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Transformation bei Microsoft

„Wir lernen permanent!”

Markus Köhler, Personalleiter und Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland

Markus Köhler ist Personalleiter und Mitglied der Geschäftsleitung von Microsoft Deutschland. Im Gespräch mit Egon Zehnder beschreibt er die Transformation des Software-Riesen zu einer radikal auf ihre Kunden ausgerichteten Organisation. HR spielt in diesem Kulturwandel eine Schlüsselrolle, denn der Dialog beginnt mit den eigenen Mitarbeitern, ihren Ideen und ihrer Energie. Köhler zögert nicht, Strukturen, die dem neuen „Growth Mindset” von Microsoft im Weg stehen, einzureißen und der kreativen Kollaboration neue Räume zu eröffnen. Diese Kultur weckt das Potenzial im Unternehmen – und zieht neue Talente an.

Egon Zehnder: Die Digitalisierung verändert radikal Geschäftsmodelle und Strukturen von Unternehmen. Welche Rolle spielt HR bei der Transformation von Microsoft?

Markus Köhler: HR spielt eine sehr wichtige Rolle, denn Transformation bedeutet ja auch eine Verhaltensänderung. Und das ist immer etwas, was auch HR beeinflussen kann. Entweder dadurch, dass wir Fortbildung anbieten, oder natürlich auch durch die Recruiting-Strategie. Wen bringen wir überhaupt zu uns? Sind es nur die üblichen Verdächtigen, die dann am Ende aber zwei Straßen weiter doch zu einem anderen Technologieunternehmen gehen und nur ihren Marktpreis erhöhen wollten? Oder gehen wir auch an dieser Stelle neue Wege?

Egon Zehnder: Musste HR wegen dieser Transformation seinen Silo im Unternehmen aufgeben?

Markus Köhler: Ich glaube, HR war bei Microsoft noch nie ein Silo. Natürlich ist HR eine eigene Funktion und hat auch ein Stück weit ihre eigene Sprache. Aber bei Microsoft ist HR eigentlich immer eng am Business dran. Bei Themen wie Transformation ist es außerdem noch wichtiger, dass HR sich zurücknimmt und wir nicht nur das machen, was wir als HR für wichtig und notwendig halten. Sondern wir müssen herausfinden, was das Business in der Transformation braucht und welche Formate funktionieren. Von daher wäre Silo-Denken wirklich fatal. Wir haben deshalb bei HR für jedes Geschäftssegment einen strategischen Business Partner, der sich überlegt, was dieser konkrete Bereich jetzt braucht und in welcher Phase der Transformation er steht, um dann speziell neue Ideen und Ansätze zu kreieren, wenn es notwendig ist.

Egon Zehnder: Wie stark hat Ihr CEO Satya Nadella HR in die Transformation eingebunden?

Markus Köhler: Massiv! Bis heute. Bei Microsoft hatte ich noch nie die Diskussion, warum HR mit am Tisch sitzt. Ganz im Gegenteil: Der Wunsch ist eher, noch mehr HR am Tisch zu haben und vielleicht sogar noch regelmäßiger. Das wird auch top-down vorgelebt: CEO Satya Nadella und CPO Kathleen Hogan, unsere CHRO, sind ein tolles Duo.

Egon Zehnder: In jeder Transformation gibt es das Bestandsgeschäft mit seinen Strukturen und Prozessen. Andererseits ist da eine Vision, wo man mit der Kultur und den Fähigkeiten hinwill. Hat diese Spannung zu einer Überlastung geführt?

Markus Köhler: Das ist eine gute und schwierige Frage. Es ist eine Reise, auf die wir uns begeben haben. Satya hat die Kulturfrage als sein oberstes Ziel gesetzt und gesagt, wir als Microsoft werden nur erfolgreich sein, wenn wir die richtige Kultur leben. Er ist dafür das Role Model und will sich daran auch messen lassen. Die Leadership Principles, die er eingeführt hat – create clarity, generate energy, deliver success –, hat hauptsächlich er geprägt. Im jeweiligen Land werden diese dann so übersetzt, dass sie passen und gelebt werden können. Wir haben in Deutschland unseren eigenen Umbrella darübergelegt. Wir nennen das: „Gemeinsam gewinnen, einfach machen“.

Egon Zehnder: Wurden wegen der Transformation auch Leistungskennzahlen verändert?

