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Interview mit Michael Bloomberg

„Letztlich geht es vor allem um Respekt und Anerkennung.“

Als Unternehmer wurde er zur Legende, als erfolgreicher Politiker strebt er gerade eine dritte Amtszeit an: Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg erläutert in einem Interview mit FOCUS, warum es genauso befriedigend sein kann, für wenig Geld in der Regierung zu arbeiten, wie einen Weltkonzern aufzubauen. Und warum die Erfolgsrezepte in beiden Bereichen ähnlicher sind, als man es gemeinhin vermuten würde.

Focus: Sie schreiben in Ihrer Autobiographie: „Je mehr Aufgaben man übernimmt, desto erfüllter ist das eigene Leben.“ Wie voll – und erfüllt – ist Ihr Leben als Bürgermeister von New York City?

Michael Bloomberg: Ich mag es, zehn Sachen am Tag zu machen. Und das an sieben Tagen in der Woche.

Focus: Was war der Anreiz für Sie, eine Führungsaufgabe im öffentlichen Dienst zu übernehmen? Das Geld kann es nicht gewesen sein. Ist es die Medienwirksamkeit oder die Anerkennung durch die Bevölkerung?

Bloomberg: Letztlich geht es wohl vor allem um Respekt und Anerkennung. Als ich in die Politik ging, war ich aber wirklich positiv überrascht von dem Niveau, auf dem die 300000 Mitarbeiter der Verwaltung von New York City arbeiten. Viele dieser Stadtangestellten könnten viel lukrativere Jobs im Privatsektor bekommen. Hier agieren sie außerdem in einem Umfeld, in dem es manchmal wirklich um Leben oder Tod geht. Ein Umfeld, in dem die Aufmerksamkeit der Presse ständig auf sie gerichtet ist. In gewisser Weise ist das für einen Manager ein viel schwierigeres Umfeld. Das große Plus aber sind der Respekt und die Anerkennung, die sie dafür bekommen. Diese sind unerlässlich, wenn wir gute Leute halten wollen. In der Privatwirtschaft kommt man vor allem über finanzielle Anreize an Spitzenkräfte. Im öffentlichen Dienst funktioniert es nicht mit Geld. Deshalb muss man es anders machen. Ich persönlich halte viel davon, Verantwortung zu delegieren. Ich habe früher als Fulltime-Job ein Unternehmen mit 10000 Mitarbeitern geführt. Jetzt habe ich 300000 Mitarbeiter, aber so gesehen gibt es keinen wirklich wichtigen Unterschied zwischen dem Unternehmen, das ich früher geleitet habe, und dieser öffentlichen Institution: Wenn wir gute Leute für uns gewinnen wollen, müssen wir versuchen, die Anreize für diese Mitarbeiter mit unseren Zielen in Einklang zu bringen, sie selbst entscheiden lassen und sicherstellen, dass ihr Chef hinter ihren Entscheidungen steht. Wir können nicht Mitarbeiter einstellen, um das Unternehmen zu führen und sie dann nicht das tun lassen, was sie für richtig finden.

Focus: Verantwortung zu delegieren, setzt Vertrauen voraus und beweist Vertrauen. Würden Sie sagen, dass Verantwortung zu delegieren etwas ist, was für die Regierungsgeschäfte in den USAallgemein charakteristisch ist?

Bloomberg: Nein. Es gibt genügend gewählte Mitglieder der Regierung, die nicht delegieren, sondern zentralisieren. Sie müssen immer alles überwachen. Wenn man will, dass eine Verwaltung wirklich funktioniert, muss man aber die besten und klügsten Köpfe für sich gewinnen. Ich bin immer wieder gefragt worden, was Präsident Obama meines Erachtens in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit machen sollte. Meine Antwort darauf lautete stets: „Ich kann nur sagen, was ich in meinen ersten 100 Tagen gemacht habe. Ich habe mich darauf konzentriert, mich mit zuverlässigen Mitarbeitern zu umgeben.“ Die nächste Frage lautete dann: „Ok, und was haben Sie in den ersten 100 Tagen tatsächlich erreicht?“ Wie gesagt, ich habe mich auf meine Mitarbeiter konzentriert. Nun bleiben mir noch ganze 287 Tage im Amt, und ich weiß nicht, ob ich wiedergewählt werde. Trotzdem bemühen wir uns aktiv darum, vakant gewordene Posten von leitenden Beamten wiederzubesetzen. Die Mitarbeiter sind der Schlüssel zu allem. Glücklicherweise herrscht kein Mangel an Menschen, die für die Verwaltung arbeiten möchten. Sie sind bereit, dieses Risiko einzugehen. Warum? Des Geldes wegen? Mitnichten. Sie wollen für diese Administration arbeiten, weil sie dadurch in der Lage sind, Gesetze zu implementieren, die sie für sinnvoll halten und ausprobieren möchten. Ein Verkehrsexperte etwa möchte die Möglichkeit haben, Verkehrsregelungen zu ändern, ohne dass der Bürgermeister sagt: „Mit dieser Maßnahme mache ich mich nur unbeliebt. Da lasse ich lieber die Finger davon.“

