Werner Wenning, Vorsitzender des Vorstands der traditionsreichen Bayer AG, hat in einem gewaltigen Kraftakt aus einem breit aufgestellten Chemieriesen einen auf zukunftsträchtige Geschäftsfelder konzentrierten Konzern formiert. Im FOCUS-Interview beschreibt er, wie das Unternehmen und die Mitarbeiter aus den damit verbundenen Veränderungen gestärkt hervorgegangen sind.
Werner Wenning gehört einer selten gewordenen Spezies an. Er ist einer der letzten Manager, die sich – insbesondere als Nicht-Akademiker – in ein und derselben Firma Stufe um Stufe nach oben gearbeitet haben. Wenning ist im Umfeld des Leverkusener Bayerkreuzes geboren und aufgewachsen. Er hat – bis auf einen kurzen Ausflug zur Treuhandanstalt – immer bei Bayer gearbeitet, davon 15 Jahre lang im Ausland. Als er in turbulenten Zeiten die Konzernführung antrat, zweifelten die Experten: Würde einer aus den eigenen Reihen den Mut haben, das Unternehmen radikal neu auszurichten und damit auch traditionelle Wurzeln zu kappen? Wenning hatte – und wie! Und was besonders bemerkenswert ist: Gerade aus der Tatsache, dass er sich der langen Geschichte seines Unternehmens in besonderem Maß verpflichtet fühlt, schöpft Wenning die Kraft zu tiefgreifender Veränderung.
Focus: Als Sie 2002 die Führungsverantwortung bei Bayer übernahmen, befand sich das Unternehmen in einer der schwierigsten Situationen seiner Geschichte. Wie haben Sie das damals persönlich erlebt? Hatten Sie das Gefühl: Wir müssen diesen Tanker wenden?
Werner Wenning: Nein, nicht unbedingt wenden. Aber es waren erhebliche Kursanpassungen erforderlich. Wir haben zunächst sehr intensiv analysiert, wo wir stehen. Ein Ergebnis war, dass wir mit dem damaligen Portfolio und der damaligen Struktur auf Dauer nicht mehr in allen Bereichen wettbewerbsfähig sein konnten. Das wollten wir ändern – was uns auch gelungen ist.
Focus: Was genau haben Sie verändert?
Wenning: Vor allem die Organisation, das Portfolio, die Kostenstrukturen und das Vergütungssystem. Wir haben unser Geschäft konsequent auf Innovation und Wachstum ausgerichtet. Unter dem Dach einer strategischen Holding sind operativ handelnde Teilkonzerne entstanden. Nahe am Markt können sie sich konsequent auf die Erfolgsfaktoren in ihren jeweiligen Branchen ausrichten. Wir wollten zudem mehr Flexibilität für Kooperationen und Partnerschaften, eine Stärkung des unternehmerischen Handelns durch direkte Führung und Ergebnisverantwortung, eine Verringerung der Komplexität sowie eine Erhöhung der Sichtbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit für alle Arbeitsgebiete und Services. Durch die Umorganisation sind wir schneller und besser geworden. Darüber hinaus haben wir unser Portfolio deutlich optimiert. Bayer ist ein Unternehmen, das sich über Jahrzehnte vor allem aus eigener Innovationskraft entwickelt hat. Die Ressourcen sollten deswegen auf jene Geschäftsfelder konzentriert werden, wo wir unsere Stärken und das größte Wachstum sehen.
Focus: Was hieß das für die Praxis?
Wenning: Wir haben unser Portfolio konsequent auf die Bereiche Gesundheit, Ernährung und hochwertige Materialien ausgerichtet. Diese Geschäftsgebiete passen am besten zu unseren Kernkompetenzen – sie bieten darüber hinaus langfristige Wachstumsperspektiven. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben, was dieser Prozess in Zahlen bedeutet: Seit 2002 haben wir ein Transaktionsvolumen von mehr als 42 Milliarden Euro bewegt. Für 28 Milliarden Euro haben wir zugekauft und für 14 Milliarden Euro verkauft. Highlights waren vor allem der Erweb von Schering, von Aventis CropScience und des Geschäfts mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten von Roche. Zudem haben wir uns von unseren klassischen Chemieaktivitäten getrennt …
Focus: … um weniger vom zyklischen Geschäft abhängig zu sein?
