„Für mich bedeutet Transparenz letztlich gute Kommunikation.“
Im Urteil der Analysten ist Jürgen Hambrecht einer der besten Kommunikatoren in Europa. Welches sind die Leitlinien des BASFVorstandsvorsitzenden im internen und externen Dialog?
KLARE WORTE sind ein Markenzeichen Jürgen Hambrechts. Auch im Interview mit dem FOCUS erweist er sich als offener und eloquenter Gesprächspartner. Ob es um die Kommunikation seines Unternehmens in Krisenfällen oder seine Kritik an dem Gesetz zur individualisierten Veröffentlichung der Vorstandsbezüge geht, der BASF-Vorstandsvorsitzende bringt die Dinge auf den Punkt – mit der ihm eigenen Anschaulichkeit.
Focus: Herr Hambrecht, welchen Stellenwert hat für Sie und die BASF Aktiengesellschaft Transparenz?
Jürgen Hambrecht: Unternehmen, die glaubwürdig sein wollen, müssen offen und transparent sein. Dabei erarbeitet man sich Glaubwürdigkeit über Jahre und Jahrzehnte und zerstört sie, wenn man etwas falsch macht, über Nacht. Deshalb ist es von enormer Bedeutung, gut zu kommunizieren. Für mich bedeutet Transparenz letztlich gute Kommunikation – und dies ist eine Kunst.
Focus: Was zeichnet gute Kommunikation aus?
Hambrecht: Kommunikation muss kontinuierlich, glaubwürdig und nachvollziehbar sein. Wer kommuniziert, muss vor allem darauf achten, dass er verstanden wird. Und dies setzt wiederum voraus, dass man seinen Gesprächspartnern mit offenen Ohren begegnet und in der Lage ist, sich in sie hineinzuversetzen. Man muss Respekt vor dem anderen haben, das aufnehmen, was er sagt, und wirklich authentisch sein. Das sind aus meiner Sicht die Eckpunkte guter Kommunikation.
„Kommunikation muss kontinuierlich, glaubwürdig und nachvollziehbar sein.“
Focus: Sind das nicht im Grunde sehr hohe Anforderungen?
Hambrecht: Natürlich, aber daran wachsen wir auch. Die Menschen sind unterschiedlich strukturiert. Deshalb ist entscheidend, dass man so offen wie irgend möglich miteinander umgeht. Wir pflegen daher im Konzern, aber auch im Verhältnis zu unseren Geschäftspartnern und den gesellschaftlich relevanten Gruppen bewusst einen offenen Dialog. Authentizität setzt dabei voraus, dass man intern und extern mit einer Stimme spricht. Es kann in der Kommunikation keinen Unterschied zwischen innen und außen geben.
Focus: Gibt es bei Ihnen Prozesse, die sicherstellen, dass alle im Unternehmen die offene Kommunikationskultur beherzigen und danach leben?
Hambrecht: Diese Prozesse gibt es in vielfältiger Form. Zum Beispiel komme ich gerade von einem zweitägigen Treffen mit den obersten Führungskräften im Konzern. Wir treffen uns einmal im Monat und sind in der Regel nicht mehr als 40 Personen.
Focus: Ein monatliches Treffen der 40 obersten Führungskräfte im Konzern – das ist in der Tat beachtlich!
Hambrecht: Ja, die Führungskräfte kommen aus aller Welt, und zumindest einmal im Jahr hat das Meeting keine feste Agenda. Wir sprechen dann Schwachstellen und Mängel offen an und reden auch darüber, wie wir miteinander umgehen wollen. Es wird also Tacheles geredet. Aber es wird auch gelobt, wenngleich dies hin und wieder noch zu kurz kommt.
Focus: Die BASF ist ein multinational aufgestelltes Unternehmen. Was folgt daraus für Ihre interne Kommunikation? Müssen Sie nicht in Asien anders kommunizieren als in Deutschland?
