Daniel Daeniker, Partner der renommierten Anwaltskanzlei Homburger, hat sich kürzlich mit der Thematik befasst, ob es nachteilig ist, wenn ein ehemaliger CEO eine Rolle im Verwaltungsrat (VR) seiner Firma übernimmt, vielleicht sogar Chair wird. Dabei redet er einer gelebten „Best Practice" das Wort – gegenüber einer buchstabengetreuen Auslegung internationaler Governance-Vorstellungen. Diese Sichtweise darf ergänzt werden. Dass Führungspersönlichkeiten eine Form der Governance brauchen, dürfte ausser Frage stehen. Wer sich keinen Grundsätzen verpflichtet weiss, steht in der Gefahr, sich über das Wohl des Unternehmens zu stellen. Die Frage ist, wie sehr Spitzenmanager einbezogen werden, wenn eine Unternehmung diese Governance erarbeitet.
Der Weg vom CEO zum Verwaltungsratspräsidenten bildete sich im Laufe der Geschichte heraus: In Familienunternehmen übergab der Senior das Geschäft an Familiennachkommen und nahm danach eine Aufsichts- und Steuerungsfunktion wahr. Das geschieht so bis heute. Es kann ein natürlicher Prozess sein, wenn der Ex-CEO in den Verwaltungsrat wechselt und Präsident wird. Doch dafür muss er bereit sein, die neue Position zu verkörpern – und mehr zu fragen als zu antworten.
Denn die Konstellation mit einem Ex-CEO als Präsidenten hat ihre Tücken: Ein zum Präsidenten aufgestiegener CEO wird wesentlich in die Kür der ihm als CEO nachfolgenden Person involviert sein. Auch ist das Verhältnis des Präsidenten zu den Geschäftsleitungsmitgliedern potenziell delikat für den neuen CEO. Ein permanent laufender Nachfolgeplan und -prozess ist vonnöten, der nicht nur Eignung und Temperament der Beteiligten einbezieht, sondern werteorientierte Verabredungen in Bezug auf sämtliche Rollenprofile in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat entwickelt.
Im Kern geht es damit um eine Nachfolgeplanung, die auf wenigen Maximen beruht:
- Besprechen Sie frühzeitig, ob ein Wechsel des CEO in den VR und in die Präsidenten-Rolle grundsätzlich erwogen werden soll, was dafür und was dagegen spricht.
- Definieren Sie Rollenprofile sowohl für den CEO als auch für den Präsidenten, führen Sie regelmässig kritische Diskussionen zu möglichen Kandidaten/-innen.
- Vereinbaren Sie Entwicklungsmassnahmen für alle am Prozess beteiligten Personen und verfolgen Sie deren Verhaltensveränderungen.
Die in der Schweiz entstandene Governance-Diskussion ist ein grosser Fortschritt. Dabei gilt es, Buchstaben und Geist zu unterscheiden. Keine Governance darf als Freibrief verstanden werden, professionell arbeitende Aufsichtsgremien, die im Einzelfall durchdachte Entscheidungen treffen, unter Generalverdacht zu stellen. Wesentlich ist ein Governance-Prozess, der den Namen verdient und Eigentümer und Stakeholder, auch die Öffentlichkeit, einbezieht. Die Herausforderung ist grösser als ein Für oder Wider zu den Buchstaben des Gesetzes oder der Best Practices und betrifft viele Themen, seien es Cooling-off-Perioden, Doppelmandate ebenso wie Amtszeitbeschränkungen oder die Forderung nach unabhängigen Verwaltungsräten. Es geht um das richtige Mass. Und wesentlich um die Auswahl der richtigen Personen in den passenden Konstellationen.
Eine Konstellation mit dem Ex-CEO im VR hat ihre Tücken.
„Governance Normen sind keine Freibriefe“, in der Schweizer Handelszeitung Nr. 37 vom 10.09.2020, Seite 23