Mit Hochdruck investiert der junge, aus Ghana stammende Bildungsunternehmer Fred Swaniker in die Entwicklung des wohl wichtigsten Guts für Afrikas Zukunft: gut ausgebildete Führungskräfte. Seine Organisation, die African Leadership Academy, war in den vergangenen Jahren auf der Suche nach jungen High Potentials überall auf dem Kontinent unterwegs. Die Besten werden in Südafrika, auf dem Campus der Academy, ausgebildet und auf künftige Führungsaufgaben vorbereitet. Eine außerordentlich ambitionierte und inspirierende Initiative: Als wahrscheinlich erster Mensch in der Geschichte Afrikas verfolgt Swaniker einen Plan, der Auswirkungen auf das Wohlergehen des gesamten Kontinents hat.
FOCUS: Nach Jahrzehnten, die gezeichnet waren von Krieg, Armut und Korruption, wird Afrika jetzt zunehmend als aufstrebender Kontinent wahrgenommen. Welche großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Trends haben zu dieser veränderten Einschätzung geführt?
Fred Swaniker: Afrika beginnt langsam, aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen, und steht heute dort, wo China vor 20 oder 30 Jahren stand. Es gibt vor allem zwei Trends, die Afrikas Rolle als Markt, aber auch als Akteur der globalen Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten stärken dürften. Einer davon ist die Verstädterung: In den nächsten 40 Jahren werden rund 800 Millionen Menschen in die afrikanischen Städte ziehen. Städte bringen Käufer und Verkäufer von Ideen und Gütern zusammen und lassen zugleich Infrastruktur und Gebäude auf konzentriertem Raum entstehen. Das alles treibt das Wachstum in Afrika voran. Der zweite Trend ist die Demographie: Nirgends auf der Welt wächst die Bevölkerung so schnell wie in Afrika; bis zum Jahr 2030 werden dort mehr Erwerbsfähige leben als in China, und zwar vor allem junge Menschen, was für zusätzliche Dynamik sorgt. Das Durchschnittsalter in Afrika liegt derzeit bei 18 Jahren …
… in Deutschland bei 44 Jahren!
Ja, das ist beeindruckend, nicht wahr? Und da gleichzeitig die Geburtenraten sinken, haben die Menschen weniger Angehörige zu versorgen und somit mehr frei verfügbares Einkommen.
Ist die derzeitige politische und wirtschaftliche Elite in den afrikanischen Staaten denn in der Lage, derartige Prozesse zu steuern und die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit diese Potenziale ausgeschöpft werden können?
Dazu müssen wir eine kleine Reise in die Vergangenheit antreten. In den letzten fünf, sechs Jahrzehnten haben wir drei Generationen von Staatsführern erlebt – und jede von ihnen hat ein anderes Vermächtnis hinterlassen.
Die Reise in die Vergangenheit beginnt offenbar mit der Befreiung vom Kolonialismus.
Ja. Die erste Generation waren die Führer, die Afrika die Unabhängigkeit brachten, Politiker wie Kwame Nkrumah aus Ghana und Julius Nyerere aus Tansania. Alles in allem haben sie ihr Ziel erreicht; dies muss als ihr Vermächtnis gewürdigt werden. Allerdings entwickelten sich viele von ihnen nach der Befreiung von den Kolonialmächten zu Diktatoren.
Ihre Nachfolger waren meist nicht besser.
Die Führer der zweiten Generation waren sogar oft noch schlimmer. Sie hinterließen das schlimmste Vermächtnis und prägten Afrika auf schreckliche Weise. Es waren brutale und korrupte Diktatoren, die die Menschenrechte mit Füßen traten: Machthaber wie Idi Amin in Uganda, Sani Abacha in Nigeria, Mobutu Sese Seko im Kongo. Sie haben Afrika ausgebeutet und geplündert. Zum Glück sind die meisten Vertreter dieser Generation mittlerweile tot.
Und die dritte Generation?