Hambrecht: Ja, natürlich. In Korea können Sie nicht unbedingt erwarten, dass in einem hierarchiefernen, konstruktiven, offenen Dialog Entscheidungen herbeigeführt werden. Sie können die Kultur in Korea nicht umdrehen. Doch ändern sich die Verhältnisse auch dort. Früher kam der Chef in das Zimmer, und die Gespräche verstummten. Heute kommt der Chef, und es wird diskutiert.
Focus: Ist das mehr eine Frage des Tones?
Hambrecht: Auch, aber vielmehr des Rollenspiels. Der Chef muss sich auch mal zurücknehmen und nicht immer dominieren. Das halte ich gerade in Asien für fundamental, und die Ergebnisse sind beachtlich. Doch unterscheidet sich auch die Führungskultur in Nordamerika von derjenigen in Deutschland und Europa. „Tell me what to do and I’ll do it“ – dieses Denken herrscht in den Vereinigten Staaten teilweise noch vor. Wir tragen den kulturellen Unterschieden natürlich in vielerlei Hinsicht Rechnung. Zum Beispiel veranstalten wir in Europa, Asien und Nordamerika jährlich separate Regionalkonferenzen mit 140 bis 200 Führungskräften. Darüber hinaus findet alle zwei Jahre unsere Group Conference mit den 250 Top-Führungskräften statt.
Focus: Auch Ihre externe Kommunikation gilt als vorbildlich. Eine Umfrage der Institutional Investor Research Group (IIRG) bei Analysten hat ergeben, dass Sie, Herr Hambrecht, zu den besten Kommunikatoren gegenüber den Finanzmärkten in Europa zählen. Welches sind die Leitlinien Ihrer Tätigkeit im Bereich Investor Relations?
Hambrecht: Wichtig ist, die langfristige Strategie des Unternehmens für Analysten und Investoren nachvollziehbar und glaubwürdig zu kommunizieren. In der komplexen Chemiebranche und für ein so großes Unternehmen wie die BASF ist dies nicht immer einfach. Von unseren zwölf Unternehmensbereichen sind einzelne ja größer als viele andere Chemieunternehmen insgesamt. Deshalb können wir nicht über jede strategische Geschäftseinheit berichten, sondern müssen die Entwicklungen in einen Gesamtzusammenhang stellen.
Focus: Und auch die Risiken offen ansprechen?
Hambrecht: Transparenz ist unabdingbar. Das bedeutet auch, dass man klar sagt, warum sich ein Geschäft unbefriedigend entwickelt. Welches sind die Risiken, und wo liegen die Chancen? Auf diese Fragen müssen Sie so offen wie irgend möglich antworten. Unter den Analysten gibt es exzellente Experten, die unser Unternehmen sehr gut kennen. Das ist schon toll, was die leisten.
„Um uns herum ist stürmische See. Im Wettbewerb bekommt schon mal einer Schlagseite.“
Focus: Stehen die kurzfristigen Rendite-Erwartungen der Kapitalmärkte häufig im Gegensatz zur langfristigen Unternehmensstrategie?
Hambrecht: Natürlich haben auch wir hin und wieder Probleme. Wir sind ja nicht alleine im Wettbewerb. Um uns herum ist stürmische See. Da bekommt schon mal einer Schlagseite und versinkt sogar, dafür wird ein anderer stärker, weil er einfach besser mit den Windverhältnissen zurechtkommt. Um in dieser rauen See zu bestehen, muss man hart kämpfen. Leider ist es in Mode gekommen, Geschäftseinheiten, die Probleme haben, umgehend abzuspalten und zu verkaufen – weil man nicht in der Lage ist, mit Komplexität umzugehen und eine Wegstrecke des Kampfes durchzustehen. Wenn wir von einem Geschäft überzeugt sind, lassen wir uns von außen nicht beirren und kommunizieren dies ganz klar: „Jawohl, wir werden das schaffen, dies ist unser Weg, und daran könnt Ihr uns messen.“
Focus: Wo sehen Sie Grenzen von Transparenz und Offenheit?
