Wohl kaum ein Ereignis hat das Ansehen der deutschen Wirtschaftselite in den vergangenen Jahren ähnlich stark in Mitleidenschaft gezogen wie der Skandal um die Abgasmanipulationen in der Automobilindustrie. In der Öffentlichkeit wurde das – möglicherweise systemisch bedingte – Fehlverhalten einzelner Manager vielfach so wahrgenommen, als hätte die wirtschaftliche Elite kollektiv versagt. Zweifellos hat das zu einer massiven Erosion des Vertrauens beigetragen – und zwar weit über die vom Dieselskandal betroffene Branche hinaus. Fast zeitgleich haben populistische Bewegungen in etlichen Ländern, auch in Deutschland, zu einem Generalangriff auf die Eliten in Politik und Wirtschaft angesetzt, der nicht nur an den Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden gestoßen ist.
Es gibt allerdings noch einen weiteren – bislang kaum beachteten – Erklärungsansatz für das schwindende Vertrauen insbesondere in die Wirtschaftsführer: ihre zunehmende Entkoppelung von der Lebenswirklichkeit eines Großteils der Normalbevölkerung. Dies geschieht fast automatisch dadurch, dass Vorstände großer, weltweit tätiger Unternehmen heutzutage eine stark global ausgerichtete Perspektive einnehmen müssen, die Gefahr läuft, sich zunehmend von der Wahrnehmungswelt der meisten Menschen zu entfremden. Teil dieser anderen Realität ist auch eine hohe Bereitschaft zum Risiko – eine für unternehmerischen Erfolg und Durchsetzungsfähigkeit unverzichtbare Bedingung. Risikobereitschaft impliziert durchaus auch, sich über bestimmte Regeln hinwegzusetzen. Positiv gesehen ist ein risikoaffiner Manager in der Lage, »out of the box« zu denken, neue Wege jenseits des Bewährten und Etablierten zu beschreiten und bestimmte Dinge auch gegen Widerstände durchzusetzen. Auf der anderen Seite birgt genau diese Risikobereitschaft, zumal wenn sie durch Aufstieg und Erfolg belohnt wird, die große Gefahr, dass mit der Zeit eine eigene Realität entsteht – bis hin zur Allmachtsfantasie, dass man sich in jedem Bereich über jede Regel hinwegsetzen kann.
Eine stärker narrativ ausgerichtete Kommunikation erleichtert die Identitätsbildung in großen, diversen Organisationen. Doch eine Überbetonung des Storytelling birgt auch Gefahren.
Die Entfernung von der Wahrnehmungswelt der Normalbevölkerung schlägt sich häufig auch in einer entsprechenden Form der Kommunikation im Unternehmen nieder – nämlich einer autoritären, die von oben herab Befehle nach unten durchstellt und darauf abzielt, dass Weisungen abgearbeitet oder erledigt werden. Widerspruch oder Bedenken sind nicht vorgesehen. Eine derartige Kommunikationspraxis, das zeigt nicht zuletzt der Abgasskandal, führt nicht selten zu Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden, die sich im Nachhinein als desaströs herausstellen.
Wenn dieses Muster zu einem allgemeinen Kulturphänomen wird, kann es sich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen entwickeln.
Olaf Kramer über die Kommunikation von Donald Trump
Das Gegenmodell ist eine Kommunikationskultur, in der es Raum für ein ehrliches Feedback gibt. Bedenken sollten jederzeit offen kommunizierbar sein – ohne dass Druck auf denjenigen ausgeübt wird, der sie geäußert hat.
Eine weitere Herausforderung für die Kommunikation ergibt sich aus der zunehmenden Diversität, wie wir sie heute in großen Unternehmen fast überall antreffen. Menschen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt arbeiten zusammen, mit verschiedenen kulturellen, religiösen und sexuellen Orientierungen. Dieses hohe Maß an Diversität bringt es mit sich, dass es schwieriger ist als in den vergleichsweise homogen zusammengesetzten Unternehmen der Vergangenheit, so etwas wie eine gemeinsame Basis zu definieren. Darauf muss man kommunikativ reagieren. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere narrative, emotionalisierende Ansätze eine solche Identitätsbildung, man könnte auch etwas altmodisch von »Wir-Gefühl« sprechen, erleichtern. In der Politik hat Barack Obama sich dieser Methode meisterhaft bedient.
Untersuchungen zeigen, dass eine narrativ ausgerichtete Kommunikation beim Adressaten weniger starke Widerstände auslöst als eine argumentative. Wer sich einer rein auf Argumentation basierenden Kommunikation ausgesetzt sieht, verspürt eher das Bedürfnis, dass er auf der Hut sein muss, ob er nicht möglicherweise manipuliert wird.
