Was kann der junge Unternehmer vom Bergprofi lernen, was der erfahrene Abenteurer vom strategisch planenden Gesellschafter der Otto Group? Reinhold Messner und Benjamin Otto treffen sich beim Ausmessen menschlicher Möglichkeiten angesichts gewaltiger Aufgaben, die dem einen die Natur stellt, dem anderen ein Familienunternehmen mit 54.000 Mitarbeitern. Schwindelfreiheit, die brauchen beide. Ein Dialog über Demut und Hochmut, Risiko und Augenmaß, willkommene Widerstände und die Würde des Scheiterns.
Benjamin Otto: Herr Messner, mein Eindruck ist, dass Sie in allen Bereichen – also Körper, Geist und Seele – an die Grenzen gegangen sind. Ist das der Kern Ihrer Unternehmungen?
Reinhold Messner: Wir ziehen ja nicht los, um an die Grenzen zu gehen. Das mag hin und wieder notwendig sein, um nicht umzukommen. Auch ein Unternehmer, der überlegt, ob er noch eine Million mehr investieren kann oder nicht, geht in meinen Augen noch nicht „an die Grenze“, sondern nimmt eine Risikokalkulation vor. Aber wenn wir unterzugehen drohen, zwingt uns der Selbsterhaltungstrieb, an die Grenzen zu gehen. Insofern ist das Extrembergsteigen ein Druckmittel, mit dem man schnell an die Grenze des Überlebens kommt. Ich definiere das extreme Bergsteigen als die Tätigkeit, dorthin zu gehen, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen.
Otto: Für Unternehmer ist es wichtig auszutesten, wo ihre physischen und psychischen Grenzen liegen. Aber man sollte sie nicht überschreiten. Am Anfang meiner Karriere habe ich Extreme gelebt und festgestellt: Das ist nicht das Richtige für mich. In meinem Leben ist Ausgewogenheit wichtig. Um es anders auszudrücken: Ich will versuchen, in meine Mitte zu kommen. Der Leistungsdruck zum Beispiel, der in meiner Familie herrscht, ist aus verständlichen Gründen gewaltig, und ich musste lernen, damit umzugehen. Und die 54.000 Mitarbeiter, die mir gleichsam übergeben wurden, stellen eine hohe Verantwortung dar. Der Druck also – von mir selbst erzeugt, aber auch von außen – war enorm.
Messner: Das kann ich gut nachvollziehen. Ihnen hat man die Erwartungen in die Wiege gelegt, ich habe mir die meinen selbst gesteckt. Die Außenwelt richtet die Scheinwerfer auf Sie, und die Kritiker warten nur darauf, dass Sie Fehler machen. Das ist viel schwieriger als für einen normalen Bürger, der völlig unbeobachtet aufwächst. Sie haben zwar materiell einen leichteren Start, aber mit Sicherheit ein größeres Bündel zu tragen.
„Es ist wichtig auszutesten, wo die Grenzen liegen. Aber man sollte sie nicht überschreiten.“ - Benjamin Otto
Otto: Das könnte sein. Es ist ja nicht mehr selbstverständlich, dass eine Generation nachahmt, was die Vorgänger getan haben. Insofern muss auch ein Familienunternehmen sich entwickeln und den Mut haben, die eigene Tradition in Frage zu stellen. Von mir war gefordert, so glaube ich, einen eigenen Weg zu gehen. Es hat Stärke und Überwindung gekostet, meiner Umgebung und besonders meinem Vater zu erklären, worin dieser neue Weg besteht. Ein Unternehmen dieser Größe ist überaus komplex, und der Einzelne muss wissen, was er angesichts einer so gewaltigen Struktur ausrichten kann, wo sein optimaler Platz ist.
Messner: Das Schwierigste in jungen Jahren ist es wohl, den eigenen Weg zu finden. Und es wird immer schwieriger, weil der Druck von außen zunimmt. Ich zum Beispiel gebe die Leitung meines Museums ab, weil ich kein Verwalter bin. Mich interessiert das einfach nicht. Dagegen liebe ich es, Ideen auszubrüten wie eine Gluckhenne. Ich sehe mich als Erfinder von Herausforderungen.