Markus Köhler: Es gibt über KPIs eine weiterlaufende Diskussion. Wobei wir immer aufpassen, dass wir unsere Mitarbeiter*innen nicht an ihrem persönlichen Lernerfolg messen. Es ist ja auch schwer zu messen, wie erfolgreich ein Training war. Die Herausforderung dabei ist immer, wann ich lerne und wann ich den Bedarf habe, das Gelernte anzuwenden. Je größer der zeitliche Unterschied zwischen beidem ist, desto schwieriger ist der Lernerfolg zu messen. Darüber diskutieren wir noch stark und sind auch mit dem Betriebsrat darüber im Gespräch. Denn in Deutschland dürfen Trainingsmaßnahmen nicht zur Leistungsbeurteilung verwendet werden.

Egon Zehnder: Worauf gründen die Leadership Principles von Microsoft?

Markus Köhler: Satya hat diese Prinzipien unter die Überschrift „Growth Mindset“ gestellt. Dieses Konzept stammt von Carol Dweck, einer Psychologie-Professorin an der Stanford University. Im Kern geht es ihr darum, dass du dich an deine Kindheit erinnerst und an die damalige Neugierde. Kleinen Kindern legst du Legosteine hin, und irgendwann fangen sie an, damit zu basteln – wegen der Farben, Formen, wie auch immer. Diese Neugierde versuchen wir über den Growth-Mindset-Ansatz wieder viel stärker zu leben. Der Hintergedanke ist: Jedes Talent – wenn es tatsächlich will – ist in der Lage, weiter zu lernen, und das ist die große Herausforderung. Wir investieren zurzeit wahnsinnig viel in unsere Entwicklungsmaßnahmen, das sind teilweise 60, 80, 100 Stunden pro Mitarbeiter in den nächsten sechs Monaten. Für manche ist das normal, weil sie sowieso in technischen Rollen sind, wo es üblich ist, sich regelmäßig fortzubilden. Für andere ist das weniger normal. Unsere Aufgabe als HR ist, dieses Angebot und natürlich auch die Plattform dafür zu bieten, damit die Leute mit auf diese Reise gehen. Es wird auch Leute geben, die nicht mitkommen wollen. Unser Ziel ist aber, jedem die Möglichkeit zu geben, mit dabei zu sein.

Egon Zehnder: Welchen Stellenwert hat Feedback früher und heute?

Markus Köhler: Wir sprechen mittlerweile von „Perspectives“ und nicht mehr von Feedback, denn das ist rückwärtsgewandt und hat einen negativen Touch. Perspectives heißt, ich gebe dir meine Perspektive darüber, was du mehr machen oder weniger machen könntest. Einmal im Quartal oder dreimal im Jahr gibt es ein sogenanntes Connect, einen Austausch mit der Führungskraft. Als Mitarbeiter kann ich Perspectives von meinem Umfeld beantragen. Wenn wir beide regelmäßig zusammenarbeiten würden, würde ich dir schreiben: Gib mir doch mal deine Perspective. Das bekommt dann meine Vorgesetze oder mein Vorgesetzter, und du kannst es so anklicken, dass ich es auch sehe, wenn du das möchtest. Du kannst das aber auch vertraulich handhaben. Es geht auch anonym, dann weiß ich nicht, von wem das Feedback gekommen ist. Dann hast du darüber ein Entwicklungsgespräch, wenn es den entsprechenden Bedarf dafür gibt.

Egon Zehnder: In der Transformation benötigt man auch neue Fähigkeiten. Nicht alle können von außen kommen. Wie entwickelt Microsoft seine Mitarbeiter*innen weiter?

Markus Köhler: Wir investieren sehr viel in Entwicklungsmaßnahmen, und zwar bewusst segmentübergreifend. Wir wollen die Diversität der Organisation auch tatsächlich nutzen. Und weil die Herausforderungen das mittlerweile von uns verlangen, investieren wir sehr stark in cross-funktionale Teams und Ausbildungen, gerade bei der Weiterentwicklung der Top-Talente. Zum Beispiel habe ich hier einen Verkäufer, der dann auf einmal in den Marketing- und Operationsbereich geht. Er muss dort ganz andere Fähigkeiten lernen. Von außen sieht das sehr einfach aus, wenn man in der Rolle drin ist, merkt man aber, wie schwer das ist. Das machen wir bewusst, und das geht so weit, dass niemand in die Geschäftsleitung aufsteigen kann nur mit einem Sales Background.