Das sind die politischen Führer, die in den vergangenen 15, 20 Jahren an die Macht kamen. Nelson Mandela ist sicher der Prototyp dieser Generation. Ihr wichtigstes Vermächtnis war die Beendigung der Kämpfe, wodurch mehr Frieden und Stabilität in Afrika Einzug hielten. Noch vor 25 Jahren waren zwei Drittel der afrikanischen Staaten in einen Konflikt verwickelt; heute sind es gerade noch fünf von 54 Staaten. Nicht zuletzt das Ende dieser Konflikte eröffnet Chancen für künftiges Wachstum.
Besteht die Gefahr, dass sich diese Chancen bei schlechtem Management ins Gegenteil verkehren?
Auf jeden Fall. Hier spielt Führungsqualität eine entscheidende Rolle. Es liegt an den neuen Leitfiguren, ob die aktuellen Trends, die wir in Afrika erleben, Wachstumskräfte freisetzen oder den Weg in die Katastrophe beschleunigen.
Könnten Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Nehmen wir die Verstädterung. Sie wird zu einem großen Problem, wenn wir die Entwicklung unserer Städte nicht sorgsam planen und nicht für Beschäftigung für die schnell wachsende Anzahl von Menschen in den Städten sorgen. Bis 2050 werden in Afrika 1,2 Milliarden Menschen Arbeit benötigen. Wenn wir da nicht Schritt halten, sitzen wir bald auf einer tickenden Zeitbombe. Sollten wir der ständig wachsenden jungen Bevölkerung keine Perspektive bieten können, wird es zu Aufständen kommen wie beim „Arabischen Frühling“ in Nordafrika.
Das hört sich an, als laste eine Menge Erwartungen und Verantwortung auf den Schultern der vierten Generation von Führungspersönlichkeiten.
Diese vierte Generation, die zurzeit nachwächst, wird hier von uns geschult – und sie wird etwas bewirken. Davon bin ich überzeugt. Letztlich wird die Geschichte allein zeigen, ob ich Recht behalte – doch in meiner Vision wird der Wohlstand für Afrika ihr Vermächtnis sein. Das ist der nächste Kampf: Nachdem wir den Kolonialismus und die wahnsinnigen Diktatoren losgeworden sind, gilt es, das Armutsproblem anzugehen, Pläne für mehr Wohlstand zu schmieden. Gelingt uns das nicht, werden wir nie wirklich unabhängig sein.
In welchen Zeiträumen denken Sie da? Glauben Sie, dass die bei Ihnen geschulten Führungskräfte noch selbst erleben werden, wie die Früchte ihrer Arbeit eingefahren werden?
Ich vergleiche unser Vorhaben manchmal mit dem Bau der Kathedrale von Mailand. Es dauerte 400 Jahre, bis sie fertig war. Von den ungezählten Menschen, die am Bau beteiligt waren, erlebten die meisten die Vollendung dieses wunderschönen Bauwerks nicht mehr. Wir versuchen unseren Schülern zu vermitteln, dass sie als Führungskräfte sich selbst als Baumeister einer Kathedrale begreifen müssen – und die Kathedrale heißt Afrika. Dass man die Ergebnisse der eigenen Arbeit selbst nicht mehr in vollem Umfang miterleben wird, ist kein Grund, nicht heute schon mit dem Bau zu beginnen. Man leistet seinen Beitrag und dann führt die nächste Generation die Arbeit weiter.
„Der Einfluss einer einzelnen Person in der Gesellschaft ist in Afrika viel größer als irgendwo sonst auf der Welt.“
Ist es in Afrika – verglichen mit anderen Kontinenten – für Führungspersönlichkeiten einfacher, Veränderungen durchzusetzen?
Der Einfluss einer einzelnen Person in der Gesellschaft ist in Afrika viel größer als irgendwo sonst auf der Welt. Das liegt vor allem daran, dass außerhalb Afrikas der Einfluss einer Führungspersönlichkeit von der Kraft der existierenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Institutionen abgeschwächt wird. In Afrika aber haben wir heute noch keine Institutionen, die so stark sind, dass sie Führer und die von ihnen ausgeübte Macht unter Kontrolle halten.
Bisher war vor allem von politischer Führung die Rede. Sie betonen aber immer wieder, dass Afrika mehr Unternehmer braucht. Wie hängen diese beiden Dimensionen von Führung zusammen?