Otto: Es darf nicht abstrakt um „Macht“ gehen, sondern nur darum, die eigenen Stärken zu erkennen. In meinem Fall bedeutete das die Erkenntnis, dass ich mit meinen Fähigkeiten im Unternehmen auf der Ebene der Gesellschafter mehr bewegen kann, als wenn ich mich als Vorstandsvorsitzender auch noch in operativen Verpflichtungen aufreibe. Mit dieser Distanz kann ich das große Bild überschauen und die Strategie bestimmen. Das war ganz sicher ein neuer Weg – aber für mich genau der richtige. Man muss authentisch sein, auch wenn diese Authentizität an anderer Stelle Verzicht bedeutet. Wenn ich erkenne, dass ich nicht der klassische Unternehmertyp bin, sondern eher der Stratege, muss ich danach handeln. Das ist keine Schwäche, sondern Stärke: Erkenne dich selbst.
Messner: Ja. Wenig gibt den Menschen so viel Selbstwertgefühl und Lebensfreude wie das Verwandeln einer Idee in die Tat. Wir spüren: Das sind wir selbst. Der wirtschaftliche Erfolg stellt sich dann automatisch ein.
Otto: Und damit kommt auch eine gewisse Leichtigkeit. Wenn man authentisch ist, geschieht das spielerisch. Am Anfang meiner Karriere fand ich mich in der Verpflichtung, einem ererbten Bild zu entsprechen. Ich habe mir Dinge aufgezwungen, weil ich mich an der üblichen Anforderung an den Unternehmer orientierte – der typische Rollenzwang eben. Und ich bin damit nicht glücklich geworden. Eine Weile kann man sich darüber hinwegtäuschen, dass etwas nicht stimmt, denn der äußere Erfolg hat seine eigene Dynamik und trägt einen weiter. Ich habe rund zehn Unternehmen gegründet, begriff aber erst spät, dass es mir im Kern nicht darum gegangen war. Die Zahl der Unternehmen, die ich gründe, ist für mich nicht wesentlich. Soll der ganze Sinn darin liegen, ein zwölftes Unternehmen zu gründen? Und ein 13.? Das kann ja wohl nicht alles sein.
Messner: Man braucht eine Weile, um sich zu finden, das steht fest. Ich bin in meinem Leben bisher fünfmal umgestiegen und habe jedes Mal etwas völlig Neues angefangen. Ich war mal Mittelschullehrer, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe auch als Bergführer gearbeitet, habe studiert, war aber als Student sehr unglücklich. Erst mit dem Felsklettern habe ich mein Innerstes ausgedrückt. Nachdem ich mir die Zehen abgefroren hatte – nicht alle, aber fast alle –, konnte ich nicht mehr so gut klettern. Also wurde ich mit 25 Jahren Höhenbergsteiger. Ich war Neuling, musste lernen, und das war immer die schönste Zeit. So fing ich an, sozusagen in das Unmögliche hineinzuklettern und das, was andere für unmöglich hielten, mit neuem Know-how zu realisieren. Bis ich merkte: Weiter kann ich nicht kommen, da reicht meine Lunge nicht. Oder das Geld. In dieser Zeit habe ich alle Achttausender bestiegen und alle großen Berge Alaskas. Aber nachdem ich den Everest über eine neue Route und ohne Maske im Alleingang bestiegen hatte, in der schlimmsten Jahreszeit, war mir klar: Höher geht es nicht mehr.
„Extremes Bergsteigen heißt, dorthin zu gehen, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen.“ - Reinhold Messner
Im vierten Bergmuseum, das Reinhold Messner eröffnete, lebt Buddha im Schutz der mittelalterlichen Festungsanlage.
Otto: Und dann?
Messner: Dann habe ich angefangen, die großen Eismassen zu durchqueren. Grönland der Länge nach, die Antarktis. Auch die Wüste Gobi. Aus dieser Lebensphase bin ich daheim durch einen Mauersturz herausgerissen worden: Fersenbeinbruch. Als Invalide habe ich heilige Berge besucht und herausgefunden, warum bestimmte Stätten für die Bevölkerung heilig sind. Nur weil ich invalid war, habe ich ein politisches Mandat in der EU angenommen, und ich bereue es nicht. Dann habe ich mir gesagt: Ich will mein Erbe einbringen. So entstand das Messner Mountain Museum an sechs verschiedenen Standorten. Jetzt sind sie fertig. Und ich muss etwas Neues anfangen.
Otto: Darin liegt ein spielerisches Element, meinen Sie nicht? Ich glaube, Unternehmertum ist auch eine Art von Spiel, nur dass man aufpassen muss, dass man die Grundlagen nicht zerstört.