Egon Zehnder: Wie ist es mit der Einstellung von Externen?

Markus Köhler: Wir stellen auch komplett industriefremde Kandidatinnen und Kandidaten ein, da spielt HR eine große Rolle. Natürlich ist es einfacher und geht manchmal schneller, jemanden zu nehmen, der aus der gleichen Industrie kommt und den ich womöglich sogar schon kenne. Aber Vorsicht! Sind wir dann tatsächlich divers genug unterwegs? Ist das Team auch divers genug? Da spielt HR die wichtige Rolle zu hinterfragen: Machen wir es uns damit nicht zu einfach? Ist unser Team dann nicht zu homogen?

Egon Zehnder: Wie geht Microsoft mit Fehlentwicklungen bei diesen vielen Maßnahmen um, etwa wenn sich eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nicht so entwickelt wie erhofft oder erwartet?

Markus Köhler: Wir versuchen, sehr nah an der Person und im Dialog mit ihr zu sein, um zu verstehen, woran es hapert. Das kann manchmal eine persönliche Geschichte sein, zum Beispiel: Ich bin Vater oder Mutter geworden, und das beeinträchtigt mich im positiven Sinne. Deswegen ist die Arbeit zweit- oder drittrangig, und ich habe einen Performance-Knick. Ich will nicht sagen, das ist in Ordnung, aber es ist temporär, und man kann gemeinsam zurück auf den Weg finden. Wenn man das weiß, gibt es für niemanden eine Überraschung. Man kann es angehen.

Egon Zehnder: Was ist, wenn jemand innerlich ausgecheckt hat?

Markus Köhler: Das gibt es zwar sehr selten, aber auch bei uns. Wer zum Beispiel einen klar strukturierten Tagesablauf haben möchte, wird sich bei uns nicht wohlfühlen. Dadurch, dass wir mit externen Kandidaten mindestens vier Interviews mit unterschiedlichen Kolleginnen und Kollegen aus der Organisation führen, bekommen wir ein gutes Gespür dafür, ob eine Person zu uns passt oder nicht. Wir versuchen, die Welt nicht schöner zu malen, als sie tatsächlich ist, und geben einen Überblick über die Herausforderungen. Eine davon ist sicher die Dynamik, die man bei uns hat.

Egal, ob du Führungskraft bist oder Mitarbeiter*in, wir versuchen wirklich, der Person Hilfe an die Hand zu geben, zum Beispiel mehr Zeit oder eine externe Unterstützung. Gerade bei Führungskräften investieren wir auch in einen externen Coach, der sie und das Team unterstützt. Dann setzen wir uns aber auch gemeinsam Ziele und auch einen Zeitraum, bis wann wir eine Veränderung sehen wollen. Wenn dann eine Führungskraft sagt, sie hat daran kein Interesse, sie lässt sich auch nicht coachen, denn sie macht alles richtig, dann sind das Indizien, an denen wir erkennen, da kommen wir nicht mehr zusammen.

Egon Zehnder: Wie wichtig ist ein klarer Purpose?

Markus Köhler: Der Purpose ist für uns extrem wichtig geworden. Wir hatten ihn ein Stück weit schon immer. Das fing mit Bill Gates an: „A computer on every desk and in every home.” Er war ja der erste, der ein solches höheres Ziel formuliert hat. Heute bedeutet das für uns nach vorne gedacht: „Empower every person, every organization on the planet to achieve more.“

Egon Zehnder: Das bezieht sich nicht nur auf Microsoft, sondern auf die gesamte Welt.

Markus Köhler: Ganz genau! Und nicht nur auf Organisationen, sondern auf jede einzelne Person. Wir versuchen, das gut umzusetzen. Und wir erleben: Es geht nicht um uns als Microsoft. Früher war das anders, da haben wir uns selbst ganz nach vorne gestellt. Heute versuchen wir, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und sagen: Gemeinsam versuchen wir, euch erfolgreicher zu machen, denn wenn ihr erfolgreich seid, werden wir es automatisch auch sein. Früher haben wir gesagt: Kauf unser Windows, unser Office, und bezahl die nächsten drei Jahre deine Lizenz. Ich weiß genau, wie viele Rechner du hast, multipliziere das, und dann weiß ich, wie viel du uns schuldest. Ob der Kunde das benutzt hat, war völlig egal.

