Was ist das richtige Maß guter Führung? Eine Frage, die sich viele Führungspersönlichkeiten stellen – kann doch eine Stärke auch zum Schwachpunkt werden, wenn sie dominiert. Tilman Gerhardt und Wolfhart Pentz erläutern im Harvard Business manager, wie mithilfe des Leadership-Balance-Konzeptes von Egon Zehnder die eigene Führung verbessert werden kann – ohne dabei eine 180-Grad-Wende vollziehen zu müssen.
Der Alltag von Führungspersönlichkeiten liefert häufig Situationen, um aus dem Gleichgewicht zu geraten. Aber ist es überhaupt erstrebenswert, stets um Ausgleich bedacht zu sein? Nein – vielmehr gehe es laut Gerhardt und Pentz „um das bewusste Einsetzen von Verhaltensweisen, je nachdem, was die Situation erfordert.“ Flexibilität führe zum Gleichgewicht. Gerade Führungspersönlichkeiten sollten keinesfalls immer „moderat“ agieren, betonen die Experten. Gut ausbalancierte Führung bedeutet: Härte zeigen, wenn es erforderlich ist – aber nicht um der Härte willen.
Das Leadership-Balance-Konzept von Egon Zehnder soll Führungspersönlichkeiten dabei unterstützen, einzelne ihrer Verhaltensweisen besser einzuschätzen und gezielt einzusetzen. Das Instrument wurde auf Basis einer Auswertung von 1.000 Appraisal-Berichten entwickelt, die umfangreiche Analysen der Stärken und Schwächen von möglichen Jobkandidat:innen – samt Entwicklungsempfehlungen – beinhalten. Dabei stießen die Autoren auf 13 Verhaltensmerkmale, die in fast allen Berichten auftauchten. Dazu zählen etwa Vorantreiben, offene Reflexion, Überzeugen durch Logik, Einsetzen von Empathie, Delegieren, Ausdrücken von Ehrgeiz und ganzheitliches Denken.
Die Autoren betonen, dass sich jede Führungspersönlichkeit in jedem Aspekt ihres Führungsverhaltens weiterentwickeln kann – aber das bedeute harte Arbeit. Der erste Schritt beginne bei sich selbst, so Gerhardt und Pentz: „Sich der eigenen Verhaltensweisen bewusst zu werden, ist immer der erste Schritt. Die Reise beginnt mit einer regelmäßigen Betrachtung des Führungsverhaltens durch Selbstreflexion und durch Feedback von anderen“.
Mithilfe gezielter Strategien, u. a. zur Selbstbeurteilung und Reflexion, Achtsamkeit und der Bewusstwerdung der eigenen Ziele, werden die Verhaltensweisen ausbalanciert, ohne dass dabei starke Präferenzen ad acta gelegt werden müssen – wovon gerade Führungspersönlichkeiten mit markanten Verhaltensprofilen profitieren: Anstatt typisches, kritisches Verhalten zu vermeiden, sollen nach diesem Ansatz ergänzende Fähigkeiten ausgebaut werden, die den übertriebenen Stärken entgegenwirken.
Tilman Gerhardt und Wolfhart: „Kennen Sie Ihre Wirkung?“, in: Harvard Business manager, April 2025, S. 57–65