Messner: In gewissem Sinn ein Spiel, ja. Aber für meine Familie habe ich mich verantwortlich gefühlt. Ich habe ja sehr viel Risiko auf mich genommen. Im Museum trug ich Verantwortung für 20 Arbeitsplätze. Dennoch: Mein Freiheitsgrad ist viel größer als der eines echten Unternehmers.
Otto: Zur Freiheit musste ich auch erst finden. Jetzt habe ich als Gesellschafter eine Position, in der ich das übergeordnete Leitbild entwerfen kann. Das ist für mich eine wirkliche Befreiung. Ohne die digitale Welt wäre sie übrigens nicht denkbar. Mein Vater und ich verstehen uns gut, so dass eine fließende Übergabe stattfindet. Er hat die Erfahrung, und ich bringe neue Impulse mit, die das zukünftige digitale Denken im Unternehmen vorantreiben werden. Das erstreckt sich auf alle Bereiche der Firmenkultur, auch auf die Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen getroffen werden. Darin besteht die eigentliche Umdenkaufgabe des Otto-Konzerns. Die digitale Wende erfordert andere Reaktionszeiten.
„Man muss authentisch sein, auch wenn diese Authentizität an anderer Stelle einen Verzicht bedeutet.“ - Benjamin Otto
Messner: Die jungen Menschen von heute müssen die digitale Komponente ja mitbringen. Ein älterer Herr wie ich hat kein Gespür dafür, weil wir anders aufgewachsen sind. Stellen Sie sich vor: Ich schreibe meine Bücher immer noch mit dem Kugelschreiber!
Otto: Ja, ohne digitale Vernetzung geht heute gar nichts. Bei Collins, meiner letzten großen Station, ging es zentral um digitales Verständnis und Mitarbeiterführung. Welche Erkenntnisse habe ich dabei mitgenommen? Erstens: Offenheit ist wichtig. Zweitens: Menschliche Werte und eine hohe Geschwindigkeit schließen sich nicht aus. Drittens: Menschen spielen im Unternehmen die wichtigste Rolle. Ohne die Mitarbeiter wäre man gar nichts. Insbesondere stelle ich auch Mitarbeiter ein, die schon einmal Fehler gemacht haben oder gescheitert sind. Ich selbst habe auch schon Fehler gemacht. Man lernt daraus.
Messner: Auf jeden Fall. Man lernt eher aus dem Scheitern als aus dem Erfolg.
Otto: Viele sagen: „Ich stelle hier niemanden ein, der Fehler gemacht hat.“ Im Gegenteil, sage ich. Menschen, die Fehler gemacht haben, haben etwas gelernt. Das ist meine Fehlerkultur. Ich brauche keine Schönwettermanager, die super Arbeit leisten, wenn die Umstände ideal sind. Ich brauche Leute, die, wenn es richtig schlecht gelaufen ist, den Biss haben, wieder aufzustehen und von vorn anzufangen.
Messner: Bei mir geht das durch Versuch und Irrtum. Ich kann es nur leisten, wenn ich die Selbstmächtigkeit habe. Darunter verstehe ich eine Kombination aus Selbstbewusstsein und Können, die mit der Zeit entsteht. Wenn ich etwas Wesentliches verändern will, in welcher Sparte auch immer, dann muss ich schon sehr viel Selbstmächtigkeit entwickelt haben, sonst ersticke ich an meiner eigenen Angst.
Otto: Ich verlasse mich auf meine Intuition und bin gut damit gefahren, vor allem in den letzten Jahren. Man lernt, sie zu schulen, auf die Intuition zu hören. Ich glaube, viele große Leistungen der Weltgeschichte beruhen auf intuitiven Entscheidungen.
Messner: Die Intuition ist ja der Beweis der Selbstmächtigkeit. Ob sich jemand dessen bewusst ist oder nicht, ist nicht wichtig. Die Sicherheit steckt im Emotionalen. Dabei gilt aber immer: Je bescheidener ich der Aufgabe entgegentrete, desto besser. Mit kleinem Stab, reduzierten Mitteln, so gehe ich an meine Herausforderungen heran. Überheblich sind jene, die sich von zehn Sherpas den Berg hochziehen lassen. Sie kommen nach Hause und sagen: „Ich habe den Everest bestiegen!“ In Wirklichkeit wären sie am Montblanc nicht einmal 100 Meter weit gekommen. Hier ist eine Geschichte, die dazu passt. Im Frühling, nach dem Erdbeben in Nepal, sind 250 Menschen zum K 2 gereist. So viele hatte der Berg noch nie auf einmal gesehen. Auf rund 100 Klienten kamen 150 Sherpas, die den Weg präparierten. Es herrschte fantastisches Wetter wie selten im Karakorum. Dann ereignete sich ein Wettersturz. Zum Glück sind alle ins Basislager zurückgegangen, sonst wäre eine Katastrophe geschehen. Doch eine Lawine verschüttete ihr Material. Mir ist noch nie ein Kilogramm Material bei Expeditionen in solcher Höhe verloren gegangen. Auch ich habe meinen Rucksack hochgetragen und Essen deponiert, aber unter einem Überhang, den die Lawine nicht erreicht. Diese Leute dagegen haben ihr gesamtes Material verloren! Und dann sind sie nach Hause gegangen.