Ohne Unternehmertun werden wir in Afrika nicht zu Wohlstand kommen. Eine Regierung kann keinen Wohlstand schaffen, ebenso wenig wie Entwicklungshilfe aus dem Ausland. Wir benötigen also afrikanische Entrepreneure, die Unternehmen in einer Größenordnung aufbauen, dass dort die Millionen von Jobs entstehen, die wir brauchen werden.
„Ohne Unternehmertum werden wir in Afrika nicht zu Wohlstand kommen.“
Und wie vermitteln Sie den nötigen unternehmerischen Spirit?
Wir unterrichten ein Konzept, das sich „unternehmerische Führung“ nennt. Dahinter steht die Idee, alle Herausforderungen in Afrika auch als Möglichkeiten zu verstehen. Die beste Definition für Unternehmertum, die ich kenne, lautet: „Die Kunst, viel mehr zu schaffen, als es irgendjemand für möglich hält, und zwar mit viel weniger, als es irgendjemand für möglich hält.“ Wenn man an den Ressourcenmangel denkt, den wir hier in Afrika haben, dann braucht man diese Art von Unternehmergeist.
Der Campus der African Leadership Academy: Die Schüler lernen nicht nur, sie leben auch hier.
Wenn wir noch einmal einen Schritt zurückgehen: Welche Überlegungen haben Sie vor zehn Jahren zur Idee für die Gründung der African Leadership Academy geführt?
Ich habe in etlichen afrikanischen Ländern gelebt und gearbeitet. In dieser Zeit wurde mir klar, über welches Potenzial Afrika verfügt. Doch immer wieder verhinderte der Mangel an guter Führung, dass dieses Potenzial auch ausgeschöpft wurde. Liefen in einem Land die Dinge gut, konnte man den Erfolg meist an ein oder zwei echten Führungspersönlichkeiten festmachen. Lief es in einem Land desaströs, musste man sich in der Regel nur die politische und wirtschaftliche Nomenklatura anschauen – und man verstand. Ich habe mich gefragt, ob wir nun die Hände in den Schoß legen und dafür beten sollen, dass die guten Führungskräfte irgendwann kommen. Damals entstand die Idee, selbst etwas zu unternehmen und die Führungskräfte auszubilden, die dieser Kontinent braucht. Das Konzept, eine Art Fließbandproduktion für die politische und wirtschaftliche Elite aufzubauen, die Afrika verwandelt und das große Potenzial des Kontinents ausschöpfen kann, erschien anfangs verwegen. Aber es war und bleibt die Vision hinter der Academy.
Das klingt äußerst ambitioniert. Wie ist es gelungen, diese Vision in die Praxis umzusetzen?
Wir haben vor zehn Jahren begonnen und bilden derzeit fast 600 junge künftige Führungspersönlichkeiten aus. In den nächsten 50 Jahren wollen wir hier 6 000 Führungskräfte auf ihre Aufgaben vorbereiten. Sie sollen Afrika den Wandel bringen – eine ungeheure Aufgabe. Es geht ja nicht um die Lösung der kleinen Probleme, es geht um die ganz großen Herausforderungen. Wir wollen Menschen ausbilden, die Führungsaufgaben auf nationaler Ebene übernehmen – als künftige Präsidenten, Zentralbankdirektoren oder CEOs großer Unternehmen. Menschen, die Innovationen hervorbringen, die das Leben von Millionen Landsleuten beeinflussen, sei es im Gesundheitswesen, in der Infrastruktur oder in der Bildung. Uns geht es um Menschen, die diesen Kontinent wirklich nach vorn bringen.
Sie selbst haben vor der Gründung der Academy etliche akademische und berufliche Stationen durchlaufen. Welchen Einfluss hatte diese Vielseitigkeit Ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrungen auf das Konzept der Academy?
