In insgesamt zwölf Videokonferenzen kommen die CFOs einhellig zu dem Schluss, dass auf das Management der Krise einschneidende Veränderungen von Strukturen und Prozessen folgen werden.
Wer die Finanzen eines Unternehmens verantwortet, hat in den vergangenen Wochen eine Achterbahnfahrt erlebt. Jeden Tag kamen in globalen virtuellen Krisensitzungen zahllose Themen auf, die es gleichzeitig zu behandeln galt. Die Pandemie konfrontiert die Wirtschaft mit einer finanziellen Krise bislang unbekannten Ausmaßes. „Selbst die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 haben uns nicht auf das vorbereitet, was nun auf die meisten von uns zukommt.“ Manche Führungskräfte empfinden die Situation nach eigenem Bekunden als positive Herausforderung und sind begeistert vom beispiellosen Teamgeist. Andere räumen ein, sich „stark gefordert und teilweise isoliert“ zu fühlen.
Prognosen als „Blick in die Kristallkugel“
Krisen sind per se weder planbar noch prognostizierbar. Pandemie-Experten können nicht einmal eine zweite oder gar dritte Infektionswelle ausschließen, die die Wirtschaft noch härter treffen würden. Aus diesem Grund erwartet die Mehrheit der CFOs vor 2022 keine vollständige Rückkehr zur Normalität. Das erschwert die Arbeit ungemein: „Wie sollen wir die Anforderungen an Planung und Bilanzierung erfüllen, ohne in die Kristallkugel zu schauen?“ Die meisten CFOs haben reagiert, indem sie auf Bottom-up-Planungsprozesse vorläufig verzichten. Sie stellen stärker auf eine Top-down-Planung um. Szenarioanalysen in zahlreichen Varianten werden erstellt und kontinuierlich überarbeitet.
Unterschiede in den Herangehensweisen
Einige CFOs nutzen die Situation, um ihre Bilanzen strategisch umzugestalten und für künftige Chancen zu stärken. Andere rechnen mit einer „schweren Rezession ohne vorhersehbare Erholung auf Vorkrisenniveau“. Sie setzen auf umfassende Contingency-Pläne und - Maßnahmen, um ihr Unternehmen auf das Worst-Case-Szenario vorzubereiten. „Idealerweise verfügen wir über einen Notfallplan – und dürfen ihn am Ende in der Schublade lassen.“ Wesentliche Fragen lauten: Wie lange können wir unser Unternehmen ohne weitere Einnahmen fortführen? Welche vertraglichen Verpflichtungen würden wir verletzen, wenn die Produktion für einen weiteren Monat stillsteht? Der Aufwand, den die Vorstände betreiben, ist gewaltig. Um im Ernstfall schnell handeln zu können, müssen die CFOs Freigaben einholen und sich mit allen Gremien und Anteilseignern intensiv abstimmen.
Jahresabschlüsse mit vielen Variablen und Unbekannten
Kopfzerbrechen bereitet den CFOs, wie sie das von ihnen erwartete Zahlenwerk stemmen sollen. Während Analysten und Kapitalmärkte pragmatisch reagieren und für das laufende Jahr kaum mit validen Prognosen rechnen, bleiben die Anforderungen der Wirtschaftsprüfer an den Jahresabschluss unverändert. In den Unternehmen variiert die Praxis von „wir verzichten vorerst auf Prognosen“ über „wir stellen alles unter Vorbehalt“ bis hin zu „wir übermitteln umfangreiche Daten auf Basis mehrerer denkbarer Szenarien.“
Anteilseigner mitnehmen
Fingerspitzengefühl verlangt der Umgang mit den Anteilseignern, die angesichts der Unsicherheiten nervös reagieren. „Regelmäßige Updates und fortwährende Kommunikation werden noch bedeutsamer, da es böse Überraschungen zu vermeiden gilt.“ Es ist wichtig, den Anteilseignern die möglichen Szenarien, die dahinterstehenden Annahmen und Wahrscheinlichkeitsbewertungen transparent darzulegen. Gut aufgestellt sehen sich die CFOs, die in den vergangenen Jahren in die Digitalisierung investiert haben. Sie können auf Echtzeitdaten in fortschrittlichen BI- und individuell bedienbaren Dashboards zurückgreifen.