„Wenig gibt den Menschen so viel Selbstwertgefühl und Lebensfreude wie das Verwandeln einer Idee in die Tat.“ - Reinhold Messner
Blick in die Weite: Über dem Zusammenfluss von Etsch und Eisack thront Sigmundskron, eine der ältesten Burgen Südtirols.
Otto: Ich glaube, dass es solcher Rückschläge bedarf, um wieder Demut zu lernen. Ich merke ja selbst, dass Übermut einen manchmal motiviert. Da hilft die Demut, wieder die Balance zu finden.
Messner: Demut oder Übermut? Ich meine, man darf auch übermütig und egoistisch sein. Wir Menschen sind als Clans angelegt. Und im Clan würde jeder für die anderen alles tun, auch aus Egoismus, weil er nicht anders kann. Wären wir keine Egoisten, wäre die Menschheit schon lange verschwunden. Der Selbsterhaltungstrieb ist ein egoistischer Trieb, und niemand kann mir sagen, das sei ungesund. Nein, ist es nicht. Mein Eindruck ist, dass man sich damit in Deutschland manchmal schwertut.
Otto: Definitiv. Aber ich will dem etwas entgegensetzen, weil ich an einen Paradigmenwechsel glaube. Der Altruismus wird stärker, egoistisches Verhalten, auch wenn es noch in vielen Bereichen der Gesellschaft zu beobachten ist, ist ein Auslaufmodell. Denn die Menschen haben eine Sehnsucht, andere Werte zu leben. Zum Beispiel, für das Gute zu arbeiten. Die gesamte Welt im Auge zu haben, nicht nur sich selbst. Ich bin davon überzeugt, Empathie ist ein Wert, den wir heute stärker würdigen können als früher.
Messner: Wirklich? Im Christentum steht das Mitleid im Mittelpunkt, nicht die Empathie. Mitleid drückt eine Haltung von oben nach unten aus, nicht von gleich zu gleich. Empathie dagegen bewegt sich auf gleicher Höhe. Genau das ist im Buddhismus die oberste Haltung: Empathie. Nur wenn ich mich auf Augenhöhe in den anderen hineinversetze, kann ich mit ihm in einem Gleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus umgehen. Wenn ich aber von oben nach unten schaue, selbst wenn ich ihm helfen will, akzeptiere ich ein hierarchisches Gefälle. Irgendwann hat in unserer christlichen Kultur, fürchte ich, das Mitleid die Empathie verdrängt.
Otto: Ich war einmal in Bhutan und habe dort eine für mich wichtige Zeit verlebt. Der Buddhismus hat mich stark geprägt. Der Glaube an etwas Höheres gibt mir Kraft. Es hat also seinen Sinn, dass wir beide gerade über buddhistische Werte sprechen.
Messner: Wenn ich eine einzige Religion in die Zukunft hineindenken sollte, dann wäre das auch bei mir der Buddhismus. Weil es mir weniger um Glauben als um Lebenshaltung geht. Das ist der Buddhismus: eine Lebenshaltung. Alle Götter, die wir kennen – griechisch, römisch, christlich, jüdisch, muslimisch –, sind menschenerfundene Götter, also eigentlich Götzen. Ein großartiges Bild: Moses steigt auf den Sinai – ich bin ihm nachgestiegen – und bringt die zehn Gebote herunter. Das sind die ersten Regeln, die er aufstellt, und dann verbietet er den Israeliten, hinaufzusteigen. Warum? Weil sie darauf kommen könnten, dass da oben nichts ist. Ich glaube, es ist für dieses Leben völlig irrelevant, wie das Jenseits und wie die Unendlichkeit beschaffen ist. Ich lebe jetzt und im Hier und lasse mir von keiner Religion vorschreiben, was richtig und was falsch ist.