Hambrecht: Wir können natürlich aus der BASF keine gläserne Fabrik machen. Die Grenzen der Transparenz liegen dort, wo es um Geschäftsgeheimnisse und um Wettbewerbsvorteile geht. Das bedeutet aber nicht, dass wir die Aktionäre nicht umfassend informieren können. Ihr Interesse besteht darin, fundiert Chancen und Risiken und die Ergebnisentwicklung abschätzen zu können. Sie wollen wissen, ob wir künftig Wert schaffen oder vernichten. In den vergangenen zehn Jahren sind die Aktionäre sehr gut mit uns gefahren.
„Wir können natürlich aus der BASF keine gläserne Fabrik machen – trotzdem aber umfassend informieren.“
Focus: Wie geht die BASF bei Prognosen zur voraussichtlichen Geschäftsentwicklung vor?
Hambrecht: Was den Ausblick angeht, sind wir als eher konservativ bekannt – und dies aus gutem Grund. Sie können doch gar nicht wissen, was übermorgen irgendwo auf dieser Erde passiert. Die Komplexität und Volatilität der Märkte hat ein bislang nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Nehmen Sie die Entwicklung des Ölpreises. Wie können vor diesem Hintergrund einige Experten voraussagen, dass die Konjunktur in Deutschland anspringt? Wir können das jedenfalls nicht.
Focus: Nach unserem Wissen waren Ihre Prognosen aber immer sehr treffsicher.
Hambrecht: Wir mussten einmal, als im Jahr 2001 die Weltmärkte eingebrochen sind und vor allem Nordamerika in eine Rezession geraten ist, unseren Forecast zurücknehmen. Das war jedoch das einzige Mal. Wir haben bei Prognosen eine gewisse Reputation. Wenn wir etwas sagen, dann wird dies in der Branche als das wahrscheinlichste Szenario angesehen.
Focus: Die EU hat die BASF mit einem Bußgeld wegen Preisabsprachen bei Vitaminen belegt. Wie proaktiv kommunizieren Sie solche Themen?
Hambrecht: Bei einem solchen Fall sind sie zunächst zwangsläufig in einer reaktiven Phase, und das ist schlecht. Das bedeutet Krisenmanagement. Und da gibt es nur eines: Klar sagen, was Sache ist. Es hilft überhaupt nicht, mit einer Salamitaktik schnittchenweise die Öffentlichkeit zu informieren. Anfangs haben Sie vielleicht das Problem, dass Sie gar nicht alles wissen und erst einmal recherchieren müssen. Doch vom Grundsatz her gibt es nur klare Offenheit und Transparenz – was wir meiner Meinung nach auch demonstrieren. Und dann müssen Sie die Chancen, die jede Krise bietet, nutzen und Vorkehrungen treffen, damit so etwas nicht wieder passiert. Ich meine, wir haben bei der BASF inzwischen sehr gute Prozesse etabliert. Bei uns gibt es unangekündigt interne Audits, wir führen umfangreiche Schulungen durch, und wir haben eine anonyme externe Telefonnummer für entsprechende Hinweise eingerichtet.
Focus: Besteht nicht die Gefahr, dass dadurch eine die Leistung und Motivation hemmende Misstrauenskultur entsteht?
Hambrecht: Nein, die Mitarbeiter sind im Gegenteil sogar froh, dass wir ihnen Orientierung geben. Die Vorgaben sind zwar eindeutig. Doch gibt es Grenzfälle, in denen nicht ganz klar ist, was in Ordnung ist und was nicht. Deshalb muss man diese Themen ständig offen kommunizieren, und ich habe nicht den Eindruck, dass wir über das Ziel hinausschießen. Wir wollen alles tun, um solche Vorkommnisse zu vermeiden.
Focus: Als eines der ersten Unternehmen hat die BASF das Amt eines Compliance Officers geschaffen. Ist dieser eigentlich Teil der Revision, und welche Aufgaben hat er?