In den letzten fünf Jahren hat sich das massiv verändert. Das stellt uns natürlich vor Herausforderungen. Denn wo ist die Überkreuzung mit dem Lizenzmodell, das sehr vorhersehbar war und mit dem du gut voraussagen konntest, wie oft das Produkt verkauft wird? Heute, wo die Nutzung im Mittelpunkt steht, ist das anders. Ich lege das Produkt auf den Tisch, und wenn es nicht genutzt wird, verdiene ich keinen Cent mehr daran. Früher war das komplett anders. Ich habe dem Kunden das Produkt verkauft und ihn nach drei Jahren erinnert: Du musst deine Lizenz erneuern. Heute wollen wir Fans generieren, die sagen: Das sind coole Produkte. Ich möchte auf dem neuesten Stand bleiben, damit ich das meiste für mich und meine Organisation heraushole. Früher war das überhaupt nicht unser Gedankengang. Dieser Wandel – von der Cashcow über die Lizenzen hin zu Consumption – war wirklich eine Operation am offenen Herzen. Mittlerweile haben wir es gut hinbekommen, auch das Mindset unserer Leute entsprechend zu verändern. Sie werden nicht mehr dafür bezahlt, dass sie nur Lizenzen verkaufen. Tatsächlich muss das Produkt auch genutzt werden, und je besser das funktioniert, desto größer wird auch der Bonus.

Egon Zehnder: Wie transportiert man einen solchen Gedanken in eine Organisation hinein?

Markus Köhler: Das lebst du natürlich durch die Projekte vor, die du mit den Kunden machst. Ein gutes Beispiel ist: BMW hat sich entschieden, mit uns sein Sprachassistenzsystem im Auto zu entwickeln. Wenn du dir morgen einen BMW kaufst, weißt du nicht, dass das von uns kommt, weil uns das nicht wichtig war. Wichtiger war uns aber, dass BMW glücklich mit einem Sprachsystem ist, das nicht nach uns benannt worden ist. Das zeigt, dass wir es ernst meinen. Ob das ganze Ding hinterher Microsoft heißt oder nicht, entscheidet der Kunde. Für uns ist das nicht der Gradmesser für Erfolg.

Und noch etwas anderes: Früher habe ich immer gedacht, guck mal, andere Tech-Unternehmen werden überall genannt, nur Microsoft nicht. Heute bin ich sehr froh darüber. Warum werden wir nicht genannt? Weil wir eben nicht die Daten klauen und damit Geld verdienen wollen. Klar, wir versuchen auch, die Spracheingabe zu verbessern. Wir arbeiten aber nicht mit dir zusammen, um dein Geschäftsmodell noch besser zu verstehen und es hinterher selbst noch besser und effizienter zu machen. Wir sind dafür bekannt, dass wir mit dir gemeinsam versuchen, dein Geschäft zu optimieren und neue Industriestandards zu schaffen. Dies machen wir aber nicht ohne dich und auch nicht, um dich später auszubooten.

Egon Zehnder: Agieren die amerikanischen Kollegen genauso?

Markus Köhler: Ja, noch viel stärker. Das kommt hauptsächlich aus dem amerikanischen Markt. Wir werden tatsächlich so angesprochen: Wir wollen mit euch arbeiten, nicht mit anderen Tech-Größen, denn wir sind skeptisch geworden. Stattdessen sagen sie: Microsoft, kommt in die Pötte, wir wollen das mit euch machen.

Wir versuchen momentan mit Walmart in den USA, den Einzelhandel zu verändern. Da sind wir sehr gut unterwegs und versuchen, anders als einige unserer Konkurrenten, gemeinsam mit unserem Kunden disruptiv zu sein. Es geht nicht um unseren Namen, sondern um einen gemeinschaftlichen Ansatz, also mit Walmart oder hier in Deutschland mit Otto, Rewe oder Edeka.

Egon Zehnder: Das bedeutet auch intern eine andere Art der Kooperation.

