Managerial Coaching ist stark im Kommen. Davon sind zumindest die Coachingexperten David Nitschke und Wolfhart Pentz überzeugt, die diesen Weg der coachenden Führung genauer untersucht haben. Ihre Prognose: In der Führungskräfteentwicklung wird künftig kein Weg daran vorbeiführen, die entsprechenden Coachingtechniken und -haltungen zu vermitteln.
Sie haben Ihre aktuelle Coaching-Studie, die Sie 2020 zum ersten Mal durchgeführt hatten, um einen großen Bereich erweitert: Managerial Coaching. Der Begriff wird im deutschsprachigen Raum eigentlich nicht verwendet. Hier spricht man eher von der „Führungskraft als Coach“. Warum dieser Begriff?
David Nitschke: Wenn wir von der Führungskraft als Coach oder der Coachingrolle einer Führungskraft sprechen, sind wir direkt mitten in der Diskussion, die seit Jahren geführt wird: Kann eine Führungskraft wirklich als Coach ihrer Mitarbeitenden agieren? Die akademische Welt sagt ganz klar „Nein“ – und denkt dabei an eine Führungskraft, die komplett in die Rolle eines professionellen Coachs schlüpft, also auch ihre Ergebnisverantwortung eine Zeit lang komplett vergisst und völlig ergebnisoffen in den Austausch mit ihren Mitarbeitenden geht. Personalentwickler und auch die Führungskräfte sagen dagegen eher „Ja, das geht und das ist sinnvoll“, wobei sie dabei oft lediglich die Nutzung einzelner Coachingtechniken durch Führungskräfte im Sinn haben. Letztlich wird in der Diskussion also viel aneinander vorbeigeredet, was wohl auch der Grund ist, dass sie bereits so lange und teils so emotional geführt wird.
Der Begriff des Managerial Coachings wird bislang fast ausschließlich im angelsächsischen Raum genutzt und bietet hierzulande ein unbelastetes Verständnis vom Einsatz von Coaching im Führungskontext, das zwischen diesen beiden Verständnissen liegt. Mit ihm lässt sich in der Diskussion eine neue Dimension einziehen – und zwar eine, die auch in der Praxis trägt. Denn Managerial Coaching bietet unserer Meinung nach einen sehr guten Weg, um Coachingkompetenz für Führung im besten Sinne des Wortes nutzbar zu machen.
Was genau wird unter Managerial Coaching verstanden?
Wolfhart Pentz: Der Begriff ist in der angelsächsischen Forschung seit Jahren etabliert. Wer es nachlesen möchte: Die jüngste mir bekannte Literaturübersicht stammt von Paul Lawrence aus dem Jahr 2017 (siehe Kasten „Mehr zum Thema“). Unser Verständnis ist an diese Tradition angelehnt. Managerial Coaching meint die situative Anwendung von Coaching- aber auch Führungstechniken durch Führungskräfte, die zur Selbstreflexion, zum Perspektivwechsel oder zum Neu- und Weiterdenken anregen und dies jeweils unterstützen. Dabei wird vor allem darauf abgezielt, die Ressourcen, die in den Mitarbeitenden liegen, zu aktivieren. Die Anwendung der Techniken erfolgt dabei aus typischen Coachinghaltungen heraus. Etwa der Überzeugung, dass jede Person ihr eigener Meister bzw. ihre eigene Expertin ist.
Wenn man es auf eine Führungsformel herunterbrechen will, könnte man sagen „Anwendung von Coachingtechniken respektive empowernde Führungstechniken“ plus „Coachinghaltung“ gleich „Managerial Coaching“. Der Fokus liegt beim Managerial Coaching auf dem Arbeitskontext. Private Themen, die im klassischen Business Coaching oft aufploppen und teils auch unvermeidbar sind, spielen dabei keine Rolle. Man könnte Managerial Coaching auch schlicht als einen empowernden Führungsstil bezeichnen.
Wie verbreitet ist Managerial Coaching Ihren Ergebnissen zufolge?
Nitschke: Zwei Drittel der von uns befragten Führungskräfte nutzen entsprechende Techniken „oft“ oder „gelegentlich“, knapp fünf Prozent nach eigenen Angaben sogar „immer“. Die dazugehörigen Coachinghaltungen nimmt die Mehrheit der Befragten nach eigenen Angaben „manchmal“ bis „oft“ ein. Grob gesagt, betreiben die meisten Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen Managerial Coaching.