Wenning: Dies war durchaus auch ein Grund. Vor allem aber, weil wir die größten Erfolgsaussichten und das größte Wachstum langfristig im HealthCare-Bereich erwarten. Unseren Umsatz im Gesundheitsgeschäft haben wir nahezu verdoppelt. HealthCare macht heute knapp 50 Prozent unseres Portfolios aus. Ebenfalls gestärkt haben wir den Bereich CropScience, in dem wir große Wachstumspotenziale sehen. Hier sind wir im konventionellen Pflanzenschutz das führende Unternehmen. Und bei Bayer MaterialScience verfügen wir über ausgezeichnete Technologien und führende Marktpositionen. Außerdem haben wir das Geschäft mit dem Kauf mehrerer sogenannter Systemhäuser noch kundenorientierter aufgestellt. Was dabei zählt: Alle unsere drei Bereiche haben ehrgeizige und klare Ziele, sowohl bezüglich der Marktpositionierung wie auch der Performance.
Focus: … und die Kostenseite?
Wenning: Wir hatten ein Sparprogramm von 2,5 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, das in verschiedenen Projekten umgesetzt wurde. Auch unser Vergütungssystem wurde grundlegend verändert. Es honoriert nun intensiver die Leistung unserer Mitarbeiter, die noch stärker vom Unternehmenserfolg profitieren.
Focus: Wie übersteht eine große Organisation solche Phasen des Übergangs hin zu einem radikalen Wandel? Welche Elemente der alten Bayer-Kultur sind überhaupt noch erhalten geblieben?
Wenning: Mit dieser Frage haben wir uns von Anfang an sehr intensiv beschäftigt. Im Verlauf des gesamten Prozesses sind rund 85 000 Mitarbeiter durch Firmenver- und Zukäufe, aber auch Fluktuation zu Bayer gekommen oder aber von Bayer weggegangen. Heute sind 50 Prozent unserer 106 000 Mitarbeiter weniger als fünf Jahre im Konzern. Wie viele Unternehmen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben, gab auch die Bayer-Familie stets Halt und Heimat. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass die Menschen gerade in Übergangsphasen das Bekannte und Vertraute zuerst einmal bewahren wollen – denn eigentlich wünscht sich jeder ein berechenbares Umfeld. In diesem wissen sie, was sie haben, denn das Neue ist zunächst schwer einzuschätzen. Das Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit war in der skizzierten Situation aber nicht mehr gegeben.
Wir haben uns deswegen intensiv damit auseinandergesetzt, was wir den Mitarbeitern weltweit mit an die Hand geben können, was unsere zentralen Werte sind und wie wir unsere Führungsprinzipien genau definieren. Denn zu unseren Grundüberzeugungen gehört, dass der Mitarbeiter, der Mensch, im Mittelpunkt dessen steht, was wir tun. Das verlieren wir nie aus den Augen – auch nicht, wenn unternehmerisch notwendige Entscheidungen Härten mit sich bringen. So haben wir den Prozess, der gerade am Standort Deutschland am schwierigsten war, intensiv mit den Arbeitnehmervertretern diskutiert. Wir haben unsere Pläne ohne große Verwerfungen umsetzen können. Nicht zuletzt deshalb, weil wir bestrebt waren, bewährte Bayer-Prozesse auch in Phasen der Integration beizubehalten. Das schafft Sicherheit. Andererseits wollen wir permanent lernen. Wir haben ja Unternehmen akquiriert, um auch selbst besser zu werden. Daher prüfen wir stets eingehend, welche Prozesse der übernommenen Unternehmen gegebenenfalls bisherige Standards ablösen können. Dadurch wurden Übergangsphasen, die zum Teil von Verunsicherung geprägt waren, abgelöst durch die Erkenntnis, Teil einer besseren Lösung zu sein.