Eine Menge, glaube ich, auch wenn es mir nie darum ging, bewusst etwas zu kopieren. Wir bringen unsere Schüler mit globalen Führungskräften zusammen, genau wie zu meiner Zeit in Stanford. Wir arbeiten mit Seminar-Vorlesungen wie am Aspen Institute in Colorado. Und die Schüler erhalten Feedback von ihren Mitschülern ebenso wie von ihren Dozenten, ganz wie ich es aus meiner Zeit bei McKinsey kenne. Im Mittelpunkt unseres Moduls für Führungsentwicklung steht allerdings ein Konzept, das wir selbst entwickelt haben: Unserer Ansicht nach führt der beste Weg zur Ausbildung einer Führungskraft über die Praxis – und nicht über die Theorie wie bei fast allen Einrichtungen, die wir uns vor der Gründung der Academy angesehen hatten. Meist standen dort Fallstudien im Vordergrund. Das blieb alles sehr abstrakt; die Schüler oder Studenten machten sich bei der Erledigung von Führungsaufgaben nie die Hände schmutzig. Unser Modell dagegen ist stark darauf ausgerichtet, den jungen Menschen das Führen in der Praxis üben zu lassen.
Wie sieht dieses praktische Lernen denn ganz konkret aus?
Wenn unsere Schüler an die Academy kommen, müssen sie Teams bilden, mit einem CEO, einem CFO und einem Marketingleiter, eine Geschäftsidee entwickeln und diese tatsächlich umsetzen. Rund 30 solcher Projekte laufen momentan auf unserem Campus. Es gibt eine Bank, ein Bekleidungsgeschäft, eine Farm und vieles mehr. Einmal pro Quartal müssen die Schüler einem für alle Projekte zuständigen Vorstand, den wir aus südafrikanischen Business-Profis rekrutiert haben, ihre Ergebnisse präsentieren, wie in einem richtigen Unternehmen. Am Ende des Jahres muss jedes Projekt dann einen Jahresbericht erstellen und veröffentlichen – der dann durch EY geprüft wird.
Die ganze Zeit über versuchen wir, unseren Schülern praktische Führungserfahrungen zu vermitteln. Wir können unseren Schülern zwar die komplette Theorie des Cashflow-Managements vermitteln, doch sie werden sie als Führungskraft erst dann souverän handhaben können, wenn sie tatsächlich einmal mit der realen Situation eines Liquiditätsengpasses konfrontiert waren. Wenn sie dann in fünf, zehn oder 15 Jahren in ihrem eigenen Unternehmen vor ähnlichen Herausforderungen stehen, wird es ihnen zugutekommen, dass sie sich seit ihrem 17. Lebensjahr mit solchen Dingen befasst haben.
Sie wählen Ihre Schüler aus Tausenden aus ganz Afrika stammenden Bewerbern aus. Wie erkennen Sie die Kandidaten mit dem größten Potenzial?
In diesem Jahr haben wir für die 100 Plätze an der Academy 4 000 Bewerbungen aus 46 Ländern erhalten. Ständig durchkämmen wir den Kontinent auf der Suche nach Menschen, die Afrika verändern können. Menschen, die über Eigenschaften verfügen, die unserer Überzeugung nach eine große Führungspersönlichkeit ausmachen. Zum Beispiel Beharrlichkeit: Eine Führungspersönlichkeit darf nicht gleich aufgeben, wenn sie auf ein Hindernis stößt. Wir suchen Menschen mit Mut, weil man nur mit Courage wesentliche Veränderungen vorantreiben kann. Auch die Leidenschaft zählt zu den Eigenschaften, die wir für essenziell halten. Ein Unternehmenslenker, ein hochrangiger Manager oder Politiker sollte derart besessen sein von seinen Ideen, dass er nicht schlafen gehen kann, bevor er etwas geschafft hat, ein Stück weiter gekommen ist auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Ziele. Diese Leidenschaft ermöglicht es ihm, auch in schwierigen Zeiten nicht aufzugeben. Und zu guter Letzt glauben wir, dass wahre Führungspersönlichkeiten ein Gespür für Gerechtigkeit haben. Wir suchen also nach Menschen mit einem festen Gerüst moralischer Werte, die auch im Falle eines ethischen Dilemmas die richtige Entscheidung treffen.
Uns würde interessieren, wie Sie bei so vielen interessanten Kandidaten eine „Shortlist“ erstellen.
