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Individuelle Weiterentwicklung

Innere Meisterschaft

Malaika Mihambo
Olympiasiegerin und Weltmeisterin

Malaika Mihambo ist eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen. Im Weitsprung wurde sie 2019 und 2022 Weltmeisterin und 2021 Olympiasiegerin. Die Heidelbergerin bringt auch als Politik- und Umweltwissenschaftlerin, als Musikerin und bei ihrem sozialen Engagement Höchstleistungen. Was die 29-Jährige antreibt und warum der Schlüssel zu Engagement und Erfolg aus ihrer Sicht in mehr Achtsamkeit liegt, darüber hat Mihambo als Ehrengast der diesjährigen „Stuttgarter Gespräche“ gesprochen, die Egon Zehnder zum 17. Mal ausgerichtet hat.

„Als ich am 3. August 2021 in Tokio zum sechsten Sprungversuch an der Anlaufmarke stand – der letzte Versuch, die Bronzemedaille schon sicher, das Olympiastadion wegen Corona fast leer – da war das für mich ein Moment der Freiheit. Ich dachte mir: Wenn es das jetzt gewesen sein soll, dann bin ich trotzdem glücklich. Was ich erreichen wollte, das hatte ich geschafft: besser zu sein als der vierte Platz bei den letzten Olympischen Spielen.

Es war eine Situation, in der man für einen Moment innehält, gar nicht unbedingt mehr will. Das hat das Freiheitsgefühl ausgemacht: Ich konnte nur noch gewinnen, egal was passiert. Und auf genau diese Chance habe ich mich dann einfach gefreut. Dieses Gefühl der Freiheit und dieses positive Denken brachten das letzte bisschen Motivation, das nötig war, um an diesem Tag die Goldmedaille zu holen.

Als Sportlerin ist ein positives Framing meiner eigenen Gedanken enorm wichtig. Ich trainiere das ganze Jahr über Meditationstechniken. Sie helfen mir, zu bemerken: Ah, ich bin nervös. Der Atem ist zu schnell, er ist zu flach. Dann bin ich nicht in der richtigen Ausgangslage, um Höchstleistungen zu bringen. Wenn ich ruhig atme, werden auch die Gedanken ruhig. Wenn ich entspannt bin, entsteht dieser innere Raum, in dem man im Flow ist. Das wollen alle Sportler:innen erreichen. Oder alle Menschen, die Höchstleistungen bringen möchten.

Dazu muss ich mich aber zuerst einer Gedankenreflexion stellen. Was fühle ich? Was macht mir Angst? Was macht mir Druck? Was sind meine Träume? Bin ich schon der Mensch, der ich sein will? Ich muss mich aktiv mit meinen Zielen und tiefsten Ängsten auseinandersetzen, die vielleicht auch abseits des Sportplatzes liegen. Nur dann kann ich frei sein, wenn ich auf der Bahn stehe. Dann kann ich mich voll auf das konzentrieren, was ich erreichen möchte. Oder auch loslassen nach einem schlechten Sprung und mir sagen: Gut, das ist nicht so gelaufen, wie ich mir das gewünscht habe, aber jetzt geht es weiter. Ich habe noch eine Chance, und die will ich nutzen.

Ich bin davon überzeugt, dass eine solche innere Haltung, eine solche Reflexion, für alle Menschen wichtig ist. Nicht nur im Sport, auch im Beruf. Zum Beispiel, um sich selbst aus dem Alltagsstress herauszuholen. Oder um in einer Drucksituation einen klaren Kopf zu bekommen. Denn wenn ich meine Ziele und Ängste kenne, wenn ich auf mich selbst vertrauen kann, gibt das unheimlich viel Selbstvertrauen und Stärke. Ich merke, dass mir äußerer Druck dann sogar hilft. So, dass ich noch einmal mehr auf den Punkt sein kann.

Vor meinem großen Erfolg, dem Olympia-Sieg, hatte ich keine gute Saison gehabt. Ich glaube, das Gefühl kennt jede:r aus dem eigenen Privat- oder Arbeitsleben: Man hat das Potenzial, kann es aber irgendwie nicht abrufen. Man verschenkt mal 20 Zentimeter hier, mal 30 Zentimeter dort, der Anlauf ist nicht ganz stabil, die Sprinttechnik nicht ideal, man findet nicht mehr in den Rhythmus. Die Weiten reichen nicht zum Sieg, ein Wettbewerb kann sich wie reines Glücksspiel anfühlen.

