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Verschiedene Arbeitsmodelle zusammenführen

Der Bienenstock:
Ausbalancieren der Hybridkultur

Die Pandemie hat in den vergangenen Monaten eine neue Trennlinie geschaffen. Sie verläuft nicht zwischen einzelnen Abteilungen oder Niederlassungen. Quer durch alle Teams trennt sie die Arbeitsbereiche Homeoffice und Büropräsenz. Wer heute eine gesunde Arbeitskultur gestalten möchte, verhindert, dass aus dieser Linie eine Sollbruchstelle und schließlich ein Riss entsteht. Vielmehr gilt es jetzt, das Schöpferische in diesem scheinbaren Widerspruch zu entdecken.

Dass sich Homeoffice und Büropräsenz als dauerhafte Arbeitsformen etablieren und auch nach dem Abklingen der Pandemie bestehen bleiben werden, ist von Unternehmen, Politik und Arbeitnehmervertretungen inzwischen hinreichend anerkannt und akzeptiert. Viele Unternehmen etablieren aktuell Betriebsvereinbarungen, um auch zukünftig mehr flexibles Arbeiten zu ermöglichen und zu regeln. Ein Anteil von 50 – 60 Prozent der Arbeit im Verwaltungsbereich könnte künftig flexibel zwischen Homeoffice und Büropräsenz verrichtet werden, so halten es einige CHROs für denkbar. Dafür müssen Regeln gefunden werden, wie diese Flexibilität auch mit einer Innovation der Arbeitsweisen im produzierenden Umfeld einhergeht. Dies sei nicht zuletzt wichtig, um eine Form sozialer Gerechtigkeit zu wahren, sagte uns ein CHRO. Während Wissensarbeit sehr gut mit der Arbeit im Homeoffice harmoniert, lassen sich viele Aufgaben im produzierenden Gewerbe oder im Logistikbereich hingegen auch weiterhin nicht allein vom heimischen PC aus steuern. Aber nicht nur das Arbeitsfeld, auch die jeweilige Persönlichkeit und Umstände können bestimmen, wer welches Arbeitsmodell favorisiert. Ein langer Arbeitsweg spricht meist für Homeoffice. Menschen, die kreativen oder direkten Austausch mit Mitarbeitenden suchen, nehmen diesen womöglich dennoch auf sich.

Idealerweise kann das Unternehmen auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden eingehen. Wichtig ist hierbei, dass die Regeln nicht zu starr gefasst werden, sondern die konkrete Ausgestaltung den einzelnen Teams und Führungskräften überlassen wird. Dies delegiert zwar eine erhebliche Verantwortung in die einzelnen Bereiche, ermöglicht aber mehr Flexibilität. Ein CHRO berichtete, dass in seinem Unternehmen durch diese Möglichkeit der individuellen Regelung im Team die vom Führungsteam vorgegebenen Richtlinien zum flexiblen Arbeiten auf das Wesentliche beschränkt werden konnten. So sollen die Mitarbeitenden in der Regel jeweils zwei bis drei Tage im Büro sein, die sie sich selbst einteilen können. Zusätzlich werden wichtige Teamevents und Projektphasen, bei denen eine Anwesenheit vor Ort erforderlich ist, in einem Jahreskalender festgehalten. Dieser ist allen zugänglich, sodass alle Mitarbeitenden diese Zeiten fest einplanen können. In Zeiten des Lockdowns sind diese Regeln selbstverständlich flexibler. So ist auch eine rein virtuelle Zusammenarbeit aus dem Homeoffice möglich, und auch gemeinschaftliche Events finden in einem digitalen Raum statt. 

Implikationen für Führungskräfte

Führungskräfte, die nun ihre digital arbeitenden Teams moderieren müssen, erleben nicht selten eine steile Lernkurve. An die Stelle von Zeiterfassung tritt jetzt Vertrauen. Der regelmäßige direkte Kontakt und die physische „Kontrolle“ werden durch Empathie und Einfühlungsvermögen ergänzt. Die Fähigkeiten zu motivieren, zu inspirieren und Humor einzusetzen werden gerade angesichts digitaler Zusammenarbeit entscheidend. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit zu spüren, wann virtuelle Zusammenarbeit funktioniert und wann Begegnungen in persona unerlässlich sind, wie eine CHRO betonte. Für sie würden bestimmte Führungsqualitäten heute immer wichtiger: Empathie, Vertrauen, Zusammenarbeit und die Fähigkeit zu motivieren.

