Eine neue Generation schickt sich an, die Baby-Boomer zu ersetzen, die sich langsam aus dem Berufsleben verabschieden. Deshalb sollten Unternehmen jetzt effektive Strategien zur Rekrutierung und Bindung des Nachwuchses – der Generation Y – entwickeln. Mit ihrer technischen Versiertheit und Übung im Multitasking werden diese jungen Menschen die Arbeitswelt vermutlich radikal verändern. Gleichzeitig konfrontieren sie die Unternehmen aber auch mit hochgesteckten Erwartungen bezüglich Karriereentwicklung, flexibler Arbeitszeit sowie regelmäßigem Feedback über ihre Leistungen.
EINE KRISE BEDEUTET gemeinhin nicht viel Gutes. Zumindest einen positiven Aspekt bietet die aktuelle Wirtschaftslage aber dennoch. Sie kann für Unternehmen eine exzellente Chance bedeuten, ohne den gewohnten Konkurrenzdruck die besten Köpfe für sich zu gewinnen. Weitsichtige Unternehmenslenker fassen schon jetzt die Jahrgänge ins Auge, die die Baby-Boomer in absehbarer Zukunft ablösen werden. Die sogenannte Generation Y drängt bereits Jahr für Jahr von den Bildungsstätten auf den Arbeitsmarkt und wird diesen in kürzester Zeit erobert haben. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, den vielversprechenden – aber nicht unbedingt pflegeleichten – Nachwuchs unter die Lupe zu nehmen und frühzeitig optimale Strategien für seine Anwerbung und Führung sowie seine langfristige Bindung zu entwickeln. Die im Zeitraum 1980 bis 2000 geborene Generation Y – auch als Millenium- oder NetGeneration bezeichnet – denkt ehrgeizig und leistungsorientiert. Mit ihrem Eintritt ins Arbeitsleben erhalten die Unternehmen die Chance, einige der Veränderungen umzusetzen, die nötig sind, um sich an die rasante technische Weiterentwicklung und das globale Wirtschaftsumfeld anzupassen. Die „Digital Natives” kennen keine Welt ohne Computer, Handys und Videospiele. Sie sind, was die Informations¬technologien betrifft, allen früheren Generationen meilenweit voraus. Sie reagieren beweglicher und vielseitiger auf neue Anforderungen als die Generationen vor ihnen, sind aber auch schneller gelangweilt. Deshalb freuen sich die flexiblen Multitasker über jede Chance, neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu übernehmen und damit einer drohenden Eintönigkeit im Berufsalltag zu entgehen. In einer vernetzten Gesellschaft mit verschwimmenden Grenzen aufgewachsen, kommen sie zudem in divers besetzten Teams gut zurecht und sind mit Vergnügen bereit, im Ausland Erfahrung zu sammeln.
Jenseits des Hierarchiedenkens
Die Generation Y testet aber auch gerne ihre Grenzen aus. Wir stehen eindeutig vor der anspruchsvollsten und selbstbewusstesten Generation, die je die Unternehmen betreten hat: selbstsichere und extrem ehrgeizige junge Erwachsene, die Hierarchien nicht viel Beachtung schenken. Sie stellen sich die ideale Arbeitswelt so vor, dass jeder streng nach seinen Leistungen befördert wird und das Dienstalter keine Rolle spielt – Meritokratie pur. Diese Generation – das zeichnet sich jetzt schon ab – wird dazu tendieren, auf der Jagd nach interessanteren Positionen, erfüllenderen Aufgaben und höheren Gehältern alle zwei Jahre – oder auch öfter – die Jobs zu wechseln.
Wer denkt, die Generation Y sei nur ein amerikanisches oder europäisches Phänomen, der irrt. Man begegnet ihren Merkmalen, mehr oder weniger ausgeprägt, in allen Kulturen der Welt. So stellt zum Beispiel Autor Ron Alsop in „The Trophy Kids Grow Up: How the Millennial Generation Is Shaking Up the Workplace“ fest, junge Menschen seien sich heutzutage in vieler Hinsicht ähnlich, egal wo sie lebten. Er schreibt: „Millennials rund um die Welt teilen viele Eigenschaften, wie technische Versiertheit, Erfolgsdrang, Neigung zum Job-Hopping und eine enge Bindung an ihre Eltern. Manche Karriereberater befürchten allerdings, dass die höhere Arbeitsmoral dieser Generation in bestimmten asiatischen Ländern sich zu einer Bedrohung für die jungen Amerikaner auswachsen könnte, die dazu neigen, ihre persönlichen Bedürfnisse und Leidenschaften in den Vordergrund zu stellen.“
Eine von Egon Zehnder und IBM gemeinsam durchgeführte Studie zur Generation Y in China zeigte in der Tat, dass junge Menschen dort eher traditionellen Zielen wie einer eigenen Wohnung, einem guten Gehalt und der Gründung einer Familie einen hohen Stellenwert beimessen. Junge US-Bürger dagegen tendieren vielfach dazu, zunächst das Leben zu genießen. Andererseits stellten die Autoren der Untersuchung aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen der chinesischen Generation Y und ihren Altersgenossen in Amerika und anderen Ländern fest, unter anderem ihr Streben nach Work-Life-Balance, ihre Forderung nach Sozialverantwortung, hochgesteckte persönliche Erwartungen und souveräne Beherrschung der modernen Informations- und Kommunikations¬technologien.