In Geschichten dagegen lässt man sich wesentlich eher hineinziehen; »Immersionseffekt« nennt man das. Eine stark narrative Kommunikation erleichtert außerdem eine Identitätsbildung; die erzählte Geschichte schafft sozusagen eine gemeinsame Basis.
Was geschehen kann, wenn diese Identitätsbildung nicht gelingt, lässt sich am Beispiel der Idee eines geeinten Europa aufzeigen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir Europa primär als einen Raum wirtschaftlicher Effizienzsteigerung wahrgenommen. Das ist emotional nicht besonders ansprechend, und es reicht nicht als Basis für eine europäische Identität. Im Vergleich dazu liefert die Rückbesinnung auf tatsächliche oder vermeintliche nationale Stärken, wie wir sie derzeit erleben, weitaus mehr Identitätsnarrative, die jetzt von bestimmten Gruppen reaktiviert und für ihre Zwecke instrumentalisiert werden.
Risikobereitschaft impliziert durchaus auch, sich über bestimmte Regeln hinwegzusetzen. Positiv gesehen ist ein risikoaffiner Manager in der Lage, ›out of the box‹ zu denken, neue Wege jenseits des Bewährten und Etablierten zu beschreiten und bestimmte Dinge auch gegen Widerstände durchzusetzen.
Das Beispiel zeigt allerdings auch, dass eine zu starke Betonung des Narrativs durchaus eine Gefahr birgt. Das Storytelling beinhaltet, im Politischen genauso wie im Unternehmen, fast zwangsläufig eine Bewegung weg von der nachprüfbaren Argumentation – und die ist nicht unproblematisch. Ein Problem tritt auf, wenn beispielsweise Konflikte im Unternehmen, die im Hintergrund existieren, nicht mehr auf der Basis nachprüfbarer Fakten angesprochen oder geschickt umschifft werden. Am Ende präsentiert das Unternehmen – nach innen und nach außen – eine perfekt polierte, verführerische Story, aber es steht ein »weißer Elefant« im Raum, über den einfach keiner mehr redet.
Fazit: Storytelling kann ein kraftvoller Kommunikationsansatz sein, er sollte aber auf jeden Fall mit Augenmaß eingesetzt werden.
Ein guter Kommunikator nimmt gedanklich die Perspektive seiner Adressaten ein – und macht seine Position dadurch zustimmungsfähig.
Allzu häufig sind wir noch dem klassischen Kommunikationsverständnis verhaftet: Es gibt einen »Sender«, und der will seine Position beim »Empfänger« durchsetzen. Wer seine Kommunikationsprozesse dergestalt auffasst, wird immer wieder Schiffbruch erleiden. Schon bei Aristoteles findet sich der Gedanke, dass der Zuhörer richtungsgebend ist. Es ist ein sehr wirksames Korrektiv, wenn man als Führungspersönlichkeit diesen gedanklichen Schalter einmal umlegt. Im Englischen gibt es eine treffende Formulierung, die solche Prozesse beschreibt: »Put yourself in the other man's shoes«. Damit ein kommunikativer Prozess erfolgreich verlaufen kann, muss letztlich eine gewisse Identifikation zwischen dem Kommunikator und seinem Adressaten hergestellt werden. Das bedeutet nicht den Verzicht auf Führung. Derjenige, der Verantwortung trägt, der Probleme lösen, Prozesse anstoßen und Entscheidungen treffen muss, soll seine Position keinesfalls aufgeben oder schwächen. Es geht darum, wie er seine Position, die innere Gewissheit, die er in sich trägt – Zertum nennt das die Rhetorik –, durch einen gedanklichen Wechsel der Perspektive überprüft, damit die Adressaten wiederum seine Motive zu ihren machen können.
So oft man ihre moralische Autorität zur Verfolgung höchst unmoralischer Zwecke missbraucht hat, so unbezweifelbar ist ihr verpflichtender Auftrag.
Walter Jens über die Rhetorik
Postfaktische Argumentationsmuster versuchen, die Rückkopplung von Wissenschaft und Gesellschaft zu kappen – und bedrohen damit eines der Fundamente unternehmerischen Handelns.
In jüngster Zeit verfestigt sich der Eindruck, dass eben jenes Zertum an Stabilität eingebüßt hat, weil maßgebliche Akteure zusehends zu Getriebenen kommunikativer Prozesse geworden sind. Gemeint ist damit vor allem die Konjunktur postfaktischer Argumentationsmuster. Es geht nicht mehr darum, ob die Wahrheit einer Aussage anhand von Fakten belegbar ist; entscheidend ist allein der emotionale Effekt des Gesagten – also die Frage, ob die angebotenen Erklärungsmodelle eine Nähe zur Gefühlswelt des Zielpublikums haben. Oft ist es vom geschickt eingesetzten Narrativ bis zum Abgleiten ins Postfaktische nur ein kleiner Schritt. Das ist eine Gefahr, die vielen noch nicht ausreichend bewusst ist. Dass solche Positionen sich erfolgreich Gehör verschaffen, hängt wiederum mit ihrer schnellen Verbreitung über die sozialen Medien zusammen. Stimmungen und Falschmeldungen können sich mit großer Dynamik verbreiten, ohne dass es Filter gibt, die den Inhalt auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Die sozialen Medien wirken hier wie eine Art Echokammer, in der die eigene Position immer wieder bestätigt wird.