Das sind erstaunlich viele.
Nitschke: Unsere Befragung ist nicht vollständig repräsentativ. Wir haben Führungskräfte aus dem Umfeld der Quadriga-Hochschule befragt, also solche, bei denen davon auszugehen ist, dass sie überdurchschnittlich weiterbildungsaffin sind, und die sich teils auch schon coachingspezifisch weitergebildet haben. Wahrscheinlich spielt auch der Faktor der sozialen Erwünschtheit eine Rolle bei der Antwortverteilung, also die Tendenz, bei Befragungen zu versuchen, sich so darzustellen, wie sich die Forschenden das vermeintlich wünschen.
Insbesondere bei den Coachinghaltungen, die schon sehr „wünschenswert“ klingen.
Pentz: Möglicherweise haben auch vor allem jene Menschen an der Befragung teilgenommen, die eine gewisse Affinität zum Thema haben. Hinzu kommt vielleicht ein weiterer verzerrender Faktor: der sogenannte Self-serving Bias, also die menschliche Tendenz, sich selbst immer etwas besser zu bewerten, als man eigentlich ist.
Also ist die Aussagekraft Ihrer Daten über die Verbreitung von Managerial Coaching eher gering.
Nitschke: Ich würde eher sagen, sie zeigen nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes. Gerade in größeren Unternehmen beobachten wir zunehmend eine Trennung der Führungsfunktion in Strategic Leads und People Leads. Die Strategic Leads konzentrieren sich auf die fachliche Führung, die People Leads auf die Begleitung der Menschen. Letztere Gruppe ist ziemlich coachingaffin, ihr Verhalten in puncto Managerial Coaching bilden wir unserer Meinung nach gut ab. Die genannten verzerrenden Effekte spielen sicher eine Rolle, wir sollten ihre Wirkung aber auch nicht überschätzen, gerade bei dieser im Schnitt sicher doch recht selbstreflektierten Teilnehmendengruppe. Zudem ist diese ziemlich groß. Mehr als 1.800 Personen haben an der Umfrage teilgenommen.
Im Juni und Juli 2021 hat die Quadriga Hochschule Berlin 1.837 Personen rund um das Thema Coaching befragt. 85 Prozent der Studienteilnehmenden war zum Befragungszeitpunkt in Führungsverantwortung. Von diesen gaben 34 Prozent an, eine Coachingausbildung absolviert zu haben. Die relativ meisten der Befragten, 27 Prozent, zählten sich zur „Unternehmensleitung“, fast ebenso viele arbeiteten im Personalbereich (25 Prozent) sowie im Marketing & Vertrieb (24 Prozent). Die Studie ist die wahrscheinlich erste im deutschsprachigen Raum, in deren Rahmen explizit das Thema „Managerial Coaching“ untersucht wurde.
Quelle: www.managerseminare.de; Quadriga Hochschule Berlin
Welche Techniken respektive Vorgehensweisen, die unter dem Begriff Managerial Coaching subsumiert werden, werden am meisten genutzt?
Nitschke: Vorne dabei ist das Ausdrücken von Zuversicht, dass sich die Mitarbeitenden verbessern und entwickeln können, damit verbunden die Ermutigung, sich kontinuierlich zu entwickeln und zu verbessern, oder auch der Führungsklassiker des konstruktiven Feedbacks. Allerdings ragt keine der Techniken wirklich heraus, viele werden sehr oft und ähnlich oft angewendet. Was eben daran liegt, dass diese Techniken an bestimmte Haltungen geknüpft sind. Wer als Führungskraft davon überzeugt ist, dass alle Mitarbeitenden sich entwickeln und wachsen können, wer sie als „ihre eigenen Expertinnen und Meister“ anerkennt, wer also Coachinghaltungen internalisiert hat, entwickelt auch ein Bewusstsein dafür, wann es angemessen ist, mit diesen Techniken zu arbeiten. Denn die meisten von ihnen sind dann letztlich naheliegend.
Das heißt aber nicht, dass sie banal sind. Gerade dass sie oft so einfach scheinen, macht sie teilweise tückisch – weil bei ihrer Anwendung dann leicht die Fallstricke übersehen werden. So kann etwa intendierte Ermutigung je nach Kontext und Art und Weise der Formulierung das Gegenteil bewirken: Demotivation und Selbstzweifel. Auch Feedback, so konstruktiv es auch gedacht und so gut es gemeint ist, kann leicht nach hinten losgehen und Reaktanz erzeugen.