Umfassendes Talent Management mit neuen Schwerpunkten
Solange die Weltwirtschaft in der Krise steckt, sind die Vertreter der Generation Y gezwungen, ihre Erwartungen an potenzielle Arbeitgeber etwas zurückzuschrauben. Sobald es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht, werden die Millennials aber vermutlich so anspruchsvoll denken wie zuvor und nicht lange zaudern, bevor sie den Job wechseln. Kluge Unternehmensführer gestalten ihre Arbeitsplätze deshalb schon jetzt so attraktiv, dass junge Mitarbeiter auch dann bleiben, wenn die Zahl der Stellenangebote wieder wächst. Das setzt die Gestaltung eines umfassenden, speziell auch auf die Generation Y zugeschnittenen Talent Managements voraus.
An erster Stelle stehen dabei herausfordernde und erfüllende Aufgaben sowie vielfältige Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung, über Fort- und Weiterbildung, Mentoringprogramme und Jobrotation. Die junge Generation verträgt wenig Langeweile; sie erwartet, dass Arbeit Spaß macht und intellektuell fordert. Belohnt man ihre guten Leistungen allerdings durch schnelle Aufstiegschancen, so lassen sie sich dank der erhöhten Karrieremobilität zum Bleiben bewegen. Die Kehrseite dieser Beweglichkeit ist allerdings oft eine gewisse Sprunghaftigkeit. Hier besteht Bedarf zu lernen, dass Nachhaltigkeit eben auch Konsequenz und Durchhaltevermögen bedeutet.
Auch die regelmäßige Kommunikation zwischen Führungskräften und den jungen High Potentials wird sich verändern müssen. Die Millennials verlangen um einiges mehr Aufmerksamkeit als frühere Generationen. Wie jeder blühen sie auf, wenn sie regelmäßig Feedback und Lob erhalten, reagieren aber nicht immer optimal auf Kritik. Und sie erwarten eine Rückmeldung „in Echtzeit“, wie sie es aus dem Netz gewohnt sind. Die traditionelle Feedback-Kultur der jährlichen, immer noch oft unzureichend ernstgenommenen Leistungsbeurteilungen reichen in ihrem Fall bei weitem nicht aus. Dies bedeutet eine deutliche Umstellung vor allem für die älteren Generationen.
Führungskräfte sollten sich zudem auf eine engere Anleitung der Generation Y gefasst machen. Die neuen Hoffnungsträger sind zwar durchaus in der Lage, ihren Aufgaben und Funktionen gerecht zu werden, benötigen aber anfangs oft sehr detaillierte Anweisungen. Eigenständiges Denken, Entscheidungsfreude und die Bereitschaft, auch unbeschrittene Wege zu gehen, müssen hingegen gefördert werden. Diese Generation ist daran gewöhnt, umsorgt zu werden: Die Eltern kümmerten sich seit dem Kindergartenalter um die optimale Ausbildung, spezielle Förderung wartete in den Schulen, und die Hochschulen hielten ausgefeilte Austauschnetzwerke mit internationalen Unis sowie Praktikantenpartnerschaften mit renommierten Unternehmen bereit – nur noch „anklicken“ mussten sie selbst. Das hat zur Folge, dass Vorgesetzte sich gelegentlich vorkommen mögen wie Babysitter, wenn sie Angehörige dieser Generation durch Projekte und andere Aufgaben lotsen und dabei – zumindest anfänglich – mehr Händchen halten müssen als gewohnt. Es wird aber möglich sein, mit gezielten Herausforderungen die jungen Nachwuchstalente zu mehr Selbständigkeit zu erziehen, denn auch sie wollen schließlich ihre Ziele erreichen.
Unterschiedliche Werteskalen
Bei der Rekrutierung der Generation Y und dem Versuch, sie langfristig an die Organisation zu binden, werden die Unternehmen mit Sicherheit feststellen, dass dieser Altersgruppe die Work-Life-Balance besonders wichtig ist. Natürlich streben auch ältere Generationen nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben, aber die NetGeneration ist in diesem Punkt noch weniger zu Kompromissen bereit. Ihre Haltung in dieser Frage wird sicherlich bei vielen Führungskräften Kopfschmerzen auslösen. Um den Wunsch der jungen Leute nach mehr Privatleben zu befriedigen, wird man neue Wege wie mobile Arbeitsplätze und flexible Arbeitszeiten beschreiten müssen, ohne dabei die Organisationsabläufe zu gefährden.