Liquiditätssicherung als Kraftakt
Die Covid-19-Pandemie hat die Einnahmen, die Verbrauchernachfrage und die Zahlungsmoral einbrechen lassen. Das hat vermehrt zu Liquiditätsengpässen geführt und einige Unternehmen gezwungen, regelrechte Krisenteams und -räume für Liquiditätsmonitoring und - planung einzurichten. Darüber hinaus reagieren die Kapitalmärkte sensibel auf die Krise, sodass die Refinanzierung und die kurzfristige Beschaffung von Liquidität schwieriger geworden sind. „Währungen wie der US-Dollar sind angesichts der hohen Nachfrage über Nacht weniger verfügbar geworden.“
Für und Wider staatlicher Eingriffe
Deutsche Unternehmen genießen in puncto Liquidität einen Vorteil gegenüber Wettbewerbern in anderen Ländern – dank staatlicher Hilfen. „Die Bundesregierung hat in Europa eine Vorreiterrolle übernommen. Sie hat frühzeitig Unterstützungsmechanismen für die Industrie eingerichtet und knüpft dabei an Erfahrungen aus der Finanzkrise an.“ Die Maßnahmen reichen von der erweiterten Anwendbarkeit von KfW-Entwicklungskrediten über Subventionen und Steuererleichterungen bis hin zu groß angelegten Eigenkapitalbeteiligungen des Staates an einzelne Unternehmen. So sehr die CFOs das Engagement loben: Sie sehen auch Nachteile. So sind die Genehmigungsverfahren oft komplex und zeitaufwendig, und die Regulierung entwickelt sich rasant. Zudem könnte sich der staatliche Einfluss auf die Dividendenpolitik und die Bonussysteme auswirken. Es besteht auch ein potenzielles Risiko für den künftigen Wettbewerb.
Positiver Zwang zu Flexibilität
Einig sind sich die CFOs darin, dass die Covid-19-Krise die Digitalisierung beschleunigt. Die meisten physischen Hauptversammlungen etwa wurden verschoben oder abgesagt. Die digitalen Versionen erwiesen sich als ebenso aufschlussreich und manchmal einfacher zu handhaben. „Viele Prozesse konnten in kürzester Zeit digitalisiert werden. Das stellt langfristige IT-Projekte und entsprechende Budgets rückwirkend in Frage.“
Ähnliche Erfahrungen machen die Unternehmen mit der Arbeit im Homeoffice. Teilweise arbeiten mehr als 90 Prozent ihrer Angestellten mittlerweile zuhause. Und manche CFOs berichten von steigender Effizienz. Das wird eine massive Diskussion über flexiblere Arbeitsmethoden und das mobile Arbeiten auslösen. Ganze Standortkonzepte stehen infrage, inklusive der Nutzung von Büroimmobilien.
Doch ob Verbraucher oder Mitarbeiter: Covid-19 hat die Abhängigkeit jedes noch so fortschrittlichen Geschäftsmodells vom Faktor Mensch verdeutlicht. Die CFOs bezweifeln, dass sich Teamgeist, Arbeitsrhythmus und Motivation einer Belegschaft aus der Distanz vollumfänglich einstellen bzw. nach der akuten Krisensituation aufrecht erhalten lassen. Manager, die an Einzelgespräche und physische Teamsitzungen gewöhnt sind, werden ein erweitertes Instrumentarium benötigen.
Augenmaß bewahren
Bei allem Fokus auf das Hier und Jetzt der Krise behalten die CFOs die Zukunft im Blick. „So wenig vorhersehbar die Entwicklung auch ist, wir müssen an die strategische Zukunft des Unternehmens denken.“ Konkret heißt das unter anderem:
- Innovationsbereiche bleiben von Sparmaßnahmen verschont.
- Wesentliche Investitionen werden fortgeführt.
- Auswirkungen auf das Engagement der Mitarbeiter und das Employer-Branding werden durch transparente Kommunikation mit den Mitarbeitern begrenzt.
- Um Fachkräfte wird weiterhin geworben.
Prozesse überdenken
Darüber hinaus steht die Frage im Raum, wie sich die globalen Lieferketten künftig gestalten. Die Beziehungen zu den Lieferanten werden zu pflegen, teilweise aber auch zu überdenken sein. Unternehmen, die bislang zu bis zu zwei Dritteln von asiatischen Lieferanten abhängig sind, werden verstärkt auf regionale Beschaffung setzen. Unternehmen mit geringer eigener Wertschöpfungstiefe werden kritische Prozessschritte wieder verstärkt intern abwickeln. Beides kommt einer Umkehr der Managementstrategie der vergangenen Jahrzehnte gleich. Und nicht zuletzt dürfte es in einigen Branchen zu neuen Mindestkapital- und Liquiditätsanforderungen kommen, inklusive verpflichtenden Liquiditätsreserven.
Fazit
Welche Langzeitfolgen die Covid-19-Pandemie auch haben wird: Es steht fest, dass nur flexible, agile und schlanke Strukturen Unternehmen in die Lage versetzen, schnell auf Veränderungen und unvorhergesehene Umstände zu reagieren. Im Fokus stehen der Erhalt und die Steigerung des Leistungsvermögens der Finanzorganisation sowie der Ausbau notwendiger Führungsqualitäten.