„Wenn ich jemanden, der widerspricht, überzeugen kann, dann habe ich meistens eine Persönlichkeit gewonnen, die sich dann auch wirklich für die Sache einsetzt.“
Focus: Gab es zwischendurch den einen oder anderen kritischen Moment, wo der Veränderungsprozess ins Stocken geriet oder Sie sogar Rückschritte befürchten mussten? Wie sind Sie mit solchen Situationen umgegangen, bei denen nicht ganz klar war, wohin sie führen?
Wenning: Kein Zweifel, derartige Situationen hat es sicherlich gegeben, gerade am Anfang. Da gab es Versammlungen, die sehr emotional waren. Das ist auch verständlich, wenn man plötzlich 20 000 Mitarbeitern, davon 12 000 in Deutschland, sagen muss: „Ab morgen gehören Sie nicht mehr zu uns.“ Die Reaktionen auf so eine Nachricht sind menschlich voll und ganz nachvollziehbar. Für die Menschen war die Zukunft plötzlich mit viel Unsicherheit verbunden. Auf der anderen Seite war es wichtig, dass die Unternehmensführung das, wovon sie überzeugt ist, entschieden vertreten und klargemacht hat, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist.
Vor allem unsere Führungskräfte mussten diese Botschaften verstehen, vorleben und dann auch in die Organisationen hineintragen. Wir haben deshalb Problemstellungen, die sich ergaben, immer sehr offen dem obersten Führungskreis – das sind knapp 400 Top-Manager weltweit – erläutert. Kommunikation stand in der Umstrukturierungsphase fortwährend im Mittelpunkt unseres Handelns. Deshalb sind wir auch ständig weltweit unterwegs gewesen, um in sogenannten Regional Executive Conferences unseren Führungskräften zu vermitteln, was wir wollen, was unser Selbstverständnis ist und wie wir uns die Unternehmensführung in Zukunft vorstellen. Wichtig war, den kulturellen Kern von Bayer zu erhalten, der zusammengefasst ist in unseren Werten, also: Wille zum Erfolg, Integrität, Offenheit und Ehrlichkeit, Respekt gegenüber Mensch und Natur sowie Nachhaltigkeit unseres Handelns.
Focus: Wann hatten Sie das Gefühl, der Prozess der Veränderung nimmt Fahrt auf, der tote Punkt ist überwunden?
Wenning: Der beste Treiber ist immer der Erfolg. Wir haben fünfeinhalb Jahre in Folge Quartal für Quartal das Ergebnis verbessern können. An diesen Erfolgen haben wir – wie bereits erwähnt – auch unsere Mitarbeiter durch unsere neuen Vergütungsprogramme beteiligt. Diese Rekordergebnisse waren sehr wichtig für die Akzeptanz nach innen, aber sie waren auch ein starkes Signal an die Finanzmärkte. Wir mussten wieder Vertrauen gewinnen und die Richtigkeit unserer Strategie unter Beweis stellen. Dazu haben wir klare Ziele definiert – nicht nur für ein Jahr, sondern für drei Jahre. Und es ist uns gelungen, in diesem Prozess jedes Ziel, das wir formuliert haben, auch zu erreichen.
Focus: Ist ständige Transformation auch nach der Neuaufstellung heute für Sie der Normalzustand?
Wenning: Wer vieles erhalten möchte, muss manches verändern. Deshalb ist die Bereitschaft zur ständigen Veränderung eine Grundvoraussetzung, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Die Dynamik, mit der sich Märkte heute verändern, hat deutlich zugenommen. Darauf müssen wir uns immer wieder neu einstellen. Ich höre hier und da schon einmal: Jetzt haben wir so viel geändert, das muss doch mal reichen! Diese Zusicherung kann ich nicht abgeben. Das machen wir immer wieder innerhalb des Unternehmens deutlich. Veränderung bedeutet, sich fortwährend an Marktbedingungen anzupassen. Eine Grundvoraussetzung für Erfolg ist aber nicht nur Anpassung, sondern der Wille, diese Veränderungen selbst zu gestalten. Insofern ist Veränderung ein ständiger Prozess, den wir uns intern auferlegen, der aber auch von außen – durch die Veränderung der Märkte – an uns herangetragen wird.