Hambrecht: Der Compliance Officer steht für sich allein. Er kann die Revision nutzen, muss es aber nicht. Zu seinen Aufgaben zählt es, bei der BASF eingehende Hinweise auszuwerten und die Situation in den Geschäftseinheiten zu analysieren. Er stellt fest, wo es Nachholbedarf gibt, und er hilft dabei, unseren Kodex lokal anzupassen und umzusetzen. Die Geschäftspraktiken unterscheiden sich ja regional erheblich. In China sind Gastgeschenke eine Selbstverständlichkeit. In Deutschland muss jedes Gastgeschenk mit einem Wert von mehr als 45 Euro versteuert werden.
Focus: In den Vereinigten Staaten hat der Gesetzgeber mit dem Sarbanes Oxley Act auf die Unternehmensskandale von Enron und WorldCom reagiert. Das Gesetz ist sehr weitgehend und hat deswegen in der US-Wirtschaft scharfe Kritik hervorgerufen. Als in New York gelistetes Unternehmen ist auch die BASF Sarbanes Oxley unterworfen. Teilen Sie die Kritik an dem Regelwerk?
Hambrecht: Sarbanes Oxley verlangt unter anderem ein Management-Assessment der internen Kontrolle und ist daher mit hohem Zusatzaufwand verbunden. Gemessen daran erscheint der Zuwachs an Transparenz und die Verbesserung des Risikomanagements eher unbedeutend. Das Gesetz hat aber Schwachstellen beseitigt. Wir halten an der Notierung in den USA fest, weil sie zeigt, dass wir die internationalen Spielregeln akzeptieren und transparent sind. Grundsätzlich aber gilt: Wir können nicht alle Risiken ausschließen, wir müssen die Risiken managen.
Focus: In Deutschland hat der Bundestag kürzlich mit den Stimmen aller Parteien ein Gesetz zur individualisierten Veröffentlichung der Vorstandsgehälter verabschiedet. Sie haben sich immer gegen diese auch vom Deutschen Corporate Governance Kodex empfohlene Praxis ausgesprochen. Bleiben Sie bei Ihrer Kritik?
Hambrecht: Ich habe den Deutschen Corporate Governance Kodex insgesamt immer für eine gute Sache gehalten. Bei der empfohlenen Individualisierung der Vorstandsbezüge geht er mir aber eindeutig zu weit, und ich rücke auch jetzt nicht von meiner Kritik ab.
Focus: Woran machen Sie Ihre Kritik vor allem fest?
Hambrecht: Das deutsche Aktienrecht verlangt gemeinsame Entscheidungen des Vorstandes. Die nun geforderte individuelle Offenlegung steht jedoch im klaren Widerspruch zu diesem Grundsatz. Individualisierung bedeutet nämlich die Zuordnung von individueller Verantwortung auf einzelne Vorstandsmitglieder. Die Gesamtverantwortung wird also unterminiert. Das liegt nicht im Interesse von Unternehmen wie der BASF. Künftig wird jedes Vorstandsmitglied nur noch an sein Geschäftsfeld denken. In einem Verbundsystem, in dem der Output eines Produktionsschrittes der Rohstoff für den nächsten ist, kann diese egoistische Sichtweise äußerst schädliche Folgen haben. Deshalb bin ich, als Unternehmensleiter mit einer langfristigen Sichtweise für das gesamte Geschäft, gegen die individualisierte Veröffentlichung der Vorstandsgehälter. Und dies ist nur ein Grund unter vielen anderen.
Focus: Sie zweifeln also generell die Legitimität des Gesetzes an?
Hambrecht: Ich halte das Gesetz für rechtlich fragwürdig. Übrigens bedeutet die individualisierte Veröffentlichung nicht zuletzt eine eklatante Verletzung der Privatsphäre.
Focus: Auch die deutsche Mitbestimmung ist latent in der Diskussion. Welche Ansatzpunkte gibt es aus Ihrer Sicht, das System zu optimieren oder zu verbessern?