Markus Köhler: Ja, eine sehr starke interdisziplinäre Zusammenarbeit, denn wir arbeiten viel stärker als früher in Projekten. In den vergangenen Jahren ist alles viel technischer geworden. Deswegen investieren wir in unsere eigenen technischen Fähigkeiten. Je nachdem, wie die Projektphase ist, nehmen wir unsere eigenen Leute mit rein, aber auch Partner, um die beste Unterstützung zu haben. Und wir haben auch nicht alle Ressourcen in Deutschland. Wenn wir jetzt zu BMW kommen, da gibt es spezielle Anforderungen, daher muss unsere Spracherkennung umprogrammiert werden. Das funktioniert immer nur in Kollaboration mit den Entwickler*innen, die häufig in den USA sitzen. Die kommen nach Deutschland und bringen Teams mit, die eng mit dem Kunden zusammenarbeiten. Die Kollaboration hat sich in den letzten Jahren deshalb sehr, sehr stark verbessert.

Egon Zehnder: Wird die klassische Aufbauorganisation aufgelöst und in eine projektbezogene Organisation verwandelt?

Markus Köhler: Wir haben immer noch die klassische Aufbauorganisation in Form einer Matrix, zu der eine Projektorganisation hinzukommt. Aber wir arbeiten stark interdisziplinär zusammen. Wir können das sehr gut voneinander trennen.

Egon Zehnder: Läuft das nicht irgendwann in einen Konflikt?

Markus Köhler: Nein. Es gibt bei uns zum Beispiel einen Global Account Manager, der für BMW verantwortlich ist. Diese Person hat einen genauen Überblick, welche Projekte wir heute weltweit mit BMW treiben. Sie hat die Aufgabe zu koordinieren, wer wann in diese Projekte einsteigen muss. Und dann stellen sich weitere Fragen: Welche Ressourcen brauche ich? Habe ich die in Deutschland vorrätig? Habe ich ein Partner-Eco-System, das mir dabei helfen kann? Wenn nicht, müssen wir die Lösung neu entwickeln und dabei mit den USA zusammenarbeiten? Die Zusammenarbeit ist also immer sehr stark projekt- oder bedarfsabhängig.

In den letzten Jahren haben wir zudem immer mehr Industrie-Know-how aufgebaut. Wir schauen uns die End-to-End-Prozesse im Retail-Bereich an, im Manufacturing- und Automotive-Bereich und so weiter. Zusätzlich zum technischen Know-how ist das Industrie-Know-how deutlich wichtiger geworden, denn erst wenn man beides hat, fängt man an, über Ideen nachzudenken, die tatsächlich disruptiv sein können.

Egon Zehnder: Welche Rolle spielt HR für einen disruptiven Denkansatz?

Markus Köhler: Wir haben uns über die letzten fünf Jahre auch bei HR umorientiert. Wir stellen uns selbst die Frage, wie wir unsere Kunden am effektivsten unterstützen können. Wir haben auch ein sogenanntes HR-Modell und haben massiv ins eigene Recruiting investiert. Wir haben gemerkt, dass Recruiting oder der „War for Talents“ für die Zukunft ein absolut kritischer Erfolgsfaktor ist. Nachdem wir bis vor fünf Jahren viel outgesourct haben, haben wir deswegen entschieden, wir machen wieder sehr viel Insourcing. Wir haben sehr stark und auf allen Ebenen in den Bereich investiert.

Egon Zehnder: Wie hat die Transformation die Kultur von Microsoft verändert?

Markus Köhler: Bei uns sind zum Beispiel die Zeiten vorbei, wo du sagst: Ich möchte nicht mehr mit meinem Vorgesetzten in einem Raum sitzen. Die Idee dahinter ist ja: Dann weiß ich, wann der geht, und ich will ja erst nach ihm gehen. Das ist totaler Blödsinn; bei uns interessiert das niemanden mehr. Die Leute kommen und gehen, wie es passt, das wird auch nicht mehr kontrolliert.

Ich muss auch sagen, die Zeiten, als ich gewusst habe, was mein Team tatsächlich will, sind auch ein Stück weit vorbei. Mittlerweile habe ich ein völlig diverses Team. Natürlich habe ich Ideen, und es gibt auch Dinge, auf die ich bestehe. HR ist zum Beispiel der Klassiker dafür, dass wir uns wohler fühlen mit datenbasierten Entscheidungen; das ist für mich ein Must-have. Wenn mir aber das Team sagt, wir sehen jetzt gerade einen großen Bedarf in Richtung Negotiation Skills, dann mache ich das gerne. Oder es geht mehr in Richtung Storytelling, dann mache ich auch das gerne. Da hole ich mir Feedback vom Team, weil ich nichts am Team vorbei machen möchte. Ich möchte sehen, wo die Energie des Teams ist, und sie mit bestätigen.