Focus: Ist die Organisation, so wie Sie sie jetzt erleben, veränderungshungrig oder veränderungswillig?
Wenning: Hungrig – das würde vielleicht etwas zu weit gehen, da Veränderung kein Selbstzweck ist. Dass die Organisation aber veränderungswillig ist, haben die vergangenen Jahre und die beschriebenen Prozesse gezeigt. Wir können heute Veränderungsprozesse sehr gut gestalten und führen. Das haben wir ausreichend bewiesen. Hier haben wir Know-how gesammelt. Das ist für die Zukunft sicherlich auch ein Plus.
Focus: Wie stellen Sie fest, ob Ihre Führungskräfte bereit sind, Sie bei diesem Prozess der ständigen Veränderung zu begleiten? Die anfänglichen Widerstände, von denen Sie sprachen, waren ja sicherlich nicht nur auf die nachgeordneten Hierarchieebenen beschränkt.
Wenning: Das merken Sie sehr schnell etwa an der Art und Weise, wie sich jemand einbringt, wie jemand in der Lage und bereit ist, Themen konträr und zugleich offen zu diskutieren. Es ist wichtig, eigene Vorbehalte offen in Diskussionen einzubringen.
Focus: Sie erwarten also nicht unbedingt die uneingeschränkte Begeisterung Ihrer Manager für Ihre Pläne, sondern können durchaus auch dem Widerspruch dagegen etwas abgewinnen?
Wenning: Ja. Wenn ich jemanden, der widerspricht, überzeugen kann, dann habe ich meistens eine Persönlichkeit gewonnen, die sich dann auch wirklich für die Sache einsetzt. Natürlich gab es aber auch viele, die von Anfang an dahinterstanden. Richtig problematisch sind aber diejenigen, die sich sehr zurücknehmen und ihre Vorbehalte nicht artikulieren wollen oder können. Es war schon an der Art und Weise, wie die einzelnen Manager die durchaus nachvollziehbaren Vorbehalte und die Risiken dieses Prozesses diskutierten, zu erkennen, wer das Engagement und den Willen hatte, den Wandel mitzugestalten. Meine Erfahrung ist: Je intensiver die Diskussion gerade in so einem Übergangsprozess ist, desto mehr wird erreicht, wenn man schließlich zu einem gemeinsamen Ergebnis kommt. Das war für mich auch ganz persönlich eine der besten Erfahrungen: wie die Organisation und gerade auch die Mitarbeiter, auf die es ankam, diesen Prozess der Veränderung mit umgesetzt haben. In der Vergangenheit haben wir uns gerne darauf zurückgezogen, zu erklären, warum wir etwas nicht machen. Heute sind wir so aufgestellt, dass wir bei Problemen klar und deutlich sagen, wie wir es machen werden. Wir haben jetzt eine verbesserte Performance-Kultur.
„In der Vergangenheit haben wir uns gerne darauf zurückgezogen, zu erklären, warum wir etwas nicht machen.“
Focus: Wie stellen Sie sicher, dass das so bleibt?
Wenning: Wir informieren uns regelmäßig über die Stimmung und die Befindlichkeiten unserer Mitarbeiter. Wir haben bis heute drei weltweite Umfragen gemacht, in denen wir Fragen formuliert haben wie etwa: Was halten Sie von der Strategie Ihres Bereiches, des Unternehmens? Sind die Vergütungssysteme transparent? Ist ein offener Dialog in Ihrer Abteilung möglich und üblich? Wie steht es um Ihr eigenes Commitment für das Unternehmen? Die Rücklaufquote war stets relativ hoch. Anfangs gab es noch sehr nachdenkliche Aussagen, die sich dann mit der zweiten und dritten Befragung laufend verbessert haben. Daran konnten wir auch messen, wie das, was wir tun, weltweit ankommt. Wir haben die Ergebnisse analysiert, Rückschlüsse gezogen und Verbesserungspotenziale zum Gegenstand von Zielvereinbarungen mit unserem oberen Management gemacht. Konkret stand dort geschrieben, was wir erwarten und an welchen Punkten wir Veränderung und Verbesserung sehen möchten. Ich halte es aus der Sicht der Unternehmensführung für sehr wichtig, solche Stimmungslagen und Befindlichkeiten zu erfahren. Es vermittelt den Mitarbeitern sehr deutlich, dass wir ihre Anregungen ernst nehmen und auch versuchen, die Dinge laufend zu verbessern.