Für die Unternehmen können derartige emotional verfängliche Argumentationen zu einer ernstzunehmenden Gefahr werden. Die auf postfaktischen Mustern beruhenden Positionen sind häufig verbunden mit einer scharfen Globalisierungskritik und der Rückbesinnung auf eine nationalistische und protektionistische Handelspolitik. Diese Denkmuster richten sich frontal gegen die Interessen vor allem der großen, weltweit operierenden Unternehmen, für die ein freier Wirtschaftsaustausch absolut essenziell ist.
Die größte vom Postfaktischen ausgehende Gefahr besteht vermutlich darin, dass die Rückkopplung von Wissenschaft und Gesellschaft bedroht ist. Insbesondere stark wissensbasiert operierende Unternehmen sind darauf angewiesen, dass die Wissensweitergabe funktioniert – innerhalb eines Teams, zwischen den Abteilungen, vor allem aber über die Grenzen des Unternehmens hinaus. Wir benötigen eine Kultur, die es den Unternehmen und der Wissenschaft ermöglicht, ihr Wissen zu teilen und Menschen zu erreichen. Und wir brauchen ein Grundeinverständnis darüber, dass wissenschaftlich belegte Zusammenhänge nicht durch diffuse Emotionen sowie durch »alternative Fakten« einfach beiseitegeschoben werden.
Mit Donald Trump erleben wir jetzt jemanden an der Spitze der weltweit größten Wirtschaftsnation, der versucht, diese Rückkopplung von Wissenschaft und Gesellschaft zu kappen. Ihn interessiert nicht, welche wissenschaftlichen Begründungen angeführt werden, beispielsweise beim Thema Klimawandel, ihn interessiert keine rationale Betrachtung, sondern er hat eine Position, und die setzt er durch. Wenn dieses Muster zu einem allgemeinen Kulturphänomen wird, kann es sich zu einer ernsthaften Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen entwickeln. Auf der Basis einer offiziell proklamierten Wissens- und Wissenschaftsfeindlichkeit erscheint es zunehmend schwierig, überhaupt noch zielgerichtet in die Entwicklung neuer Technologien und Produkte zu investieren.
In der Politik, aber auch in den Unternehmen, herrscht derzeit eine große Unsicherheit, mit welcher Art der Kommunikation man der Über-Emotionalisierung des Diskurses begegnen sollte. Die Strategie, wenn es denn überhaupt eine war, die Themen und Konflikte, an denen sich die Vereinfacher nähren, entweder nicht anzusprechen oder zu umkreisen, ist gescheitert. Sie hat die Verbreitung und Verfestigung von Positionen, die sich nicht auf Fakten stützen, aber als wahr anfühlen, bislang nicht aufhalten können. Die Konsequenz kann eigentlich nur sein, sich den Konflikten und Problemlagen ernsthaft zu stellen – und zwar ohne Tabus. Solange wir beispielsweise nicht in der Lage sind, offen darüber zu sprechen, welchen Einfluss von Religion wir akzeptieren und wo wir klare Grenzen setzen, wird der Zulauf zu jenen, die sich der Gefühle, Stimmungen und vor allem Ängste der Menschen bemächtigen, nicht versiegen.
Gerade weil die Rhetorik ein umfangreiches Repertoire an Instrumenten bereitstellt, das potenziell auch manipulativ eingesetzt werden kann, benötigt man als Redner oder auch als Unternehmensführer eine moralische Orientierung, ein ausgeprägtes Ethos. Die Wirtschaftsskandale der jüngsten Zeit haben uns deutlich vor Augen geführt, dass wir es auf der Führungsebene zuweilen mit Menschen zu tun haben, deren moralische Orientierung man in Zweifel ziehen muss. Jedem noch so kunstvollen Narrativ ist damit der Boden entzogen.
Kurzbiografie
Olaf Kramer ist Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation an dem von Walter Jens gegründeten Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen.
Zu seinen wichtigsten Forschungsfeldern zählen Wissenschaftskommunikation, Kommunikative Kompetenz, Politische Kommunikation sowie Digitale Rhetorik und Virtualität. Die Kommunikationspraxis in Unternehmen ist ihm u. a. aus der Leitung zahlreicher rhetorischer Weiterbildungsveranstaltungen gut vertraut. Auch bei aktuellen Fragestellungen wie dem Erstarken des Populismus ist Kramers Expertise in Diskussionsrunden sehr gefragt.
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