Eine Hybrid-Kultur bedeutet, unterschiedliche Arbeitsweisen innerhalb von Teams aber auch unterschiedliche Arbeitsweisen in verschiedenen Unternehmensbereichen zuzulassen und zu ermöglichen. Ein hohes Maß an Transparenz und hohe Kommunikationsbereitschaft seitens der Führungskräfte und des Top-Managements sind wichtig, um die unterschiedlichen Praktiken im Unternehmen und in den Köpfen der Mitarbeitenden zu verankern.

Die Einführung neuer Management-Praktiken sollte durch entsprechende Prozesse und Intensivierungen unterstützt werden wie z. B. Feedback-Prozesse oder Vergütungselemente, die an kulturfördernde Verhaltensweisen geknüpft sind. Den Führungskräften sind von HR-Seite entsprechende Methoden und Werkzeuge an die Hand zu geben. Gleichzeitig, so bestätigen HR-Führungskräfte, gilt es, die Führungskompetenz der Top-Manager*innen zu eruieren, denn nicht jede oder jeder ist für die „Neue Welt“ geeignet bzw. schafft es, sich an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen.  

Implikationen für die räumliche Gestaltung

Die Balance von Homeoffice und Büropräsenz erfordert nicht allein neue Führungsqualitäten, sondern auch andere Räume bzw. eine neue Arbeitsorganisation. Es zeichnet sich ab, dass Office Space langfristig um 30 – 40 Prozent reduziert wird. Ob Büroflächen abgebaut werden, ist stark vom Kontext des jeweiligen Unternehmens abhängig. Fest steht: Die Gestaltung der Büroräume wird sich ändern. Flexibles Arbeiten, angemessene Meetingräume für kreativen Austausch und Technik für Telefon- und Videokonferenzen von guter Qualität sowie Software zum digitalen, kollaborativen und gleichzeitigen Arbeiten an gemeinsamen Ergebnissen verbreiten sich rasant. Sie sind Teil der neuen Normalität. 

Das Büro entwickelt sich bildlich gesprochen zu einem Bienenstock: Manche Bienen sind immer oder oft im Stock. Viele sind auch draußen unterwegs, bringen Nektar und Pollen. Unentbehrlich für das Gedeihen des Bienenvolkes sind sie alle. In der aktuellen Situation ist es also wichtig, sowohl Raum für die verschiedenen Arbeitsmodelle als auch für den kollegialen Austausch unter den Mitarbeitenden zu schaffen. Dann ergänzen sich Homeoffice und Präsenzarbeit und schaffen Innovationskraft, Motivation und Flexibilität.

Essenziell: Die richtige Balance

Die Hybridkultur stellt ganz neue Anforderungen an die Arbeitsorganisation, die Befähigung von Mitarbeitenden und Führungskräften, die vermehrt als Coach agieren müssen und damit auch an die HR-Arbeit und -Prozesse. Die Präsenzzeit der Mitarbeitenden muss aktiv genutzt werden – es muss klar sein, wieso Präsenz wertstiftend ist und sich eine Anfahrt ins Büro „lohnt“, denn reine Informationsweitergabe kann auch digital erfolgen. Diese Veränderungen zu verfolgen und an den großen Stellschrauben zu drehen, kann keine falsche Entscheidung sein, denn unsere hybride Arbeitswelt wird die Pandemie überdauern. Für diese Einschätzung sprechen auch verschiedene aktuelle Ereignisse, die erwarten lassen, dass auch der Gesetzgeber die hybride Arbeitswelt zunehmend als Realität anerkennen wird und entsprechende Gesetzesnovellen folgen werden. Unternehmerischer Kulturwandel sollte folglich Zielszenarien verfolgen, die ebenso langfristig aufgestellt sind wie die Strategien und Maßnahmen, um sie zu erreichen.