Wir treffen eine Vorauswahl, indem wir die Bewerber auffordern, uns von einer Begebenheit zu erzählen, bei der sie in ihrem Umfeld einen Missstand entdeckten, gegen den sie selbst etwas unternahmen. Die eigene Aktivität, das eigene Engagement ist entscheidend. Wir wollen dadurch jene, die lediglich große Reden schwingen, von den tatsächlichen Machern trennen – also jenen, die tatsächlich den Mut und die Beharrlichkeit haben, vorzutreten und etwas zu unternehmen. Wir hören dabei immer wieder faszinierende Geschichten: „Da es in meinem Dorf keinen Strom gab, baute ich ein Windrad und erzeugte damit Strom.“ Oder: „Der Mathematiklehrer in meiner Klasse kam ständig betrunken zum Unterricht. Also übernahm ich seine Aufgabe und wurde selbst Mathematiklehrer.“ Oder: „Es gab in meinem Flüchtlingslager keine Schule, also baute ich eine.“
Das sind wahre Geschichten?
Ja, allesamt. Manchmal schimmert schon ein erstaunliches Maß an Unternehmergeist aus diesen Geschichten heraus. Eine junge Frau aus einer armen Gegend in Kenia, die jetzt bei uns studiert, musste zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen. Sie gründete ein kleines Unternehmen und züchtete Hasen. Als sie 14 Jahre alt war, beschäftigte sie schon 15 Frauen und gründete einen Mikrofinanzierungsfonds, der es drei weiteren Frauen ermöglichte, eigene Unternehmen zu gründen. Solche Dinge haben einige unserer Schüler völlig ohne fremde Hilfe zustande gebracht – ohne Kapitalgeber und ohne Netzwerk. Stellen Sie sich jetzt vor, was jemand wie diese junge Kenianerin erreichen könnte, wenn man tatsächlich in sie investiert, wenn man sie mit Gleichgesinnten vernetzt, die die gleiche unternehmerische Tatkraft und Leidenschaft für Veränderungen mit sich bringen. Stellen Sie sich vor, was mit Afrika passieren könnte!
Sie haben eingangs gesagt, dass Führungspersönlichkeiten es in Afrika vergleichsweise leichter haben, Veränderungen in Gang zu setzen, weil es kaum starke Institutionen gibt, die in der Lage sind, ihre Gestaltungsmacht zu kontrollieren. Gehört es denn auch zu Ihren Zielen, solche Institutionen aufzubauen?
Eine der Botschaften, die ich unseren jungen Führungskräften vermittle, lautet: Nutzt die Chancen, die sich bieten, einen tiefgreifenden Wandel für Afrika herbeizuführen, solange es noch keine starken Institutionen gibt. Andererseits sollten der Aufbau und die Stärkung der Institutionen Teil ihres Vermächtnisses als Führungspersönlichkeit sein. Damit ihre Arbeit fortgeführt werden kann, wenn sie einmal nicht mehr da sind, benötigt man einen verlässlichen rechtlichen und institutionellen Rahmen. Mugabe konnte nur deshalb innerhalb von zehn Jahren Zimbabwe zu Grunde richten, weil es keine Institutionen gab, die ihn hätten aufhalten können.
Konzentrieren Sie sich in der Ausbildung auf die Stärkung der bereits vorhandenen Talente oder versuchen Sie, weitere Talente zu entdecken oder zu entwickeln?
Wenn die Schüler zu uns kommen, bringen sie ein Fundament mit. Auf diesem Fundament bauen wir auf, indem wir ihnen realistische Praxiserfahrungen, fortlaufendes Mentoring und Inspiration bieten. Das führt bei den meisten dazu, dass sie ihre Ziele bald höher stecken und echte Führungsqualitäten entwickeln. Wir betrachten die Academy nicht als Bildungseinrichtung im herkömmlichen Sinne, sondern eher als „Fabrik für Führungskräfte“.
Es geht also von Anfang an nicht um Bildung, um die Vermittlung von Wissen, sondern um Führungsfähigkeit?