Offene Fragen besitzen ein enormes Potenzial in der Führung: Sie können eingefahrenes Denken wieder in Bewegung bringen, neue Denkräume öffnen, jemanden auf ganz andere Ideen bringen und so zu wirklich kreativen Lösungen führen.
Dr. Wolfhart Pentz, Professor für Führung und Personalentwicklung
Welche der Techniken hat Ihrer Meinung nach das größte Potenzial für Führung?
Pentz: Jede dieser Techniken kann je nach Kontext einen großen Unterschied machen. Wenn ich aber eine herausgreifen soll, dann das Stellen offener Fragen. Der Zauber und die kreative Kraft von Fragen ist in der Führung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Und offene Fragen besitzen einen besonderen Zauber und eine besondere Kraft. Sie können eingefahrenes Denken wieder in Bewegung bringen, neue Denkräume öffnen, jemanden auf ganz andere Ideen bringen und so zu wirklich kreativen Lösungen führen.
Ein gutes Beispiel ist die einfache Frage „Was noch?“. Bei der gemeinsamen Lösungssuche oder Planung kommen immer erst die offensichtlichen und die naheliegenden Möglichkeiten und Wege auf den Tisch. Damit geben wir uns dann meistens auch zufrieden. Dabei kommt das eigentlich Interessante und Spannende in der Regel erst, wenn wir unsere ersten Gedanken hinter uns lassen, wenn wir wirklich nachdenken und im wahrsten Sinne des Wortes neu denken. Mit der Frage „Was noch?“ kann die Führungskraft diese Art des tieferen Weiterdenkens anregen.
Eine Chance haben die so entstehenden neuen Gedanken allerdings nur, wenn es der Führungskraft gelingt, wirklich offen in den Diskurs zu gehen, ohne bereits eine präferierte Lösung im Hinterkopf zu haben. Oder zumindest müsste es ihr gelingen, diese Präferenz zeitweise zu parken. Das heißt aber auch: Nicht jede Situation eignet sich für offene Fragen. Wenn die Antwort bereits feststeht, wären offene Fragen eine Täuschung.
Wie kann das gelingen?
Pentz: Der Schlüssel ist auch hier wieder die Haltung, genauer gesagt eben coachingtypische Haltungen. Wer an das Potenzial des Gegenübers glaubt und mit einer – man könnte sagen – konstruktiven Demut in Diskurse geht, im Sinne eines inneren Eingeständnisses, dass die eigenen Ideen und Lösungen nicht immer die besten sind, öffnet im Austausch automatisch seinen Geist. Auf diese Weise eröffnet man sich die Chance, sich immer wieder positiv überraschen zu lassen, immer wieder neue Möglichkeiten und Wege zu erfahren.
Solche Erfahrungen stärken wiederum die Neugier auf Gedanken anderer Menschen, die uns noch offener werden lässt, wodurch wir noch mehr positive Überraschungen erleben und so weiter. Ein Engelskreis aus Neugier und positiven Überraschungen entsteht, der sich selbst immer weiter verstärkt. Gleichzeitig kommt es wahrscheinlich zu Spillover-Effekten, die weiterentwickelte Offenheit und Neugier wird nicht nur im Führungsdiskurs gelebt, sondern überträgt sich auch auf andere Situationen und Kontexte.
Es kommt einem dann etwa viel eher in den Sinn, immer wieder einmal bewusst die Perspektive zu verändern: Bis jetzt haben wir das Thema immer aus dieser unserer Ecke heraus betrachtet. Wie stellt es sich dar, wenn wir es einmal von oben, sozusagen vom Balkon aus betrachten? Oder eben durch die Augen eines anderen Menschen. Ein Vorgehen, das für den Umgang mit zunehmend komplexeren Umwelten und Realitäten enorm wertvoll sein kann.
Leider lassen sich die eigenen Haltungen aber nicht per Kopfdruck ändern.
Nitschke: Nein, aber diese spezifischen Haltungen lassen sich gezielt fördern und entwickeln – am besten unserer Meinung nach im Rahmen einer Coachingausbildung. Mehr als ein Drittel der von uns befragten Führungskräfte haben eine solche absolviert, viele natürlich bei uns an der Quadriga Hochschule. Diese wenden die Techniken des Managerial Coachings laut unseren Ergebnissen übrigens deutlich häufiger an als jene, die keine entsprechende Ausbildung absolviert haben, und es fällt ihnen zudem signifikant leichter. Das klingt nach No-brainer, freut uns aber, weil es für uns einen Wirksamkeitsnachweis darstellt.