Wie genau sich die Ansprüche von Homeoffice, Büropräsenz oder der Mischform aus beiden Arbeitsmodellen ausbalancieren lassen, ist vom jeweiligen Unternehmen abhängig. Fest steht: Auch wenn eine Arbeitsform das Unternehmen dominiert, der Bienenstock-Trend wird Auswirkungen haben. Und das ist keinesfalls etwas Negatives. Imker sprechen übrigens selten von „den Bienen“, sondern nennen ihren Schwarm „den Bien“, weil dieser Fähigkeiten an den Tag legt, die weit über das hinausgehen, was eine einzelne Biene leisten kann. Richtig ausbalanciert sind unterschiedliche Arbeitsmodelle innerhalb eines Unternehmens keine Gefahr, sondern eine Chance für Zusammengehörigkeit, Effektivität und Anpassungsfähigkeit.

 

Antje Staffa, Global Human Resources bei Mast-Jägermeister SE, über die Anforderungen, die aus hybrider Arbeit resultieren: „Neue hybride Arbeitsmodelle sind die Zukunft. Sie schaffen einen Mehrwert für die Mitarbeitenden und das Unternehmen und ermöglichen Flexibilität und neue Erfahrungen in unserem Berufsleben. Unterstützt werden müssen daher unsere Mitarbeitenden und Teams bei der Bedienung neuer Tools, Kollaboration, Ausbildung digitaler Fähigkeiten und dem Aufbau flexibler Teamarbeit. Nicht zuletzt hilft uns das, den Zusammenhalt innerhalb unserer Teams und mit unseren Zielkund*innen zu stärken.“

Christian Sattlecker, Group Human Resources Director bei Kelvion, über marktwirtschaftliche Veränderungen durch Covid-19: „Die Märkte verändern sich und werden in manchen Fällen wie im Reise-, Öl- oder Gas-Sektor nach der Pandemie nicht ihrem Ursprungszustand gleichen. Wir müssen also mindestens teilweise unsere Geschäftsmodelle überdenken. Durch die Erfahrungen im letzten Jahr sind viele Mitarbeitenden flexibler geworden, und die Offenheit für Veränderungen ist gestiegen. Das hilft uns jetzt in unseren Veränderungsprozessen. Allerdings müssen wir einen starken Fokus darauf legen, bei aller Veränderung ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben und Talenten eine klare Perspektive aufzuzeigen.“

Bettina Karsch, Director Human Resources Europe bei Vodafone, über die Auswirkungen hybrider Arbeitsmodelle auf Leadership: „Bestimmte Führungsqualitäten werden in einem Remote-Arbeitskontext noch wichtiger: Einfühlungsvermögen, Vertrauen, Zusammenarbeit, Beziehungsaufbau, aber auch die Fähigkeit, andere durch eine überzeugende Vision zu führen und zu motivieren.“

Iris Prüfer, seit dem 01.02.2021 Chief Human Resources Officer & Executive Vice President bei Media-Saturn-Holding, über eine Auswahl von Eckpfeilern hybrider Arbeitskultur in ihrem früheren Unternehmen, Tengelmann Twenty-One KG: „Wir erwarten von den Mitarbeitenden zwei bis drei Präsenztage pro Woche und ermöglichen in der restlichen Woche mobiles Arbeiten. Monatlich sollten die Kolleginnen und Kollegen mindestens zehn Tage im Projektoffice sein. Auch bei wichtigen Meetings, Netzwerkveranstaltungen, Workshops oder Schulungen setzen wir auf persönliche Anwesenheit.“

Silvia Schwark, Vice President Human Resources bei Vesuvius, über die verschiedenen Reaktionsphasen ihres Unternehmens während der Pandemie: „Wir kümmerten uns zunächst um unsere Angestellten, sorgten für Sicherheit und eine fortlaufende Produktion. Dann ermöglichten wir das Arbeiten von zu Hause aus und auch das virtuelle Messen individueller Leistungen sowie Weiterbildungen. Schließlich stellten wir uns die Frage, welche Rolle Büros oder Reisen haben sollten und wie wir für uns Agilität definieren und umsetzen – wir entwickeln die Zusammenarbeitsmodelle beständig weiter.“

Der Beitrag ist Teil unserer Artikelserie „Wie weiter, wenn alles anders ist? HR und das neue Arbeiten“, die zentrale Einsichten aus regelmäßigen Zoom-Calls mit HR-Führungspersönlichkeiten wiedergibt.

Die Autor*innen

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