Hambrecht: Hier haben wir eine sehr heterogene Landschaft. Das fängt bei den Vertretungen auf Arbeitnehmerseite an, denn nicht alle Gewerkschaften können über einen Kamm geschoren werden. So ist unsere Zusammenarbeit mit der IG Chemie, Bergbau, Energie zum Beispiel sehr konstruktiv. Auch mit dem Betriebsrat arbeiten wir sehr gut. In einem kritisch-konstruktiven Dialog bereitet er langfristige Veränderungsprozesse von Anfang an mit vor. Zum Beispiel haben wir am Standort Ludwigshafen 480 Millionen Euro eingespart und so unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich gestärkt. Gemeinsam mit dem Betriebsrat hatten wir die Belegschaft um Vorschläge gebeten. Und es sind tatsächlich 20.000 Einzelvorschläge eingegangen, deren Einsparvolumen sich auf 480 Millionen Euro addiert hat. Das ist ein Riesenerfolg der gesamten Mannschaft in Ludwigshafen. Unsere Mitarbeiter sind stolz, dass sie es geschafft haben. Das zeigt: Das BASF-Team glaubt an sich und an den Wandel.
Focus: Wie fällt Ihr Urteil über paritätische Unternehmensmitbestimmung aus?
Hambrecht: Bei diesem Thema spielt meines Erachtens die Politik eine viel zu große Rolle. Wir haben, wie gesagt, mit der IG BCE einen konstruktiven Partner. Unsere Flexibilität ist daher hoch. So müsste die Unternehmensmitbestimmung europäischer gemacht werden. Aber natürlich könnte und sollte man einiges verbessern. Mehr als fragwürdig ist dabei, ob ein Aufsichtsrat mit 20 Mitgliedern wirklich Aufsicht und Rat gewährleisten kann. Hier müsste man ansetzen, und ich glaube, dass das auch gelingen kann.
Focus: Wie lautet also Ihre Empfehlung?
Hambrecht: Man müsste in einem ersten Schritt die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder deutlich reduzieren. Dann wäre es auch möglich, die Kompetenz des Gremiums weiter zu erhöhen, zum Beispiel im Hinblick auf die finanzwirtschaftliche Expertise. Das wäre sehr hilfreich, weil der Aufsichtsrat dann seine beratende Tätigkeit verstärken könnte.
Focus: Wie stehen Sie zu einer Auditierung von Aufsichtsräten?
Hambrecht: Es finden ja Selbstbewertungen statt, was ich gut finde. Ich selbst bin in verschiedenen Gremien vertreten. Doch halte ich nichts von einem zusätzlichen Audit. Das wäre nur weiterer bürokratischer Aufwand.
Focus: Wie stellt denn die BASF sicher, dass die fachlich geeigneten, international erfahrenen und mit genügend Zeit ausgestatteten Personen im Aufsichtsrat sitzen?
Hambrecht: Das planen wir langfristig. Wir haben ja Wahlperioden. Zudem haben wir Regeln, die festlegen, wann Aufsichtsratsmitglieder altersbedingt ausscheiden. Der Aufsichtsratsvorsitzende kann sich so frühzeitig nach Persönlichkeiten umschauen, die die vorhandenen Kompetenzen sinnvoll ergänzen. Allgemein halte ich es für wichtig, dass der Aufsichtsrat die regionalen Schwerpunkte des Unternehmens hinreichend abbildet. So kommt ein Unternehmen, das stark in Asien engagiert ist, nicht ohne Experten für den asiatischen Markt aus. Am besten ist dies sogar ein Asiate. Als Manko empfinde ich es zudem, dass viele Aufsichtsräte zu deutschlandlastig sind. Dies gilt insbesondere für die Arbeitnehmervertreter. Da stellt sich schon die Frage, wie man unter diesen Bedingungen ein internationales und globales Unternehmen optimal führen kann.
Focus: Es ist in vielen deutschen Unternehmen Tradition, dass der scheidende Vorstandschef den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt – was mit potenziellen Nachteilen verbunden ist. Verschiedentlich wird daher eine so genannte „Cooling-off-Periode“ gefordert: Erst nach einer gewissen Karenzfrist sollen ehemalige Vorstandsvorsitzende in den Aufsichtsrat wechseln dürfen. Was halten Sie von einer solchen Regel?