Das ist eine Situation, die sehr unzufrieden macht. Wenn sie sich über Monate hinzieht, kratzt das am Selbstwertgefühl, man bekommt Zweifel, stellt sich die grundsätzliche Frage: Kann ich das überhaupt noch? Lange war mir nicht klar, was los ist und was ich anders machen muss. Ohne einen Ansatzpunkt für das technische Problem setzte mir der große äußere Erwartungsdruck in der Vorbereitung auf Olympia 2021 noch weiter zu. Aber auch die Zeit nach einem Wettkampf mit einem großen Erfolg kann schwierig sein. Man hat sich jahrelang jeden Tag diesem einen Ziel gewidmet, und auf einmal ist alles vorbei. Man ist vielleicht glücklich oder vielleicht auch traurig, aber vor allem ist die ganze Energie verpufft. Man realisiert, wie anstrengend der Weg dorthin gewesen ist.

Eigentlich braucht man nun Zeit, um sich wieder zu sammeln. Ich dagegen habe mich stattdessen wieder auf den Platz gepeitscht, das Training und die Wettkämpfe durchgezogen. Ein zweites Mal würde ich das so nicht machen. Wenn man merkt, dass man eine Pause braucht, dann sollte man sie sich auch nehmen. Nur dann kommt man wieder zu Kräften und kann aufs Neue Vollgas geben. So verstehe ich Achtsamkeit, auf sich und seine Bedürfnisse zu achten, damit man eine gute Balance zwischen Höchstleistung und Entspannung, Arbeit und Freizeit findet.

Es wird meiner und der jüngeren Generation allgemein ja heute gelegentlich vorgeworfen, dass es uns an Leistungsbereitschaft fehle. Ich denke, hinter den Veränderungen, die wir beobachten, steckt etwas anderes. Die jüngere Generation, die mit so vielen Möglichkeiten aufgewachsen ist, fragt sich einfach stärker: Was will ich in meinem Leben haben und was nicht? Wie viel brauche ich eigentlich, um glücklich zu sein? Was treibt mich an?

Mir persönlich ist zum Beispiel wichtig, dass ich auch abseits des Sportplatzes viele Interessen habe, dass ich mich auch in anderen Gebieten fordere und fördere, zum Beispiel in meinem Studium. Wie viele Menschen meiner Generation sehe ich mich eher nicht in einem regulären Nine-to-five-Job, wo ich mich nur einer einzigen Aufgabe widme, in der ich am Ende vielleicht noch nicht einmal Sinn finden kann. Aber ich kann mir vorstellen, dafür mehrere Projekte parallel mit vollem Elan anzugehen.

Mich treibt schon lange nicht mehr allein der Wunsch an, noch mehr Medaillen zu gewinnen. Natürlich ist eine Medaille schön: Gewinnen ist besser als verlieren, keine Frage! Mein großer Traum war es aber, bei Olympia teilnehmen zu dürfen. Dieser Traum hat sich für mich schon mit 22 Jahren erfüllt. Und wenn das passiert, dann merkt man: So einen Traum ersetzt man nicht so einfach. Noch eine Medaille mehr, noch ein Rekord. Ich kann mir zwar solche Ziele setzen, aber sie inspirieren mich nicht dazu, jeden Tag aufzustehen und 100 Prozent zu geben.

Mein Ziel ist deshalb seither ein anderes: innere Meisterschaft. Ich möchte die beste Version meiner selbst sein. Ich meditiere. Ich spiele Klavier. Ich reise durch die Welt, allein, mit einem Rucksack, einfach frei in die Welt hinein. Ich engagiere mich sozial mit meinem Verein Malaikas Herzsprung, mit dem ich auch andere Menschen inspirieren möchte.

Das alles tue ich nicht, weil ich irgendeinem Optimierungswahn verfallen wäre oder als Influencerin im Rampenlicht stehen wollte – auch das wirft man Menschen meiner Generation ja gerne vor. Ich tue es, weil ich glücklich und zufrieden sein möchte. Ich will mich frei machen, mich entfalten. Dabei hilft es mir, die Perspektive von anderen in mein Handeln und Fühlen einzubeziehen, nicht nur meine eigenen Leistungen in den Blick zu nehmen. Weil ich aus meinem Leben herausholen will, was für mich Sinn macht.

Der Leistungssport zeigt einem ganz deutlich: Du kannst nur ein:e Top-Athlet:in sein und echte Höchstleistungen erbringen, wenn du auch ein glücklicher Mensch bist. Wenn du dich frei und selbstbewusst fühlst, wenn du damit für dich einen Raum öffnest, in dem du deine Stärken nutzen und in einen guten Flow kommen kannst. Dann treibt dich irgendwann einfach die Neugier: Wie weit kann ich noch springen?“

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