sich jetzt aus.

Focus: Dr. Lipps, Sie sind jetzt 70 Jahre alt und voller Energien und Ideen. Was ist Ihre Kraftquelle?

Lipps: Ich bin auf einer Farm im Mittleren Westen aufgewachsen und musste schon als sechsjähriger Junge Verantwortung für bestimmte Aufgaben übernehmen. Als ich in der High School war, hatte ich plötzlich den Hof ganz allein zu führen. Es hat mir schon immer Spaß gemacht zu arbeiten, Verantwortung zu tragen und Erfolg zu haben. Daraus ziehe ich sicherlich heute noch meine Kraft.

Das Gespräch mit Ben J. Lipps führten Xavier Leroy, Egon Zehnder, Paris, und Friedrich Kuhn, Egon Zehnder, Berlin (rechts).

Ben J. Lipps

Ben J. Lipps, Jahrgang 1940, ist im Mittleren Westen der USA als Sohn eines Farmers aufgewachsen. 1962 schloss er sein Studium der chemischen Verfahrenstechnik ab und promovierte anschließend am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Danach leitete der Chemieingenieur ein Forschungsteam bei DOW Chemical, das Ende der sechziger Jahre die erste künstliche Hohlfasermembran für den Einsatz in Dialysegeräten herstellte. Als Dow allerdings ein Folgeprojekt kurzfristig stoppte, machte Lipps sich mit seinem Team selbständig und gründete eine eigene Firma. 1985 wechselte er zur US-Tochter des deutschen Gesundheitskonzerns Fresenius, war von 1985 bis 1996 Vorstandsvorsitzender von Fresenius USA. Gemeinsam mit Gerd Krick, dem damaligen Vorstandschef von Fresenius und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden, den Lipps als hervorragenden Strategen lobt, fädelte er 1996 den Kauf von National Medical Care (NMC) ein. Lipps führte dabei die komplizierten Verhandlungen vor Ort. Er übernahm die Führung der neugegründeten Fresenius Medical Care (FMC) in Nordamerika und ist seit 1999 Vorstandsvorsitzender von FMC. Lipps lebt in den USA und führt das Unternehmen von dort – und das sehr erfolgreich. 2009 wurde Lipps von den Lesern des Magazins „Euro am Sonntag“ zum Unternehmer des Jahres gewählt. Gerade hat der Manager seinen Vertrag, der eigentlich 2011 enden sollte, bis Ende 2012 verlängert. Lipps’ Nachfolger Rice Powell arbeitet sich derweil als stellvertretender CEO ein.

FRESENIUS MEDICAL CARE AG & CO. KGAA, BAD HOMBURG „Hering frisst Hai“

Fresenius Medical Care (FMC) ist der weltweit führende Anbieter von Dialyseprodukten und -dienstleistungen. Der Mutterkonzern Fresenius SE hält rund 36 Prozent der Stammaktien und über 50 Prozent der Stimmrechte des Unternehmens. 58 Prozent der Aktien des Mutterkonzerns wiederum gehören der Else Kröner-Fresenius-Stiftung und liegen damit im weitesten Sinn bei der Gründerfamilie. Else Kröner, Ziehtochter des Apothekers und Firmengründers Eduard Fresenius, begann in den sechziger Jahren mit dem Vertrieb von Dialysegeräten. Ab 1979 entwickelte das Unternehmen eigene Geräte und avancierte in der Folge zum Weltmarktführer. Unter Leitung von Gerd Krick, dem ersten familienfremden Manager an der Unternehmensspitze, fusionierte Fresenius – inzwischen eine Aktiengesellschaft – in einer spektakulären Übernahmeschlacht mit dem weltweit größten Betreiber von Dialysekliniken, National Medical Care (NMC), und verschmolz diesen mit der eigenen Dialysetechnik-Sparte. Das übernommene Unternehmen war gemessen am Umsatz deutlich größer als die neue Muttergesellschaft. „Hering frisst Hai“ titelten damals die Wirtschaftsblätter. 1996 wurde FMC als eigenständiges Unternehmen gegründet. 2009 steigerte FMC seinen Umsatz um sechs Prozent auf 11,3 Milliarden Dollar und betreut heute in einem Netz von weltweit 2 553 Dialysekliniken über 195 000 Patienten.

FOTOS: RÜDIGER NEHMZOW

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