Hambrecht: Alles was absolut und radikal ist, ist schlecht. Es gibt ja auch Leute, die meinen, ehemalige Vorstandsmitglieder dürften überhaupt nicht im Aufsichtsrat vertreten sein. Ich halte dies schlicht für Unsinn. Wer so etwas fordert, hat keine Ahnung davon, wie Aufsichtsratsarbeit in der Praxis abläuft. Was wir brauchen, sind tatkräftige Aufsichtsräte, die zusätzlichen Wert für das Unternehmen schaffen. Und da kann es durchaus wünschenswert sein, dass der ehemalige Vorstandschef den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt. Wichtig ist vor allem, dass ein Aufsichtsrat kompetent ist. Eine Cooling-off-Periode brauchen wir nicht. Nach zwei oder drei Jahren ist man raus aus dem Geschäft. Nicht vergessen sollte man dabei, dass auf der Anteilseignerseite mindestens so viel Kompetenz vorhanden sein sollte wie auf der Arbeitnehmerseite mit den dort vertretenen aktiven Betriebsräten.
Focus: Erlauben Sie uns zum Schluss noch eine Frage zur Markenpositionierung des Unternehmens. Während andere Firmen ihre Wurzeln als Chemieunternehmen gerne verbergen, haben Sie die BASF ausdrücklich als „The Chemical Company“ positioniert. Welche Philosophie verbirgt sich hinter dieser klaren Positionierung?
Hambrecht: Die Chemie ist in der Öffentlichkeit nicht gerade eine geliebte Branche. Viele Menschen haben sogar Angst vor ihr, weil sie oft in Erinnerung haben: Chemie ist, wenn es stinkt und kracht. In Wirklichkeit funktioniert ohne Chemie nicht viel. Ob Sie morgens die Kaffeemaschine anstellen, unter die Dusche gehen und sich die Haare waschen, das strahlend weiße Hemd anziehen oder dann das Auto starten – das alles wäre ohne die Produkte der chemischen Industrie nicht möglich. Nehmen Sie die Pharmazie, den Pflanzenschutz oder Vitamine – Chemie ist überall, begleitet uns tagtäglich und ist von allerhöchstem Wert. Die ihr zustehende Wertschätzung bleibt der Industrie jedoch versagt, weil die Verbraucher einfach nicht wissen, in wie vielen Produkten Chemie enthalten ist. Deswegen haben wir die Kampagne „Unsichtbarer Beitrag – Sichtbarer Erfolg“ gestartet. Wir demonstrieren in diesem Rahmen beispielhaft, was „BASF inside“ bedeutet.
„Wir bekennen uns dazu und wir sind stolz darauf, ein Chemieunternehmen zu sein.“
Focus: Zielt die Positionierung auch darauf ab, das Profil des Unternehmens im Ausland zu schärfen?
Hambrecht: Eindeutig ja. Wir haben zum Beispiel in den Vereinigten Staaten einen hohen Bekanntheitsgrad durch unseren dortigen Slogan „Helping to make products better“. Was wir aber wirklich machen, weiß bisher kaum jemand. Die BASF ist eben nicht bekannt als Chemieunternehmen. In ganz Asien gelten wir bei vielen noch immer als Hersteller von Audiokassetten und Videobändern – eben als die Tape Company. Dabei haben wir dieses Geschäft schon seit zehn Jahren nicht mehr im Portfolio. Wir mussten uns also auf jeden Fall schärfer positionieren.
Focus: Das erklärt noch nicht vollständig das klare Bekenntnis zur Chemie.
Hambrecht: Wenn sich das größte, das innovativste und das von der Performance her beste Unternehmen nicht zur Chemie bekennt, wer soll es denn dann tun? Wir bekennen uns dazu und wir sind stolz darauf, ein Chemieunternehmen zu sein. Das ist ein klares Commitment zu dem, was wir tun und was wir gut können. Inzwischen entwickelt die Kommunikation wirklich starke Kräfte. Alle anderen blicken mit Respekt auf die BASF. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass unsere Kunden lieber mit der Chemical Company zusammenarbeiten als mit einer Science Company. Sie wissen: Die BASF steht wie ein Fels in stürmischer Brandung, der niemals untergehen wird.