Focus: Ihr Unternehmen ist ein global tätiger Konzern mit deutschen Wurzeln. Ist die Tatsache, dass heute zwei der drei Teilkonzerne von nicht deutschen Managern geführt werden, auch ein Zeichen für die Veränderungsprozesse bei Bayer?
Wenning: Zunächst einmal ist es im Unternehmen nicht wichtig, welche Nationalität eine Führungskraft hat. Von unseren jetzt 106 000 Mitarbeitern sind etwa 40 000 in Deutschland tätig. Bei diesem Verhältnis muss sich letztlich die Internationalität des Geschäftes auch im Management niederschlagen. Es muss Teil unserer Kultur sein, andere Nationalitäten oder Kulturen zu integrieren. Es ist sehr wichtig für den Erfolg eines globalen Unternehmens, dass es dieser Aufgabe wirklich gerecht wird. Es stellt sich dabei nicht die Frage, ob Ausländer oder Deutscher – die Frage lautet vielmehr: Welches Anforderungsprofil haben wir bei einer bestimmten Position und wie können wir es am besten erfüllen?
Bayer hat durch die Aufnahme von Menschen aus anderen Kulturkreisen sowie durch die Übernahme von anderen Unternehmen vieles gelernt. Wir sind gut beraten, wichtige Anregungen zur Führung, zu Geschäftsstrategien sowie zu Verbesserungshinweisen kennenzulernen, zu akzeptieren und dann auch umzusetzen. Dazu tragen natürlich nicht unwesentlich auch Menschen bei, die von außen kommen – mit ihren Vorstellungen und Erfahrungen, wie man Geschäfte führt. Das ist durchaus bereichernd. Trotzdem sehen wir es natürlich als eine unserer Hauptaufgaben an, unser Management von innen heraus weiterzuentwickeln. Aber wir sind offen für beides. Es kommt auf die Kandidaten an – also auf ihre Qualität, nicht auf ihre Nationalität.
„Führung lernt man nicht in Seminaren. Führung lernt man im Tun – und je früher man an dieses Tun herangeführt wird, desto besser.“
Focus: Kann man Führungskräften beibringen, offen für Veränderungen zu sein, oder ist das eher eine Grundanlage? Muss man sie danach aussuchen?
Wenning: Man muss Führungskräfte im Unternehmen auf Veränderungen vorbereiten, da diese den Menschen durchaus viel abverlangen können. Bei der Einstellung von externen Führungskräften kann man bereits am Lebenslauf erkennen, inwieweit die Kandidatin oder der Kandidat Erfahrungen auf diesem Gebiet mitbringt. Wir haben intern in der Führungs-kräfte-Entwicklung zwei Kriterien, die wir diesbezüglich gern für die Weiterentwicklung unseres Managements anwenden. Das ist erstens die Internationalität. Wir wollen, dass unsere Führungskräfte ins Ausland gehen und unterschiedliche Kulturkreise kennenlernen. Das war für mich selbst eine meiner prägendsten Erfahrungen. Und zweitens sollen sie in unterschiedlichen Funktionen Erfahrungen sammeln. Es kommt natürlich immer darauf an, was jemand für sich selbst möchte. Ist er eher Spezialist und will nur eine bestimmte Funktion haben oder möchte er Generalist sein? Das müssen Vorgesetzte und HR-Verantwortliche früh erkennen. Denn Führung lernt man nicht in Seminaren. Führung lernt man im Tun, und je früher man an dieses Tun herangeführt wird, desto besser für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Entwicklung der Führungsqualitäten eines Menschen.
Focus: Woher schöpfen Sie eigentlich selbst die Lust auf Veränderungen?