Heute erleben wir immer mehr, dass wir als Führungskräfte stärkeres Coaching, aber auch mehr Plattformen zum Austausch anbieten müssen. Unsere Leute wollen nicht nur hören, was Kathleen Hogan oder Markus Köhler darüber denken, sondern auch, was das für sie bedeutet, was ihr Beitrag dazu ist. Das wollen sie erarbeiten, und daran wollen sie Spaß haben. Deswegen bieten wir diese Plattform und sagen: Hey, in die Richtung wollen wir gehen, und ihr seid daran beteiligt, wie wir es machen.  

Egon Zehnder: Wo Licht ist, ist meistens auch Schatten. Welche Themen wurden in den vergangenen Jahren bei Microsoft unterschätzt?

Markus Köhler: Wir lernen permanent! Das ist ein innerer Kampf, den wir auch als Geschäftsleitung machen. Ein klassisches Beispiel: In der ersten Juliwoche fängt unser Geschäftsjahr an. Früher haben wir unser Company Meeting einem Team oder einer externen Agentur gegeben. Meist war das ein Ein-Tages-Event mit Präsentationen, die Geschäftsleitung stand vorne, wir haben noch ein paar externe Gäste eingeladen und erzählt, wie gut das Jahr war, und ein paar Awards ausgeteilt – der Klassiker. Abends wurde dann groß gefeiert, wunderbar. Im Laufe der Zeit haben wir mitbekommen, dass ab mittags die Leute nicht mehr im Raum, sondern hauptsächlich draußen waren. Das hat manche schon sehr irritiert, und es wurde gesagt: Das müssen wir besser kontrollieren – wo ich aber denke: Ihr habt das Feedback nicht verstanden; das Format, das hier angeboten wird, kommt nicht an. Wir haben dann gesagt, wir machen das jetzt komplett anders. Wir hatten zehn MBAs, die waren gerade mal sechs Monate an Bord. Wir haben gesagt: Ihr macht das jetzt, ihr könnt euch ausprobieren, ihr kommt mit einem Vorschlag, wie wir das machen wollen. Die haben dann von einem auf zwei Tage erweitert und einen Event gemacht, bei dem wir mit Kunden, Partnern und auch NGOs zusammengearbeitet haben. Die Mitarbeiter*innen haben zwei Tage lang mit denen neue Geschäftsmodelle erarbeitet, die Hütte hat gebrannt. Die Leute haben teilweise die Nacht durchprogrammiert. Es war eine Energie in dem Laden, da ist keiner mehr gegangen. Das war der totale Wahnsinn!

Die MBAs haben uns also mit auf die Reise genommen, wir haben uns regelmäßig mit ihnen ausgetauscht. Das heißt, es wurde auf einmal auch unser Projekt aus der Geschäftsleitung. Wir haben uns komplett auf die MBAs eingelassen und das einfach ausprobiert. Auf einmal war es ein gemeinschaftliches Event und nicht mehr eine Agentur, die das schön für uns aufgemalt und toll gemacht hat – mit einem klangvollen Slogan, der dann genau bis zum nächsten Tag hielt, weil es nicht unser Slogan war. Auf einmal war das unser Event – eine ganz andere Geschichte.

Egon Zehnder: Kommunikation ist ja extrem wichtig für Veränderungen. Wie läuft das bei Microsoft unterjährig?

Markus Köhler: Aus meiner Sicht gibt es keine Überkommunikation. Es gibt einfach zu viele Leute, die einen unterschiedlichen Bedarf haben. Die einen müssen es hören, die anderen müssen es sehen, die anderen wollen es nur lesen. Am Ende musst du sie alle befriedigen, und das heißt, wir kommunizieren auf vielen unterschiedlichen Kanälen. Einmal im Monat gibt es beispielsweise eine weltweite Q&A-Session, alle Mitarbeiter*innen weltweit haben Zugriff darauf. Eine abgespeckte Version davon machen wir auch in Deutschland einmal im Quartal. Ich schicke einmal im Monat einen Newsletter. Der bekommt eine sehr positive Resonanz, weil er anders ist. Am Anfang stehen ein paar Gedanken von mir, aber danach siehst du nur noch, was die Leute in der Organisation miteinander gemacht haben. Du siehst Emotionen, Bilder, Teaser, und wenn du mehr lesen willst, klickst du drauf, dann bekommst du das ganze Spektrum. Damit werden Emotionen geweckt, und ich glaube, wir Deutschen können das per se nicht so gut. Ich glaube, wir unterschätzen das massiv, denn die Leute bekommen mittlerweile so viele Informationen, dass sie sie gar nicht richtig aufnehmen können. Das heißt, du brauchst diesen emotionalen Trigger. Es interessiert sie mehr, was ihre Kolleg*innen erleben, als was in PowerPoint rüberkommt; das funktioniert nicht mehr.