Focus: Herr Dr. Hambrecht, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview mit Jürgen Hambrecht führten Nicolas Graf von Rosty-Forgách, Egon Zehnder, Hamburg (l.) und Ulf R. Püschel, Egon Zehnder, Düsseldorf
ZUR PERSON Jürgen Hambrecht
Jürgen Hambrecht wurde 1946 in Reutlingen geboren. Er studierte nach dem Abitur in Tübingen Chemie und promovierte in Organischer Chemie. Seine berufliche Karriere begann Hambrecht 1976 im Kunststofflabor der BASF Aktiengesellschaft in Ludwigshafen, ab 1990 leitete er den Unternehmensbereich technische Kunststoffe. 1995 ging er als Leiter des Ostasien-Geschäftes nach Hongkong, wo er einen neuen Verbundstandort der BASF in China vorbereitete.
Im Jahr 1997 wurde Jürgen Hambrecht in den Konzernvorstand berufen. Er verantwortete dort den Bereich Petrochemie sowie die Regionen Süd- und Südostasien und blieb auch als Vorstandsmitglied in Hongkong. 1999 kehrte Hambrecht nach Ludwigshafen zurück. Laut Expertenurteil war in der gesamten Branche kein Unternehmen so gut in Asien aufgestellt wie die BASF.
Im Mai 2003 wurde Jürgen Hambrecht als Nachfolger von Jürgen F. Strube Vorstandsvorsitzender der BASF. Unter ihm setzte der mit Produktionsstandorten in 36 Ländern und 82.000 Mitarbeitern weltgrößte Chemiekonzern seine Erfolgsgeschichte nahtlos fort. Die BASF ist finanziell und bilanziell kerngesund und arbeitet hoch profitabel. Als eine ihrer herausragenden Stärken gilt die Verbundproduktion: Die Nebenprodukte aus einer Produktion werden als Rohstoffe für andere Produktionen genutzt. Doch der Verbundgedanke ist viel weiter gefasst. Er beschreibt auch die Zusammenarbeit der BASF-Mitarbeiter untereinander und mit externen Partnern.
Die BASF AG Global handeln und profitabel wachsen
Die BASF wurde im Jahr 1865 als „Badische Anilin- & Soda-Fabrik“ gegründet. Schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Unternehmen zu einem bedeutenden Chemiekonzern. Bereits damals gab es Niederlassungen in den USA, Frankreich und Russland. 1925 fusionierte die BASF mit fünf weiteren Firmen (darunter Hoechst und Bayer) zur „Interessengemeinschaft Farbenindustrie Aktiengesellschaft“. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die I.G. Farben aufgelöst. Durch Akquisitionen in aller Welt und zahlreiche Firmengründungen wuchs die BASF in den 70er und 80er Jahren und blieb im Vergleich mit Hoechst und Bayer stets das „reinste“ Chemieunternehmen. Während sich die Konkurrenten immer mehr zu diversifizierten Life-Science- Unternehmen entwickelten, ging die BASF den umgekehrten Weg. Im Jahr 2001 wurde die Pharma-Sparte für 6,9 Milliarden US-Dollar verkauft. Das Portfolio umfasst jetzt Chemikalien, Kunststoffe, Veredlungsprodukte (unter anderem Farben und Lacke), Pflanzenschutzmittel und Feinchemikalien sowie Erdöl und Erdgas. Vorstandschef Jürgen Hambrecht erteilt wie sein Vorgänger Jürgen F. Strube einer Großfusion mit einem anderen Chemie-Giganten eine klare Absage. Von einer starken Heimatbasis aus will die BASF global handeln und profitabel wachsen. Dies geschieht durch gezielte Akquisitionen und aus eigener Kraft. Vor allem Asien ist für Jürgen Hambrecht der Wachstumsmarkt.