Wenning: Mein Antrieb ist der unbedingte Wille zum Erfolg. Das gilt aber nicht nur für mich persönlich. Ich möchte, dass dieses Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich ist und bleibt. Dieses Gefühl, Verantwortung nicht nur für das Tagesgeschehen zu tragen, sondern für das, was wir über den Tag hinaus nachhaltig in Gang setzen, entwickelte sich Schritt für Schritt im Lauf meiner Karriere. Ich möchte dabei nicht verschweigen, dass es durchaus auch belastend ist, wenn man Liebgewonnenes und Traditionelles verändern muss. Aber es ist natürlich auch eine spannende und positive Herausforderung, die viel Freude bereitet, wenn Strategien aufgehen und sich die Dinge zum Besseren entwickeln. Sicherlich möchte man Erfolg haben – aber ich möchte Bayer auch nachhaltig so mitgestalten, dass die Zukunft des Unternehmens abgesichert ist.
Focus: Ein spannender Gedanke, dass gerade die Verpflichtung einer langen Tradition und Geschichte bei Ihnen ein größeres Ausmaß an Veränderungswillen auslöst.
Wenning: Man muss sich klar darüber werden, wie es langfristig weitergehen kann und daraus dann auch die Konsequenzen ziehen. Ich glaube, man kann so einen Veränderungsprozess am besten meistern, wenn man tief überzeugt ist von dem, was man tut.
Focus: Es wird ja oft Historie eher als Ballast empfunden. Sie aber definieren es genau umgekehrt und sagen, ich muss so weit nach vorn denken, wie ich Geschichte im Rücken habe. Entsteht daraus ein anderes Verantwortungsgefühl und vielleicht auch der Mut zu größeren Veränderungen als bei jemandem, der nur das Tagesgeschäft im Focus hat?
Wenning: Man muss sich natürlich mit der Zeit eine innere Unabhängigkeit erarbeiten. Wir befinden uns in einer sehr schnelllebigen Zeit. Es sind oftmals die aktuellen Tagesereignisse, die vieles treiben. Aber man muss sich trotzdem von Zeit zu Zeit den geistigen Freiraum schaffen, um zu fragen: Was sind eigentlich die langfristigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trends? Sind wir da richtig aufgestellt? Eine der größten Herausforderungen der Zukunft ist nach meiner Ansicht die wachsende Weltbevölkerung. Und der Klimaschutz. Da müssen wir uns doch fragen, wie wir dazu stehen. Wir haben diese Themen rechtzeitig erkannt und sind heute sehr zuversichtlich, dass wir gut aufgestellt sind, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Zum Beispiel der wachsenden Gesamtbevölkerung bei begrenzter Agrarfläche, der höheren Lebenserwartung, dem Klimawandel und Energieverbrauch – unsere Teilkonzerne bieten Beiträge zur Bewältigung dieser Herausforderungen.
Diese Überlegungen kommunizieren wir auch intensiv an unsere Mitarbeiter. Wir geben ihnen damit die Sicherheit, in einem Unternehmen zu arbeiten, das einen deutlichen Beitrag leistet – nicht nur zur Optimierung der wirtschaftlichen Kennzahlen, sondern auch zu gesellschaftlichen Themen. Corporate Social Responsibility war immer ein Teil der Bayer-Kultur, auch als es noch nicht so hieß. Wir tun da sehr viel, und wir tun es aus Überzeugung.
Focus: Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie wird Bayer in zehn Jahren aussehen, wie wird Ihr Portfolio sich gestalten?
Wenning: Das hängt stark davon ab, wie die Märkte in zehn Jahren aussehen werden. Ich bin aber davon überzeugt, dass der Prozess der Veränderung gerade in den sich zunehmend globalisierenden Märkten mit rapiden und schnellen Technologie-Veränderungen weitergehen wird. Unternehmen sind gut beraten, diesem Prozess nicht nur zu folgen, sondern ihn aktiv mitzugestalten. Bayer ist zum Beispiel das größte HealthCare-Unternehmen westlicher Herkunft in China. Dank der Weitsicht meiner Vor-Vorgänger sind wir bereits seit mehr als 120 Jahren dort. Wir haben frühzeitig das heutige Potenzial der Emerging Markets erkannt. Eines kann ich deshalb mit Gewissheit sagen: Bayer wird auch in zehn Jahren ein erfolgreiches Unternehmen sein.