„Der Einsatz von Coachingtechniken in der Führung besitzt so viel Potenzial, dass wir es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, diese Techniken und die dazugehörigen Haltungen im Rahmen der Führungskräfteentwicklung nicht zu trainieren und zu vermitteln.“
David Nitschke, Coachingexperte
Blicken wir abschließend voraus: Wie wird sich Managerial Coaching entwickeln?
Nitschke: Eine Entwicklung aufzeigen können wir mit unserer Studie nicht, da wir keine Vergleichszahlen für den deutschsprachigen Raum haben. Unseres Wissens ist unsere Studie hierzulande die erste, in der Managerial Coaching explizit in den Blick genommen wurde. Trotzdem sind wir sehr sicher, dass die Bedeutung von Managerial Coaching, oder allgemeiner gesagt von Coaching für die Führung, deutlich zunehmen wird. Dafür spricht etwa die nachgewiesen steigende Verbreitung im angelsächsischen Raum. Oft holen wir hierzulande die dortigen Entwicklungen in den Bereichen Coaching und Führung mit etwas Verzögerung nach.
Einen weiteren Hinweis in diese Richtung liefert die Teilnehmenden-Zusammensetzung bei unserer Coachingausbildung. Der Anteil der Führungskräfte, die keine Selbstständigkeit als Coach anstreben, sondern in ihrer Position bleiben wollen, wächst kontinuierlich, mittlerweile liegt er bei etwa 80 Prozent. Hinzu kommt: Der Einsatz von Coachingtechniken in der Führung besitzt nicht nur mit Blick auf die Entwicklung von Mitarbeitenden, sondern auch mit Blick auf die Entstehung von Motivation so viel Potenzial, dass wir es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, sie im Rahmen der Führungskräfteentwicklung nicht zu vermitteln und zu trainieren.
Das müssen Sie genauer erläutern.
Nitschke: Zwei zentrale Faktoren für das Entstehen von Motivation für eine bestimmte Handlung sind die Grundbedürfnisse nach Autonomie und Mastery, also Kompetenz. Je stärker diese erfüllt sind, desto höher die Motivation. Und auf beide zahlt ein coachingorientierter Führungsstil ein. Denn Coaching schreibt nie vor, sondern lässt immer einen eigenen Denk- und Handlungsraum. Gleichzeitig fokussiert es besonders die Entwicklung des persönlichen Potenzials einer Person. Entsprechend ausgerichtete Führung, eben Managerial Coaching, öffnet sozusagen den Raum zur persönlichen Weiterentwicklung, es gewährt Autonomie für die eigene Mastery – und kann so die Motivation erheblich fördern.
Pentz: Damit sind wir übrigens bei der Selbstbestimmungstheorie von Richard Ryan und Edward Deci, die seit vielen Jahren stark beforscht wird. Ein wesentlicher Teil dieser Theorie besagt, dass Autonomie und Mastery zentrale Grundbedürfnisse sind, deren Befriedigung Voraussetzung für Wohlbefinden und Entwicklung von Menschen ist. Ein drittes von Ryan und Deci identifiziertes Grundbedürfnis ist das nach Zugehörigkeit. Auch dieses wird durch Führung, die Coachingtechniken aus Coachinghaltungen heraus anwendet, adressiert, allein schon durch Zuhören, ernst nehmen, Raum geben. Managerial Coaching trägt damit zur Befriedigung von Grundbedürfnissen bei und fördert dadurch Wohlbefinden und Wachstum.
Das Interview führte Andree Martens, stellv. Chefredakteur managerSeminare.
Themengebiete in diesem Artikel
Preview
Unbelastetes Verständnis: Warum der Begriff des Managerial Coaching einen Ausweg aus der festgefahrenen Diskussion über die „Führungskraft als Coach“ bietet
Coachingaffine People Leads: In welchem Führungsbereich Managerial Coachings bereits sehr verbreitet ist
Ermutigung zur Entwicklung: Welche Haltungen und Techniken unter dem Begriff des Managerial Coachings subsumiert werden
Engelskreis der Neugier: Warum offene Fragen für Führung ein enormes Potenzial besitzen
Motivationale Kraft: Warum in der Führungskräfteentwicklung kein Weg an der Vermittlung und dem Training von Coachinghaltungen und -techniken vorbeiführt