Nicht ganz. Natürlich bieten wir unseren Schülern auch eine Grundausbildung – denn wer vielleicht einmal der Finanzminister eines Landes wird, muss die Grundlagen der Ökonomie beherrschen. Wer sich für das Gesundheitswesen begeistert und HIV in Afrika ausrotten will, kommt nicht ohne fundamentale Biologiekenntnisse aus. Die Schüler erhalten bei uns diese Bildungsgrundlagen und lernen auch, sich schriftlich auszudrücken und in der Öffentlichkeit zu sprechen – allesamt Dinge, die eine künftige Führungspersönlichkeit beherrschen muss. Für akademisches Spezialwissen sind wir allerdings nicht zuständig. Das ist Sache der Universitäten. Fast alle unsere Schüler besuchen ja, nachdem sie die Academy absolviert haben, noch eine Hochschule, wo sie sich weiter spezialisieren. Wir bleiben dann mit ihnen in Kontakt.
In den meisten Fällen bedeutet das, dass die Schüler das Land verlassen …
Ja, 80 Prozent unserer Absolventen werden an führenden Universitäten weltweit aufgenommen. Als unser erster Jahrgang 2010 seinen Abschluss machte, wurden 81 der 88 Absolventen an Top-Universitäten zugelassen, 70 erhielten Vollstipendien. Drei von ihnen gingen nach Harvard, drei nach Stanford, drei nach Cornell und je vier besuchten Dartmouth und Yale.
Ihr Ziel ist ja sicher, dass die Studenten nach dem Hochschulabschluss nach Afrika zurückkehren – damit das Potenzial nicht im Ausland bleibt. Wie können Sie das fördern?
Wir verfügen über ein Team, das unsere ehemaligen Schüler während des Studiums im Ausland betreut. Wir bringen sie bei weltweiten Seminaren für berufliche Entwicklung zusammen und helfen ihnen, gründlich über ihre Karriereperspektiven nachzudenken. Jeden Sommer holen wir viele zurück nach Afrika, damit sie hier Praktika absolvieren können. Im vergangenen Jahr beispielsweise konnten wir 97 unserer 120 jungen Führungskräfte, die an den Hochschulen in den USAstudieren, Praktika in Afrika anbieten.
Die ALA arbeitet mit Bildungsministerien, NGOs und dem Un-Hochkommissariat für Flüchtlinge zusammen, um Ausschau nach jungen Talenten zu halten.
So etwas funktioniert nur, wenn es gelingt, ein gutes Netzwerk mit Regierungen, Organisationen und vor allem Unternehmen zu knüpfen.
Genauso ist es. Unser Ziel ist es, Kontakte zu all jenen Firmen zu knüpfen, die talentierte junge Leute mit Führungspotenzial suchen. Wir haben ein Vollzeitteam, das sich genau darum kümmert. Ich würde behaupten, dass wir hier über ein „Warenlager“ mit den besten Talenten Afrikas verfügen. Viele afrikanische Unternehmen befinden sich im Aufbruch; eine ihrer größten Herausforderungen ist die Suche nach Talenten.
Die Absolventen verfügen über Know-how und Kompetenzen, Sie liefern Kontakte …
Richtig, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Qualität und Effektivität einer Führungskraft nicht ausschließlich auf ihren Fähigkeiten basiert, sondern auch auf ihrem persönlichen Netzwerk. Wer als junges Führungstalent keine Menschen kennt, die ihn beraten oder in ihn investieren, wird wahrscheinlich keinen Erfolg haben. Zusammenarbeit ist alles – deswegen hat die Pflege unserer Netzwerke für uns auch Priorität.
Besteht nicht die Gefahr, dass Sie vor allem Führungsnachwuchs für die Unternehmen ausbilden – zu Lasten des öffentlichen Sektors, der ja nur gedeihen kann, wenn genug Menschen mit Potenzial in verantwortliche Positionen gelangen?