„Ich mag es, zehn Sachen am Tag zu machen. Und das an sieben Tagen in der Woche.“

Focus: Als Sie der Wall Street den Rücken kehrten, um Bloomberg Inc. zu gründen, was war da die Schlüsselmotivation für den Unternehmer Michael Bloomberg?

Bloomberg: Nun, nachdem ich bei Salomon Brothers gefeuert worden war, bot mir niemand einen Job an, und ich war zu stur, um mich nach einem neuen Arbeitgeber umzusehen. Da lag der Gedanke nahe, mich selbständig zu machen. Es war nicht so, dass mir der Herrgott erschien und zu mir sprach: „Gründe deine eigene Firma.“ Nichts dergleichen geschah. Ich gehöre nicht zu jener Spezies von Menschen, die auf die innere Stimme lauschen. Ich habe einfach beschlossen, den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen, und diese Entscheidung nie bereut.

Focus: Als Sie Ihr Unternehmen gründeten, waren Sie doch sicherlich in einer Lebensphase, in der Geld keine Rolle spielte. Sie hatten ja gerade eine hohe Abfindung erhalten.

Bloomberg: Als man mir 1981 kündigte, war es nicht Usus, Abfindungen zu zahlen, zumindest nicht bei Salomon Brothers. Ich hatte einen Anteil an der Firma, war persönlich haftender Gesellschafter, und als wir die Bank verkauften, erhielt ich etwa zehn Millionen Dollar aus dem Verkauf. Finanzielle Sicherheit war also nicht so sehr das Thema. Mich reizte es, Unternehmer zu sein. Ich hatte ja schon für ein großes Unternehmen gearbeitet, hatte die verschiedensten Erfahrungen gesammelt. Mein Ego hat mir gesagt, dass alles möglich ist, wenn man nur hart genug arbeitet. Vielleicht bin ich nicht clever genug, um die Risiken einzuschätzen. Ich bin der Typ Mensch, der die Dinge einfach anpackt.

Focus: War es dann wirklich so einfach, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Bloomberg: Bis wir ein marktreifes Produkt hatten, dauerte es drei Jahre. Das erste Jahr ist immer einfach, weil alle hochmotiviert sind. Das letzte Jahr ist ebenfalls einfach, denn bis dahin weiß man, dass das Licht am Ende des Tunnels kein entgegenkommender Zug ist, sondern tatsächlich das Ende vom Tunnel. Das zweite Jahr hingegen war schwierig. Ich weiß noch, dass ich alle zwei Wochen einen Scheck ausstellte, um zusätzliche Mittel in das Unternehmen zu pumpen, damit ich die Gehälter zahlen konnte. In dieser Phase kam mir schon der Gedanke: Was ist, wenn das alles nichts wird? Dann werde ich keine Arbeit mehr finden und muss am Hungertuch nagen. Glücklicherweise trat dies nicht ein.

Focus: Gab es in Ihrer Zeit als Unternehmer auch lohnende Momente, mit denen Sie nicht gerechnet und die Sie überrascht haben?

Bloomberg: Das Faszinierendste daran war, dass alles neu war. Als ich die Firma gründete, gab es noch keine PCs. Also haben wir unsere PCs selbst konstruiert und gebaut. Ich tat mich mit einem Ingenieur zusammen und verbrachte jedes Wochenende bei ihm in Connecticut damit, Transistoren, Resistoren und Kondensatoren auf Leiterplatten zu löten. Auch das Internet existierte noch nicht. Also haben wir spezielle Telefonleitungen legen lassen und ein Modem von hier nach Chicago eingerichtet. Wir mieteten dort ein winziges Büro und von dort aus gingen Direktleitungen an drei oder vier unserer lokalen Kunden. Die Wochenenden verbrachte ich damit, Terminals unter den Schreibtischen zu installieren. Das alles war sehr lohnend, weil es interessant war und Spaß gemacht hat.

Focus: Was hat Sie dann 20 Jahre später dazu bewogen, für das Amt des Bürgermeisters von New York City zu kandidieren? Fehlte die Herausforderung? Oder gab es andere Gründe?

Bloomberg: Es war die Chance, wirklich etwas zu bewegen. Jeder beschwert sich über die Regierung. Wenn ich mich über etwas beschwere, will ich aktiv beweisen, dass ich es besser kann.