Feste Präsenzzeiten machen aus der Sicht der jungen Generation wenig Sinn. Die Millennials wollen ihre Arbeitszeiten selbst gestalten können – sei es zu Hause, im Büro oder auch am Strand. Die NetGen bevorzugt locker reglementierte Arbeitsplätze ohne einengende Bekleidungsvorschriften und ohne Einwände gegen gelegentliche Entspannungspausen mit dem mitgebrachten MP3-Player oder beim Einloggen in Social Networks. Aber Flexibilität und Individualität haben in der Arbeitswelt natürlich ihre Grenzen. Ihre Vorgesetzten werden der Generation Y klarmachen müssen, dass die Forderung nach persönlicher Interaktion zwischen Teammitgliedern ihre Berechtigung hat und dass ungeachtet der Bedeutung der Work-Life-Balance die Einhaltung von Deadlines und die Erfüllung von Kundenwünschen und -aufträgen an erster Stelle kommen. Dafür fällt es dieser Generation leicht, sich über Bereichs- und Landesgrenzen zu vernetzen und zusammenzuarbeiten. Den Unternehmen bietet eine höhere örtliche und zeitliche Flexibilität die Chance, die hohe Einsatzbereitschaft der ehrgeizigen NetGens in schlagkräftigen Teams ohne Rücksicht auf frühere Grenzen zu bündeln.
In Hinsicht auf die Rekrutierung des Nachwuchses sollten Unternehmen verstärkt ihr Image schärfen und pflegen. Denn die Generation Y spricht auf „Arbeitgebermarken“ an, die auf einer Kultur sozialen und umweltbewussten Handelns beruhen. Ethik und Integrität sind dieser Generation viel wert. Sie bevorzugt Firmen, die sich sozial engagieren oder ihnen die Möglichkeit geben, die Welt positiv zu verändern. Viele junge Menschen erwarten ganz selbstverständlich, dass ihr Arbeitgeber ihnen Auszeiten zugesteht, um im Rahmen von lokalen Projekten oder in der Dritten Welt freiwillige Arbeit für Gesellschaft oder Umwelt zu leisten. Programme dieser Art wirken sich nicht nur auf die Bindung der jungen Talente an das Unternehmen positiv aus, sondern fördern ganz allgemein das Ansehen der Firma.
Verständigung zwischen den Generationen
Angesichts der ausgeprägten Charakteristika der Generation Y sind Spannungen am Arbeitsplatz geradezu unvermeidlich. Ältere Mitarbeiter betrachten die Angehörigen der Generation Y meist als verwöhnt, bequem und überzogen anspruchsvoll. Die Jungen ihrerseits beschweren sich über die Engstirnigkeit ihrer Kollegen etwa in punkto Präsenzzeiten und belächeln Ältere als Computer-Analphabeten.
Zur Überwindung falscher Eindrücke und vorschnell gefällter Urteile gilt es, den Kontakt zwischen den Generationen zu fördern und beide Seiten zu Zugeständnissen zu bewegen. Dies ist Aufgabe der Führungsverantwortlichen. Gezielte gemeinsame Aufgaben und Projekte im Sinne des Unternehmens fördern Verständnis und Akzeptanz genauso wie gegenseitiges Lernen. Aber auch beim Kommunikationstil werden die Führungskräfte zwischen den Generationen vermitteln müssen, bis ein goldener Mittelweg gefunden ist: Ältere Mitarbeiter müssen sich vielfach erst noch mit Instant Messaging und SMS anfreunden, während die Generation Y lernen muss, mehr Zeit auf Gespräche von Angesicht zu Angesicht zu verwenden.
Zweifelsohne leiden manche Unternehmen gegenüber diesen neuen Kräften noch an Berührungsängsten. Doch es steckt ein hohes Potenzial für eine positive Veränderung der Berufswelt in dieser faszinierenden Generation. Vorausschauende Führungskräfte werden sicherlich keine Schwierigkeiten haben, sich auf ihre forschen jungen Mitarbeiter einzustellen. Die idealistischen Erwartungen der Generation Y werden stellenweise einen Dämpfer erleiden; die Unternehmensseite ihrerseits wird lernen müssen, kreativer zu denken, um die klugen jungen Köpfe zu motivieren und bei der Stange zu halten. So gesehen bietet die derzeitige Lage des Arbeitsmarktes möglicherweise beiden Seiten die beste Chance, einander kennenzulernen und den Anpassungsprozess in Gang zu setzen.
Die Autoren danken Verena Fussberger, Leadership Services Specialist im Hamburger Büro von Egon Zehnder und selbst eine Vertreterin der Generation Y, für ihren Beitrag zu diesem Artikel.
DIE AUTOREN
Leo J. Barth ist seit 2006 Berater im Münchener Büro von Egon Zehnder. Er leitet die deutschen Aktivitäten der Leadership Services Practice und berät Klienten bei der umfassenden Gestaltung der Führungskräftestrategie. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt bei Unternehmen der Industriegüterbranche.
Magnus Graf Lambsdorff war von 1995 bis Februar 2016 Berater bei Egon Zehnder. Er leitete mehrere Jahre lang die globale Leadership Strategy Services Practice der Firma und hat vor allem Unternehmen aus dem Hightech- und Telekommunikationssektor sowie den Bereichen Digital Economy und Private Equity beraten.
ILLUSTRATION: ANDREW BAKER