Egon Zehnder: Es geht also um emotionale Erlebbarkeit?

Markus Köhler: Ganz genau, und damit schaffst du auch Bindung zum Unternehmen. Wir brauchen eine hohe emotionale Bindung, die wir vor drei Jahren, als ich hier angefangen habe, nicht hatten. Warum? Weil wir dachten, wir wissen, was die Leute wollen. Wir wussten es aber nicht. Man muss da auch loslassen können. Du gibst jetzt Richtungen vor und nicht mehr die Details. Das musst du einfach zulassen, denn unsere Leute wollen mitgestalten, sie wollen mit dabei sein.

Egon Zehnder: Wurde Microsoft so auch interessanter für Talente, die gesagt haben: Das ist eine spannende Company, da will ich rein?

Markus Köhler: Ich bin jetzt 13 Jahre bei der Firma. Mich hat damals extrem beeindruckt, was für eine hohe Verantwortung man den Leuten gegeben hat. Schon damals waren junge Leute für dreistellige Millionenbeträge verantwortlich. Es war schon immer unsere Philosophie, dass wir unseren Mitarbeiter*innen einfach viel zutrauen. Wir sehen aber einen großen Unterschied in den letzten fünf Jahren: Früher hast du viel mehr Einzelkämpfer gehabt. Heute versuchen wir nicht mehr, das zu belohnen. Einzelkämpfer sollen bei uns nicht erfolgreich werden. Es geht darum, dass du im Team wirkst. Zu schauen, das ist mein persönlicher Beitrag zum Erfolg, aber auch, was habe ich von anderen gelernt und übernommen? Und das nicht nur bezogen auf Deutschland, sondern auch: Was können England oder Frankreich zum Beispiel besser? Oder was können wir von den USA übernehmen? Aber auch: Was war mein Beitrag zum Team? Wie habe ich mein Team erfolgreich gemacht? Das ist bei uns sehr, sehr wichtig. Das war eine Reise, auf der die Leute begriffen haben, dass sie nicht mehr so hoch belohnt werden, wenn sie versuchen, allein erfolgreich zu sein.

Egon Zehnder: Wenn wir den Blick weiten: Was fehlt in Deutschland im Bereich HR?

Markus Köhler: Ich stelle immer wieder fest, dass wir es häufig in Deutschland mit Leuten zu tun haben, die wissen, wie es nicht funktioniert. Man erzählt ihnen etwas, und dann sagen sie: Ja, aber bei uns geht das nicht. Und dann sagst du: Wenn wir so darangegangen wären, hätte es bei uns auch nicht funktioniert. Ich sage häufig, wenn ich etwas anfange: Ich habe einen Wunsch, wenn ihr nachher hier rausgeht oder morgen wieder im Büro seid, dann überlegt euch euren ersten Schritt zu der Reise, die ihr vielleicht antreten wollt. Auch wir haben Schritt für Schritt gemacht und das alles nicht auf einmal über Nacht eingeführt. Ich sage immer: Nehmt eure Leute mit auf die Reise. Die wissen sehr genau, was sie brauchen und wie man sie unterstützen kann. Und wenn man die, die ausgecheckt haben, wieder mit einlädt, lassen selbst die sich gerne mitreißen und sagen: Gehen wir es doch noch mal an. Denn auch bei uns freuen sich die Leute nicht auf die Veränderung, die morgen schon wieder ansteht. Auch die sagen manchmal: Boah, ist das anstrengend hier, schon wieder das nächste Lernkonzept, schon wieder die nächste Geschichte! Das ist herausfordernd.