Otto: Aber ich glaube, darin liegt kein Widerspruch. Eine höhere Macht schließt die einzelnen Religionen weder ein noch aus. Und der Buddhismus, wie Sie gesagt haben, ist eine Lebenshaltung. Er ist eine der wenigen Lehren, die neben sich andere Religionen dulden. Hatten Sie übrigens mal Erlebnisse, die Sie sich mit der Logik nicht erklären konnten? Ein Zeichen göttlichen Wirkens, einer übernatürlichen Kraft?
Messner: Einmal habe ich beim Abstieg vom Nanga Parbat Französisch geredet, wahrscheinlich mit mir selbst. Ich hatte das Gefühl, ich redete mit einem Fremden. Dabei spreche ich gar kein Französisch. Wir haben wohl, wenn wir völlig verzweifelt sind, die Fähigkeit, uns selbst das Richtige einzusagen und damit den letzten Rest Energie zusammenzukratzen.
Otto: Es sind ja die Widerstände, die man braucht, um sich zu entwickeln. Ohne Widerstand, ohne Reibung entsteht überhaupt nichts. Ich wachse auch durch und an Gegnern.
Messner: Richtig. Ich habe mich immer an Widerständen entwickelt. Die Monopolzeitung im Land hatte drei Jahre gegen die Eröffnung meines Museums angeschrieben, die Politiker waren auch dagegen gewesen. Bei meiner Eröffnungsrede sagte ich: „Ich danke allen, die Widerstände geleistet haben. So ist es ein gutes Objekt geworden.“
Otto: Reibung ist von entscheidender Bedeutung, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Wenn einer etwas aufbaut und darauf hofft, das ohne Reibung zu erledigen, wird er sich täuschen. Die Firma Collins, die ich mitgegründet habe, haben wir nach dem Wirtschaftswissenschaftler Jim Collins benannt. Er nennt zwei wichtige Elemente für ein dauerhaft erfolgreiches Unternehmen. Einmal der Kern, der bestehen bleibt, und dann Impulse, die sich ständig verändern. Das Konstante und das Flexible. Die Ruhe und die Bewegung. Die Impulse, von denen hier die Rede ist, können auch Widerstände sein, zum Beispiel Mitarbeiter, die über ihre Grenzen hinausdenken. Wenn ich unfähig bin, über die Grenzen hinauszudenken, kehrt Routine ein. Routine in Unternehmen ist extrem gefährlich, denn sie verführt zu Stillstand und Inflexibilität. Und das ist das Letzte, was ich mir wünsche.
Der Dialog zwischen Reinhold Messner und Benjamin Otto im Messner Mountain Museum Firmian auf Schloss Sigmundskron bei Bozen wurde von Gabriele Röhrl, Egon Zehnder, München, und Ulrike Krause, FOCUS, moderiert.
Benjamin Otto
geboren 1975, ist der jüngste Vertreter der Otto-Dynastie und wollte sich erst im Ausland bewähren, bevor er in das Familienunternehmen eintrat. Auf sein Studium an der European Business School in London folgten Stationen in Madrid, Buenos Aires und den Vereinigten Staaten. Er gründete zahlreiche Unternehmen, zuletzt den E-Commerce-Händler Collins, eine der wichtigen Neugründungen innerhalb der Otto Group für die digitale Zukunft und mit der Seite www.aboutyou.de das wachstumsstärkste Startup im deutschen Online-Handel. Als „gestaltender Gesellschafter“ kümmert sich Benjamin Otto, der 2012 eine Stiftung für ganzheitliche Heilung durch alternative Ansätze gründete, um die weitere digitale Transformation des Handels- und Dienstleistungskonzerns Otto Group mit weltweit 123 Unternehmen.
Reinhold Messner
Jahrgang 1944, ist als Extrembergsteiger, Abenteurer und Buchautor die wichtigste Persönlichkeit des modernen Bergsports. 1978 erreichte der in Südtirol geborene Messner zusammen mit Peter Habeler als Erster den Gipfel des Mount Everest ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff, und er war der Erste, der auf diese Weise alle 14 Achttausender der Erde erklomm. Als Autor von mehr als 60 Büchern und gefragter Trainer bei Management-Seminaren hat Messner unser Denken über die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit entscheidend verändert. Sein kürzlich vollendetes Projekt ist sein Vermächtnis: Das „Messner Mountain Museum“ (MMM) an sechs verschiedenen Standorten erzählt vom faszinierenden Verhältnis zwischen Berg und Mensch.
FOTOS: MATTHIAS ZIEGLER