Der Kapitän, der sein Schiff durch seichtes und auch mal stürmisches Fahrwasser lenkt, seine Mannschaft zurechtweist und Kommandos erteilt – ungefähr so lässt sich das traditionelle Rollenverständnis von Führungspersonen beschreiben. Was aber, wenn die Strömung zunimmt, die Wellen über den Bug schlagen oder sich die Naturgewalten plötzlich drastisch ändern? Die heutigen Zeiten brauchen andere Leader.
Im tradierten Management-Verständnis beschreibt Leadership ein festes Set von Fähigkeiten, einen kompakten Werkzeugkoffer. Wer ihn besitzt und tragen kann, kann Führung. Eine Führungskraft ist in der Lage, Strategien zu entwickeln, Teams und Organisationen zu formen und Entscheidungen durchzusetzen. „Leader sind Macher*innen“ – diese Einschätzung ist nicht erst seit der Pandemie überholt. Sie sind viel mehr als das. Heute braucht es neben klassischen Führungskompetenzen Neugier, Empathie, Erkenntnisvermögen, Entschlossenheit und Begeisterungsfähigkeit – soziale Fähigkeiten. Während die traditionellen Leadership-Definitionen also auf die Leistung von Führungspersönlichkeiten fokussieren, gehen heutige Management-Ansätze weiter. Sie beschreiben Entwicklungspfade: Welche Fähigkeiten sind nötig, um Komplexität und neuen Herausforderungen zu begegnen, um Trends zu erkennen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen? Vor allem menschliche.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem Führungsverständnis zu damals zeigt sich damit weniger in den Fähigkeiten als vielmehr in der Menschlichkeit der Führungskraft. Leader müssen heute ihr ganzes Selbst und ihre Persönlichkeit einbringen, um erfolgreich zu sein. Das erfordert Mut, Beständigkeit und Authentizität. Besonders Führen auf Distanz erfordert menschliche statt funktionale Eigenschaften, um die Belegschaft auch durch schwierige Zeiten zu manövrieren. Ein CHRO sagte uns dazu: „Ein offener Dialog mit den Mitarbeitenden ist auf lange Sicht wirkungsvoller als Mikromanagement und Top-Down-Anordnungen“. Klar ist in diesem (menschlichen) Verständnis aber auch: Keine Führungskraft ist perfekt, kein Prozess kommt ohne Rückschläge oder unerfüllte Erwartungen aus. Zukunftsfitte Führungskräfte begegnen Fehlern daher selbstkritisch. Dieser offene Umgang mit Stärken, Schwächen und Fehlern erfordert nicht zuletzt Mut, sendet zugleich aber ein starkes Zeichen an die Belegschaft. Denn nur wer Fehler zulässt, ermöglicht Innovationskultur und Agilität auf Organisationsebene.
Veraltet ist ebenso die Erkenntnis, dass Führung eine Soloaufgabe ist. Schließlich vereint niemand alle wichtigen Fähigkeiten und Eigenschaften auf sich allein. Ein CHRO berichtete, dass im Unternehmen bereits sehr viel mehr auf die Komposition des Führungsteams in Bezug auf Führungseigenschaften geschaut wird als auf den Einzelnen. Insbesondere bei Besetzungsfragen wird es immer wichtiger, Talente und individuelle Fähigkeiten frühzeitig zu erkennen. So berichten einige HRler, dass die Passung und Ergänzung im Führungsteam ebenso wichtig sind wie die individuelle fachliche und persönliche Qualifikation der Führungskraft. Angesichts einer virtuellen oder zumindest hybriden Arbeitswelt ist insbesondere die Weiterentwicklung der Kommunikation von Führungskräften gemeinsam mit ihren Teams gefragt.
Die Erfolgsfaktoren moderner Führung: Das sind demzufolge sich ergänzende Teams mit Persönlichkeiten und Charakteren, die mehr als nur Macher*innen sind.
Bernhard Just, Executive Vice President Human Resources bei der KION Group, über die Digitalisierung bislang strikt analoger Austauschformate: „Feedback über virtuelle Kanäle zu geben, ist für viele Führungskräfte eine neue Herausforderung. Dies zeigt sich auch in den jährlichen Mitarbeitergesprächen und den Performance-Dialogen. Hier müssen wir unsere Fähigkeiten weiterentwickeln und ganz bewusst den entwicklungsorientierten Dialog im virtuellen Setup erproben. Ähnliche Herausforderungen ergeben sich im Recruiting.“
Reinhard Nißl, HR Talent & Development Director Germany bei Microsoft, über Kernkompetenz und Lernbereitschaft: „Mehr denn je ist es wichtig, sich auf die Kernkompetenzen von Führungskräften zu konzentrieren und diese mit Lernbereitschaft zu entwickeln, da man sich weniger auf das verlassen kann, was in der Vergangenheit funktioniert hat.“
Dr. Hays Steilberg, Executive Vice President Corporate Human Resources, Executives & Talent bei Bertelsmann, über die Rolle dezentraler Entscheidungsfindung: „Führungskräfte müssen anerkennen, dass sie nicht auf alles eine Antwort haben, dass Vertrauen und Mitgefühl extrem wichtig sind und dass ein offener Dialog mit den Mitarbeitenden auf lange Sicht wirkungsvoller ist als Mikromanagement und zentralisierte Direktiven.“
Der Beitrag ist Teil unserer Artikelserie „Wie weiter, wenn alles anders ist? HR und das neue Arbeiten“, die zentrale Einsichten aus regelmäßigen Zoom-Calls mit HR-Führungspersönlichkeiten wiedergibt.