Eine meiner größten Herausforderungen im nächsten Jahr ist zu verhindern, dass die Leute den Zug verpassen und sich nicht genügend ausbilden. Welchen Trade-off machen wir womöglich? Wenn sie sagen: Soll ich jetzt zum Kunden, oder willst du, dass ich lerne? Was ist dann unsere Antwort? Das wird eine spannende Diskussion, denn die Mitarbeiter*innen sagen mir: Wir sind doch heute schon extrem erfolgreich, warum soll ich denn jetzt noch technischer werden? Wozu denn? So viele Projekte, wie es gibt, kriege ich heute schon nicht abgearbeitet.

Egon Zehnder: Das ist natürlich schwer zu erklären.

Markus Köhler: Und da kommt auch wieder der Purpose. Das Warum ist wahnsinnig entscheidend. Warum machen wir das? Und dann kommt auch wieder die Kommunikation ins Spiel, wo wir die Leute abholen müssen, neue oder unterschiedliche Formate anbieten müssen, das eine ist online, das andere ist Präsenz. Oder auch cross-funktional in Kleinteams, damit die Leute wieder unterschiedliche Ideen bekommen. Diesen Herausforderungen stellen wir uns heute schon und nächstes Jahr noch viel stärker.  

Egon Zehnder: Was beschäftigt Sie noch?

Markus Köhler: Das Thema Diversity and Inclusion ist für Microsoft wahnsinnig wichtig. Das ist viel mehr als nur Mann oder Frau, sondern wo du herkommst, dein Background, deine Lebenserfahrungen und so weiter. Mittlerweile wird das auch ein echter Differenziator bezüglich der jungen Talente. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass die gesagt haben: Ich bin mit meinem Job super happy, ich will da eigentlich nicht weg. Wir erzählen dann unsere Diversity and Inclusion Story. Und dann kommt es tatsächlich vor, dass uns die Leute anrufen und sagen: Ich habe noch mal recherchiert, was ihr da macht, das gefällt mir, und mein Bruder fühlt sich da, wo der heute arbeitet, total unterdrückt, denn er ist schwul und kann sich nicht outen, und wenn ihr das lebt, wie ich es gehört habe, komme ich zu euch, das interessiert mich.

Wir haben zum Beispiel unsere GLEAM Community auch in Deutschland, unser globales LGBTIQ-Netzwerk. Da bin ich auch, da kann jeder mit dazu. Die gibt es schon länger, aber über die letzten drei Jahre hat die sich massiv verstärkt. Wir haben jetzt über 150 Leute da drin und erleben, dass gerade die Leute, die jetzt neu zu uns kommen, immer mehr ihren Beitrag dort leisten wollen. Das ist schon interessant zu sehen. Diversity spielt bei den Leuten eine immer größere Rolle. Wir merken das jetzt auch, wenn wir zu den Kunden rausgehen. Die sagen: Was macht ihr denn da? Ist ja interessant, können wir uns da mal austauschen? Wir sind nicht die ersten und einzigen, die das machen, aber du merkst schon, dass das Interesse immer größer wird. Wir können, wollen und müssen uns damit immer stärker auch ein Stück weit differenzieren.

Egon Zehnder: Die Leute würden sonst nicht zu Microsoft kommen.

Markus Köhler: Absolut. Auch Well-being ist ein großes Thema bei uns. Nächstes Jahr versuchen wir weltweit sehr stark, in Well-being zu investieren, auch in Resilience und Mindfulness. Zum Glück nicht, weil unsere Krankheitsstatistiken schon so hoch sind, sondern wir liegen noch immer unter dem Industriedurchschnitt, auch in Deutschland. Aber wir sehen natürlich diese permanente Verfügbarkeit, diese Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit. Wir wollen den Leuten helfen, da besser für sich einen Weg zu finden.

Egon Zehnder: Herr Köhler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Vita

Markus Köhler ist Diplom-Wirtschaftsingenieur (TU Berlin). Seine derzeitige Position hat er seit Dezember 2015 inne; in Deutschland ist er für rund 3000 Mitarbeiter*innen verantwortlich. Köhler war bereits in den zehn Jahren davor für Microsoft tätig, darunter viereinhalb Jahre lang als Senior HR Director für Central & Eastern Europe. Vor seiner Karriere bei Microsoft arbeitete Köhler bei Capgemini im Bereich Change Management und Transformation als Managing Consultant und bei Hewlett Packard Consulting.

Interview: Egon Zehnder ∙ Fotos: Michael Hudler

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