Focus: Haben Sie aus Ihrer Tätigkeit in der freien Wirtschaft Praktiken übernommen, die im öffentlichen Dienst bis dahin unbekannt waren?

Bloomberg: Die Einführung von Großraumbüros war eine echte Neuerung. Traditionell hat im öffentlichen Dienst jeder sein eigenes Büro. Meine direkten Mitarbeiter haben mir gesagt: „Wir machen das hier so“, aber ich habe ihnen entgegnet: „Ich will es aber anders, und so werden wir es auch machen.“ Anfangs stand ich mit meiner Meinung auf etwas verlorenem Posten. Wir haben dann darüber abgestimmt. Inzwischen finden es alle ganz normal. Am Anfang war sicherlich nicht jeder für das Rauchverbot, aber inzwischen würde es niemand mehr rückgängig machen. Solche Entscheidungen sind aber wichtig für eine Stadt. Das bedeutet für mich, Führungsqualitäten zu zeigen.

Focus: Kommt der Geschäftsmann in Ihnen nicht manchmal zu ganz anderen Schlussfolgerungen als der Politiker? Etwa wenn es um die Kritik an den staatlichen Rettungsaktionen für angeschlagene Unternehmen geht?

Bloomberg: Der Geschäftsmann in mir sagt: Wer der Automobilbranche helfen will, muss die Hälfte der Werke, Zulieferer und Händler schließen. Dadurch verlieren zwar eineinhalb Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz, aber auf diese Weise schrumpft sich die Branche auf ein langfristig vertretbares Niveau gesund. Der Beamte in mir hingegen sagt: Wer der Wirtschaft unter die Arme greifen will, muss Geld hineinpumpen und ein ineffizientes System am Laufen halten, weil es keine andere Alternative gibt. Was wird die Regierung tun? Natürlich wird sie sagen, dass sie beides will, aber das ist genau das, was nicht geht. Eine Regierung kann keine Antwort akzeptieren, die eine „entweder-oder“-Entscheidung erfordert. So funktionieren Regierungen nun mal nicht.
Focus: Wie also lautet Michael Bloombergs Botschaft an das Weiße Haus?

Bloomberg: Ich glaube, der Präsident ist es der Öffentlichkeit schuldig zu erklären, warum wir diese Finanzinstitute in einer Weise retten, die der Öffentlichkeit nicht schmeckt. Er hat ja recht. Wir müssen die Banken retten. Wenn wir es nicht tun, bekommen wir alle Probleme. Auch wenn es uns nicht passt, dass unsere Steuergelder dafür verwendet werden, den Bankern zu helfen, liegt es doch im Interesse der Allgemeinheit, dass dies geschieht.

Das Interview mit Michael Bloomberg in New York führten Justus J. O’Brien (r.) und Henry J. Topping, beide Egon Zehnder, New York.

Michael Bloomberg

Michael Rubens Bloomberg wird 1942 als Sohn einer jüdischen Familie russischer und polnischer Abstammung in Boston, Massachusetts geboren. Nach seinem Studium der Elektroingenieurwissenschaften an der Johns Hopkins University heuert er 1966 bei Salomon Brothers an und wird 1972 Partner der Firma. Als Salomon Brothers 1981 verkauft wird, startet Bloomberg seine erste eigene Firma Innovative Market Systems, die Computerterminals anbietet, über die sich Finanz- und Börsenwerte abrufen lassen. Die Umbenennung in Bloomberg L.P. erfolgt 1986. Bloomberg lanciert im Jahr 1990 die Tochterfirma Bloomberg News, eine Nachrichtenagentur, die auch einen weltweiten Wirtschaftsnachrichtensender und ein Internetportal betreibt.
2001 startet der erfolgreiche Unternehmer eine zweite Karriere: Um bei den New Yorker Bürgermeisterwahlen für die Partei der Republikaner zu kandidieren, wechselt der Demokrat Bloomberg die Partei. Er investiert 73 Millionen Dollar seines eigenen Geldes in seinen Wahlkampf. Als der amtierende Bürgermeister Rudolph Giuliani ihn wenige Wochen nach den Anschlägen des 11. Septembers offiziell zum Kandidaten seiner Wahl erklärt, gewinnt Bloomberg die Wahlen wie auch die Wiederwahl vier Jahre darauf. 2008 schließlich verlässt Bloomberg die Partei der Republikaner. Derzeit kandidiert er für eine dritte Amtszeit.
Aus seiner 1993 geschiedenen Ehe hat Bloomberg zwei erwachsene Töchter.

FOTOS: THE CITY OF NEW YORK/SPENCER TUCKER

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