Wir versuchen gar nicht erst, unseren jungen Führungskräften vorzuschreiben, ob sie in die Wirtschaft, in die Politik oder in die Verwaltung gehen sollen. Ich glaube, wenn man jemanden in eine Führungsposition drängt, die nicht im Einklang mit seinen Leidenschaften steht, dann gerät er aus dem Gleichgewicht. Leidenschaft und Führungsfähigkeiten müssen Hand in Hand gehen. Wir haben festgestellt, dass sich im Schnitt ein Drittel der jungen Menschen, die zu uns kommen, für eine Karriere in der Politik und im öffentlichen Sektor interessieren – und wir ermutigen sie natürlich. Ein weiteres Drittel will Vollblutunternehmer werden, sozusagen das afrikanische Gegenstück zu Bill Gates. Das letzte Drittel hat eine starke Affinität zu Wissenschaft und Technologie. Darunter sind möglicherweise Talente, die irgendwann einmal mit einer revolutionären Erfindung aufwarten, die ganz Afrika verwandelt.
Spitzentalente mit Führungspotenzial sind weltweit gesucht. Wie gewährleisten Sie, dass ihre ehemaligen Schüler nach ihrem Universitätsabschluss nach Afrika zurückkehren – von den regelmäßigen Kontakten während des Auslandsstudiums einmal abgesehen?
Da gibt es zunächst einmal einen finanziellen Anreiz. Wir verzichten auf die Rückzahlung von Studiendarlehen, wenn die Studenten bis zum 25. Lebensjahr nach Afrika zurückkehren und mindestens zehn Jahre bleiben. Doch ich bin davon überzeugt, dass die Leidenschaft für den Kontinent die stärkste Kraft ist, die unsere Schüler nach Afrika zurückbringt. Hier bei uns vermitteln wir ihnen Unternehmergeist, hier lernen sie, wie Unternehmer zu denken und zu handeln. Und für jemanden, der wie ein Unternehmer denkt, ist Afrika ein Paradies. Es gibt hier so vieles, das noch keiner getan hat, so viele Möglichkeiten für wirkliche Pionierarbeit. Hätten wir die Academy vor 20 Jahren eröffnet, als Afrika ein Kontinent im Kriegszustand war, wäre der Ansatz ein ganz anderer gewesen. Heute ist Afrika jedoch ein Kontinent der Möglichkeiten. Und genau diese Möglichkeiten sind es, die unsere Schüler zurück nach Afrika führen.
Das Interview mit Fred Swaniker in Johannesburg führten: Xavier Leroy, Egon Zehnder, Johannesburg, und Ulrike Krause, FOCUS.
Fred Swaniker
Fred Swaniker entstammt einer wohlhabenden Familie aus Ghana und lebte als Heranwachsender unter anderem in Gambia, Botswana und Zimbabwe. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften am Macalester College in St. Paul, Minnesota, arbeitete er zunächst für McKinsey in den USA und Afrika, bevor er die Stanford Business School absolvierte. Weltweite Anerkennung erhielt er insbesondere für die Ausbildung von Führungskräften an der von ihm gegründeten African Leadership Academy. Er zählt zu den angesehensten aufstrebenden Sozialunternehmern der Welt, ist Fellow des Global Leadership Network des Aspen Institute und wurde 2010 aus 115 jungen Führungskräften für ein Treffen im Weißen Haus mit US-Präsident Obama ausgewählt. Die Zeitschrift Forbes nahm ihn in die Top Ten der jungen „Power Men“ Afrikas auf.
Die African Leadership Academy (ALA)
Ziel der unweit von Johannesburg beheimateten Organisation ist es, Afrikas nächste Generation von Führungskräften heranzubilden. Die 2008 eröffnete Academy steht jungen Menschen aus allen 54 afrikanischen Staaten offen, unabhängig von Religion, Geschlecht und Hautfarbe. Das Auswahlverfahren gilt als rigoroser als das der Harvard University. Alle Absolventen werden ermutigt, sich weltweit die besten Weiterbildungsmöglichkeiten zu suchen, bevor sie schließlich nach Afrika zurückkehren. Viele besuchen Spitzenuniversitäten in den USA, in Großbritannien und anderen westlichen Ländern. In den nächsten 50 Jahren sollen 6 000 Führungskräfte (oder „Change Agents“) ihren Abschluss an der Academy machen.
FOTOS: FRITZ BECK