Das Interview mit Werner Wenning in Leverkusen führten Friedrich Kuhn (links), Egon Zehnder, Berlin, und Johannes von Schmettow, Egon Zehnder, Düsseldorf.
Werner Wenning
Werner Wenning wurde 1946 in Leverkusen-Opladen geboren, wo er bis heute lebt. Nach dem frühen Tod seines Vaters musste er neben der Schule jobben und lernte, wie er sagt, Verantwortung zu übernehmen.
Am 1. April 1966 begann Wenning nach Abschluss der Höheren Handelsschule eine Lehre als Industriekaufmann bei der Bayer AG. Anschließend absolvierte er ein Traineeprogramm. Mit 23 Jahren wurde er nach Peru entsandt, baute in der neuen Landesgesellschaft das Finanz- und Rechnungswesen auf. 15 Jahre hat Wenning insgesamt auf verschiedenen Positionen im spanischsprachigen Raum gearbeitet, zuletzt ab 1992 als Geschäftsführer Bayer Hispania Industrial S.A. und Landessprecher Spanien. Seine einzige Aufgabe außerhalb des Bayer-Konzerns übernahm Wenning nach der deutschen Wiedervereinigung, als er für ein Jahr zur Treuhandanstalt in Berlin ging. Im April 1996 wurde er mit der Leitung des Bereichs Konzernplanung und Controlling beauftragt. Im Februar 1997 wurde er zum Mitglied des Vorstands der Bayer AG berufen. Am 26. April 2002 übernahm er als Nachfolger von Manfred Schneider den Vorstandsvorsitz. Wenning gilt als durchsetzungsstark, aber auch kritikfähig. Er kann, so bescheinigen ihm Beobachter, mit jedem sprechen – mit dem Werkspförtner ebenso wie mit den Vorständen anderer Unternehmen. Zugleich besitzt er Bodenhaftung. Er mag Bratwurst und Pils vom Fass. Und er sitzt, wann immer möglich, bei den Heimspielen des Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen auf der Tribüne.
BAYER AG Tradition verpflichtet
Der Farbstoffhändler Friedrich Bayer und der Färbermeister Johann Friedrich Weskott gründen 1863 in Wuppertal-Barmen die „Friedr. Bayer et comp“. 1915/16 schließt sich Bayer, inzwischen mit Sitz in Leverkusen, mit weiteren Chemieunternehmen zur I.G. Farbenindustrie AG zusammen. Es ist das seinerzeit größte Chemiekonglomerat der Welt. Nach der Zerschlagung der IG Farben nach 1945 wird die Bayer AG 1951 neu gegründet und gehört bald wieder zu den großen Drei der deutschen chemischen Industrie. Doch während sich viele andere vor allem in den neunziger Jahren auf wenige Geschäftsfelder fokussieren, bleibt Bayer breit im Chemie- und Pharmageschäft aufgestellt. Manfred Schneider, Vorstandsvorsitzender seit 1992, läutet schließlich 2001 mit dem Kauf von Aventis CropScience eine Phase massiven Umbaus ein. Aber 2001 ist auch das Jahr, in dem Bayer den Blutfettsenker Lipobay nach einigen ungeklärten Todesfällen vom Markt nehmen muss. Das Unternehmen gerät in ernsthafte Turbulenzen. Ab April 2002 übernimmt Werner Wenning den Vorstandsvorsitz und setzt den Umbau zügig fort. 2005 kauft Bayer das Consumer- Health-Geschäft von Roche, 2006 die Schering AG in Berlin. Im Gegenzug bringt der Konzern die Lanxess AG, in der die Chemieaktivitäten gebündelt sind, an die Börse und verkauft 2007 seine Division Diagnostika für 4,2 Milliarden Euro an Siemens. Heute ist der Konzern eine Holding mit den drei operativen Teilkonzernen HealthCare, CropScience und MaterialScience.
FOTOS: MICHAEL DANNENMANN